Dass Shadow mir in den Wald gefolgt war, verunsicherte mich zwar ein wenig, doch immerhin schien er nicht mehr sauer zu sein.
Das Problem war jedoch, dass ich nun, statt zu trainieren, mit Shadow herumalberte.
Und als Professor Morgan am späten Nachmittag ankündigte, wir sollten uns draußen in der Aula versammeln, wusste ich noch immer nicht, was ich bei dem Talentwettbewerb präsentieren sollte.
Andererseits waren spontane, nicht wirklich gut durchdachte Aktionen eben ziemlich typisch für mich...
Während alle Schüler unseres Jahrgangs und auch ein paar Schaulustige der Älteren in den halbrunden, steinernen Rängen Platz nahmen, stellte sich Professor Morgan auf das leicht erhöhte Podium und holte eine Liste mit Namen hervor.
Nervös blickte ich mich um.
Es war vielleicht einfach, nur vor den Augen Poseidons meine Kräfte unter Kontrolle zu halten. Doch vor dem gesamten Jahrgang war das noch einmal etwas ganz anderes.
"Ruhe, bitte!", verschaffte sich Professor Morgan mit lauter Stimme Gehör. Augenblicklich wurde das laute Gemurmel zu einem vereinzelten Flüstern.
"Willkommen zum jährlichen Talentwettbewerb der neuen Schüler.
Ihr werdet jetzt nach einander aufgerufen werden und eure Kräfte vorführen. Anschließend werdet ihr von Professor Jones, Professor Rutherford, Professor Lightman und mir bewertet. Wie ihr wisst, ist diese Bewertung für euch sehr wichtig - also gebt euer Bestes. Und nun: Fangen wir an."
Sie setzte sich zu den anderen drei Lehrern an ein Pult, das mit Blick auf die steinerne Bühne gerichtet war und begann dann mit der Verkündung der Namen.
Der erste Schüler war ein Eunomia, der mir bisher nur einige Male beim magischen Kampftraining durch seine außergewöhnliche Kampftechnik aufgefallen war.
Er erzeugte in seinen Händen eine Kugel aus weißem Licht, ließ sie nach oben schweben, immer größer werden und schließlich wie ein Feuerwerk über unseren Köpfen explodieren.
Einige Schüler klatschten Beifall, Professor Rutherford nickte anerkennend und notierte sich etwas auf ihrem Bewertungsbogen.
Jones hingegen musterte den Eunomia verächtlich aus zusammengekniffenen Augen.
Na toll!
Wenn er bei einem Feuerwerk aus Licht schon so reagierte, wie würde er sich dann verhalten, wenn ich an der Reihe war?
"Wow. Echt starker Auftritt", stellte Kilian beeindruckt fest.
Eve nickte begeistert und wirkte zugleich etwas verängstigt.
Wenig später war Lucas dran, dessen Stimme in den Köpfen aller Schüler laut widerhallte, ohne dass er dazu den Mund öffnen musste.
Dann folgte Kilian, der alle mit seiner Nummer zum Lachen brachte.
Überrascht sah ich, wie sich sein gesamtes Aussehen zunächst zu dem von Argon änderte, dann zu Harry und schließlich zu Professor Morgan.
Während er sein Äußeres veränderte, ahmte er auch typische Gesten und Posen nach und als er den Lehrern gekonnt einen strengen, Professor-Morgan-typischen Blick zuwarf, brachen wir Schüler in schallendes Gelächter aus.
Selbst Professor Morgan, die sich bemühte, Kilians Blick ebenso streng zu erwidern, konnte sich ein leichtes Schmunzeln nicht verkneifen.
Eve ließ alles um sie herum abwechselnd in Zeitraffer und in verlangsamter Geschwindigkeit geschehen und Argon legte eine pompöse Darbietung hin, indem er einen riesigen Kreis aus loderndem Feuer aus dem Boden heraufbeschwor. Inmitten der Flammen stand er seelenruhig und wirkte in diesem Moment so, als wäre es einzig und allein seine Bestimmung, der nächste Herrscher von Salem zu werden.
Einige der anderen flüsterten ehrfürchtig oder schmachteten ihn bewundernd an, während Kilian Argon nur lässig abklatschte, als dieser zu uns zurückkehrte.
Als ich meinen eigenen Namen hörte, klopfte mein Herz so laut, dass ich meinte, alle anderen könnten es hören.
Wie sollte ich das denn noch übertreffen?
Mit einem mulmigen Gefühl lief ich zum Podium und versuchte, mir nichts von meiner Nervosität anmerken zu lassen, während ich mich fragte, warum ich nicht einfach die Erste hätte sein können.
Als ich auf dem steinernen Podest stand, sah ich erst zu Eve, die mich begeistert anstrahlte, dann zu Professor Morgan, die mir aufmunternd zunickte.
Schließlich wanderte mein Blick zu Shadow, der mich mit lässig verschränkten Armen und einem süffisanten Grinsen musterte.
Und in diesem Moment wusste ich, was ich zu tun hatte: Ich würde es ihm zeigen.
Ich hatte diese Sache zwar erst einmal mit Professor Morgan geübt und die Chancen standen nicht gerade gut dafür, dass es in einem solch großen Rahmen überhaupt klappen würde. Doch was war das Leben schon ohne Herausforderungen?
