Es begann mit einer Email, die in meinem Spamordner gelandet war.
Eigentlich hatte ich bloß auf eine Nachricht von Charlie, einem Jungen von meiner früheren Schule, mit dem ich kurz vor meinem Umzug nach Detroit ein Date gehabt hatte, gewartet. Stattdessen hatte ich jedoch enttäuscht feststellen müssen, dass ich nur eine seltsame Spam-Email von einer gewissen Academy of Salem erhalten hatte. In der Email wurde mir die Zusage zu einem Platz an der Akademie mitgeteilt. Es musste sich also entweder um ein Versehen oder einen Scherz handeln.
Da ich noch ausreichend Zeit bis zu dem Rugby-Spiel hatte, was ich mir heute ansehen wollte, und immer noch auf eine Antwort von Charlie hoffte, gab ich spaßeshalber "Academy of Salem" in die Suchleiste ein. Als Ergebnisse wurden mir jedoch nur ein christliches Mädcheninternat und eine Pflegestiftung angezeigt. Die mysteriöse Schule, von der in dem Schreiben die Rede war, schien nicht einmal zu existieren. Trotzdem verwunderte es mich, dass der Absender meinen vollen Namen samt meinem Zweitnamen, Silva, kannte. Kopfschüttelnd schloss ich mein Postfach und sah zur Uhr.
Statt hier armselig auf Charlies Nachricht zu warten, könnte ich lieber noch eine Runde Laufen gehen. Zufrieden zog ich mir eine Leggings und Sportschuhe an, fuhr meinen PC herunter und räumte noch schnell ein wenig die Küche auf, die Leonora heute morgen eilig in einer ziemlichen Unordnung zurückgelassen hatte. Ich wusste, dass sie sich so komisch benahm, wegen dem, was gestern passiert war. Doch da ich selbst keine Ahnung hatte, was mit mir passiert war und ich einfach nur noch den Kopf freibekommen wollte, hatte ich beschlossen, meine Tante erst einmal nicht darauf anzusprechen. Womöglich hatte ich mir die Geschehnisse am gestrigen Abend ja auch nur eingebildet. Vielleicht durch den Umzugsstress.
Seufzend schloss ich die Wohnungstür hinter mir, setzte meine Kopfhörer auf und lief los.
Ich war noch nicht weit gekommen, da hörte ich eine Stimme hinter mir, die ich im ersten Moment nicht zuordnen konnte, weshalb ich mich verwundert umdrehte.
Ich stutzte.
Denn die Stimme, die so eben meinen Namen gerufen hatte, gehört zu einer jungen Frau, wahrscheinlich nur ein paar Jahre älter als ich, die ich noch niemals in meinem Leben gesehen hatte. Allerdings kannte ich auch ziemlich viele Menschen und war im Gesichter einprägen durchaus nicht die Beste.
Wobei die junge Frau unglaublich hellgraue, fast weiße Augen und eine auffällig spitze Nase hatte.
"Kennen wir uns?", fragte ich verwirrt.
Sie lächelte geheimnisvoll.
"Noch nicht." Dann streckte sie höflich die Hand aus. "Ich bin Sofía"
Etwas irritiert schüttelte ich ihre Hand.
"Aline. Aber das weißt du ja anscheinend schon", murmelte ich mehr zu mir selbst.
Sofía lachte und warf dabei ihre langen hellblonden Haare zurück.
"Ich bin deine Patin", erklärte sie, als wäre das ganz selbstverständlich.
"Meine Patin?", fragte ich verständnislos.
"Du wurdest an der Academy of Salem angenommen", antwortete sie und musterte mich dabei genau.
"Wenn das ein Scherz sein soll...", setzte ich an, doch Sofía schnitt mir mit einer Handbewegung das Wort ab.
"Ich weiß, das muss jetzt alles sehr seltsam auf dich wirken. Und ich kann verstehen, wenn das, was ich dir jetzt sage, verrückt für dich klingt."
Sie warf mir einen aufmerksamen Blick zu und schien ihre Worte sorgfältig zu wählen, als könnte ich sonst davonlaufen.
"Du hast in den letzten Wochen sicher gemerkt, dass du über besondere Fähigkeiten verfügst, die normale Menschen sonst eher nicht beherrschen. Und du bist nicht die Einzige. Es gibt viele von uns. Allerdings leben die meisten versteckt an einem anderen Ort und sie wachsen bereits mit dem Wissen auf, dass sie... nun ja"
Sie legte den Kopf schief. "...übermenschliche Kräfte besitzen"
"Was?!", platzte es aus mir heraus. "Übermenschliche Kräfte? Zauberkräfte, oder was?!", fragte ich und lachte trocken. Ja klar!
Doch die Fremde nickte ernst.
"So in etwa... Jedenfalls werden an der Akademie Menschen wie du ausgebildet. Du könntest lernen, deine Kräfte zu kontrollieren. Und mehr über deine Familie herausfinden"
Perplex starrte ich sie an.
Woher wusste sie von den seltsamen Ereignissen, die mir in der letzten Zeit widerfahren waren? Und vor allem, wie konnte sie wissen, dass ich etwas über meine Eltern herausfinden wollte?
Normalerweise hätte ich jeden, der mir so eine Geschichte aufgetischt hätte, nicht ganz für voll genommen.
Doch so abwegig war die Sache mit den Kräften - in Anbetracht der letzten Wochen - gar nicht.
Ich blickte Sofía in die Augen und versuchte irgendein Indiz dafür zu finden, dass sie mir tatsächlich die Wahrheit sagte. Sie erwiderte meinen Blick ruhig während ich die Arme vor der Brust verschränkte.
"Angenommen, ich würde mehr über das herausfinden wollen, was du gerade gesagt hast. Wie kann ich wissen, dass du mir nicht irgendwelche absurden Lügenmärchen erzählst?"
Sofía schmunzelte vergnügt.
"Du bist also bereit, etwas abgefahrenes zu sehen?"
Ich zuckte die Schultern. "Denke schon?"
Sie nickte konzentriert. "Also gut. Zuerst einmal solltest du wissen, dass es meine Kraft ist, die Aura anderer Menschen zu sehen. Daher bin ich meist ziemlich gut darin, eine Person vom ersten Moment an richtig einzuschätzen"
Ich hob skeptisch eine Augenbraue.
"Ich kann die Auren anderer Menschen auch für dich sichtbar machen", erklärte sie. "Sieh genau hin."
Ich folgte ihrem Blick zu einer Gruppe Männer, die ein paar Meter von uns entfernt standen und mit einer Box, die auf einem umgedrehten Bierkasten stand, laut Musik hörten.
Ich entdeckte an den fünf Männern nichts Ungewöhnliches, außer, dass einer von ihnen seine Haarspitzen in einem grellen Blau gefärbt hatte.
Doch als Sofía auf einmal meine Hand nahm, erschienen plötzlich in unterschiedlichen Schattierungen leuchtende Farben, die jeden der Männer, umgaben. Fasziniert betrachtete ich die düsteren, fast furchteinflößenden Violetttöne des einen. Dann wanderte mein Blick zu dem pastellfarbenen Leuchten, welches einen anderen umgab.
"Wow", hauchte ich.
Sofía lächelte und ließ meine Hand los. Im selben Moment verschwanden auch die leuchtenden Farben.
"Wie ist das möglich?", fragte ich fassungslos.
"Nun ja", sagte sie, als sei dies das Normalste der Welt. "Das sind eben meine Kräfte."
"Und du kannst auch meine Aura sehen?", hakte ich nach.
Sofía nickte.
Schlagartig wurde mir bewusst, dass sie dann wahrscheinlich ziemlich genau sagen konnte, wer ich war, ohne mich wirklich zu kennen - was genau genommen ein wenig unheimlich war.
"Und was sagt meine Aura über mich aus?", fragte ich gebannt.
Doch Sofía lächelte nur mysteriös und gab mir bloß eine vage Antwort.
"Ich denke, ich weiß, welcher Fraktion du angehören wirst"
"Fraktion?", fragte ich irritiert.
"Oh ja, entschuldige", murmelte sie. "Also an der Akademie gibt es vier Fraktionen, die für bestimmte Grundsätze stehen. Aufgrund deiner Eigenschaften wirst du bei deiner Zeremonie in eine von den Fraktionen eingeteilt. Aber das wirst du noch früh genug alles sehen..."
Ich zog die Brauen zusammen und musterte Sofía. "Wer hat denn gesagt, dass ich wirklich auf diese Akademie gehen will?"
"Wie wär's wenn ich dir die Academy of Salem zeige? Ich könnte dich ein wenig herumführen. Und dann wirst du sehen, dass genau da dein Platz ist, Aline."
Sie lächelte zuversichtlich.
"Ich hole dich morgen Abend ab.", erklärte sie, bevor ich irgendetwas erwidern konnte.
"Aber ich kann doch nicht einfach...", protestierte ich, doch Sofía hatte sich bereits umgedreht und joggte davon.
Erst jetzt fiel mir ein, dass ich ja eigentlich nur kurz Laufen gehen und dann zum Rugby-Spiel meiner neuen Schulmannschaft gewollt hatte.
"Ach was soll's", murmelte ich. Vielleicht würde ich ja gar nicht so lange in Detroit bleiben und mich nicht einmal richtig einleben müssen. Außerdem hatte ich einiges, was ich jetzt erst einmal verarbeiten musste.
Also setzte ich die Kopfhörer wieder auf, schaltete meine Musik ein und lief los.
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Academy of Salem
FantasyAls Aline an der mysteriösen Akademie angenommen wird, verändert das ihr Leben vollkommen. Sie entdeckt eine neue Welt voller Magie und düsterer Geheimnisse. Und dann ist da noch dieser Junge, den sie eigentlich nicht mögen sollte, der ihr aber einf...