Ich schloss meine Augen und versuchte alles um mich herum auszublenden und mich einzig und allein auf das Kribbeln der Magie in meinen Händen zu konzentrieren.
Als ich die Augen wieder öffnete und meinen Kräften ihren freien Lauf ließ, verdunkelte sich der Himmel, während ein leises Grollen aus den Wolken ertönte.
Dann ein lautes Donnern.
Es begann zu regnen und ich spürte wie die Magie von meinen Fingerspitzen aus in meinen gesamten Körper strömte und mich einige Meter empor in die Luft hob.
Der peitschende Wind wirbelte meine Haare umher und der Regen verstärkte sich.
Doch ich hatte keine Angst, denn in diesem Moment hatte ich ein vollkommenes Vertrauen in meine Kontrolle über die Magie.
Als ein Blitz nicht weit entfernt von der Aula auf den Boden traf, machte sich eine Stille der Bewunderung unter den anderen Schülern breit.
Selbst Shadow schien beeindruckt von meiner Performance und war der erste, der, als ich wieder auf dem Boden stand und das Gewitter beendet hatte, laut Beifall klatschte.
Während die anderen ebenfalls applaudierten, sah ich, wie Professor Morgan mich stolz anlächelte und Jones nur mit steinerner Miene etwas auf seinen Bewertungsbogen schrieb.
Ich grinste und spürte deutlich das Adrenalin in meinen Adern.
"Das war echt krass, Al!", flüsterte Eve begeistert, als ich mich wieder neben sie setzte.
"Danke", erwiderte ich leise und beobachtete, wie Damien nach vorne trat.
Doch nicht bei allen lief es so gut wie bei Argon oder mir. Damien vermasselte seinen Auftritt und musste Jones höhnisches Grinsen ertragen, als er mit hochrotem Kopf zurück zu seinem Platz lief.
Auch ein paar andere hatten ihre Kräfte nicht unter Kontrolle und ein Mädchen steckte sogar aus Versehen das Pult der Lehrer in Brand. Professor Rutherford reagierte jedoch blitzschnell und erstickte das Feuer mit ihren Kräften.
Shadow kam als einer der Letzten an die Reihe.
Selbstsicher schritt er nach vorne und schien sich durch die Aufmerksamkeit, die auf ihm lag, keineswegs unwohl zu fühlen.
"Wie Thomas Johnson bereits sagte: Die Dunkelheit ist real. Aber das Licht scheint bloß so", verkündete er, während er sich eine Augenbinde umband.
Ich dachte an das Banner in seinem Zimmer mit eben diesem Zitat und fragte mich, ob er ahnte, dass ich es mir angesehen hatte.
Zwei der anderen Nyx assistierten Shadow bei seiner Darbietung, indem sie eine Art Hindernisparcours aus mehreren hohen Steinblöcken, Brettern auf beweglich Rollen und einigen Fackeln dazwischen aufbauten.
Zum Erstaunen aller meisterte Shadow den Parcours spielend leicht, sprang von einem Steinblock auf den anderen und balancierte über die Holzbretter, als würde er nicht gerade verbundene Augen haben.
Zum Schluss machte er ein Rückwärtssalto von dem letzten Steinblock und landete in einer tiefen Verbeugung vor den Lehrern.
Ein paar der Nyx begannen laut zu jubeln.
Ich nahm an, dass seine Vorstellung damit zu Ende war.
Doch überraschenderweise nahm Shadow die Augenbinde nicht ab, sondern lief bloß zielstrebig auf die Zuschauerränge zu. Als er vor mir zum Stehen kam und eine Hand ausstreckte, erklang eine leise Gitarrenmelodie.
"Wenn ich bitten darf", sagte Shadow leise mit einem schiefen Grinsen.
Verunsichert sah ich zu den anderen, nahm jedoch dann einfach seine Hand und ließ mich von ihm auf das Podium führen.
Shadow legte meine rechte Hand auf seine Schulter und ließ seine linke Hand an meinen Rücken wandern, während er mit der anderen meine nahm. "Vertraust du mir?", fragte er so leise, dass nur ich es hören konnte.
Ich biss mir auf die Lippe, doch dann nickte ich.
"Ja", fügte ich schnell hinzu, als mir einfiel, dass er mein Nicken nicht sehen konnte.
"Gut. Dann schließ die Augen", wies er mich an.
Ich blickte ein wenig misstrauisch zu den brennenden Fackeln, die um uns herum auf dem Boden standen.
Doch ich tat ich wie mir geheißen und schloss meine Augen.
Shadow begann mich zu führen und anfangs war ich noch ziemlich angespannt - weil ich einerseits nun wirklich nicht tanzen konnte und die Fackeln mir außerdem weiterhin Sorgen bereiteten. Aber nach einiger Zeit begann ich mich zu entspannen und mich einfach von Shadow herumwirbeln zu lassen.
Ein warmes Gefühl durchströmte mich und meine Haut kribbelte leicht an den Stellen, an denen Shadow mich berührte.
Als er mich anschließend sanft an meiner Hüfte näher zu sich heranzog, konnte ich endgültig keinen klaren Gedanken mehr fassen.
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Academy of Salem
FantasyAls Aline an der mysteriösen Akademie angenommen wird, verändert das ihr Leben vollkommen. Sie entdeckt eine neue Welt voller Magie und düsterer Geheimnisse. Und dann ist da noch dieser Junge, den sie eigentlich nicht mögen sollte, der ihr aber einf...