𝟧𝟣. 𝘒𝘢𝘱𝘪𝘵𝘦𝘭

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Während Minerva Morgan auf ihrem Bürosessel in sich zusammensackte und ihrer Tochter, die wutentbrannt aus dem Zimmer stürmte, sorgenvoll hinterher blickte, kamen all die Gefühle wieder hoch.
Die Gefühle, die sie jahrelang sorgsam verdrängt hatte. Die Gefühle, die sie damals fast um den Verstand gebracht hatten, weil sie nicht geglaubt hatte, sie könne je mit dieser Schuld leben.
Auch wenn sie Lillian immer verabscheut hatte, hasste sie sich selbst dafür, was sie getan hatte, als sie vor siebzehn Jahren ihre Fassung verloren hatte.
Minerva hatte ihre Tochter bloß davor bewahren wollen, selbst in eine solche Lage zu geraten. Doch nun kannte jemand das Geheimnis, welches ihr Ehemann und ihr Mentor vor einigen Jahren mit ins Grab genommen hatten.
Genau genommen war es ihr Mentor gewesen, der der jungen Minerva geraten hatte, niemanden in die wahren Begebenheiten einzuweihen.
Er hatte in ihr einen guten Menschen gesehen, der die Kontrolle verloren hatte und der es nicht verdiente, dafür sein Leben lang eingesperrt zu sein. Vor allem weil so etwas in der Unterwelt auch den Ruf und die Zukunft ihrer Tochter ruiniert hätte.
Viel mehr war der frühere Leiter der Artemis der Meinung, Minerva könnte zu einem guten Vorbild heranwachsen, das Jüngere lehrte, wie wichtig es sei, seine Kräfte kontrollieren zu können.
Er war es gewesen, der Lillians Tod wie einen Unfall hatte aussehen lassen. Er war derjenige, der ein gutes Wort bei seinen Kollegen eingelegt hatte, damit Minerva Morgan als jüngste Schulleiterin an der Academy of Salem in die Geschichte einging - nicht als skrupellose Mörderin.
Minerva selbst hingegen hatte sich nur schwer davon überzeugen lassen, ihre Tat nicht sofort zu gestehen.
Doch letztendlich hatte sie - wie schon so oft zuvor - den Rat ihres Mentors befolgt und gemeinsam mit ihrem Ehemann beschlossen, es sei das beste Aline an einem Ort möglichst weit entfernt von ihr aufwachsen zu lassen.
Sie hatte diese Entscheidung mehr als einmal bereut. Doch sie hatte in den folgenden Jahren gelernt, ihre Kräfte vollkommen im Griff zu haben und sie hatte in ihrem Job ihre Erfüllung gefunden.
Der ganze Plan hätte perfekt aufgehen können. Niemand hätte jemals etwas von dem ungeheuren Zwischenfall erfahren.
Doch dann war Aline aufgetaucht und das hatte alles verändert.
Und dass sie nun ähnliche Anzeichen zeigte, wie Minerva damals, bereitete ihr große Sorge. Nicht nur, dass ihre Tochter überhaupt über die Kraft verfügte, anderen Menschen ihre Atemluft zu entziehen - sie war bereits zweimal bereit gewesen diese Kraft einzusetzen. Außerdem hatte Aline ihre Gefühle nicht im Griff...!
Tränen der Verzweiflung rannen Minervas Wangen hinunter.
Hinter vorgehaltener Hand unterdrückte sie ein Schluchzen.
Wie sollte sie das bloß jemals wieder geradebiegen?
"Minerva? Bist du da?", rief plötzlich eine tiefe Männerstimme vor ihrer Bürotür.
Eilig wischte Minerva sich die Tränen aus dem Gesicht und versuchte Haltung zu wahren.
"Ja. Komm rein."
Ihre Stimme klang wesentlich selbstsicherer, als sie sich fühlte.
Doch Harry musterte sie mit einem besorgten Blick, als er das Zimmer betrat.
"Was ist passiert? Stimmt es, dass Aline einen anderen Schüler angegriffen hat?", fragte er leise nach.
Minerva nickte zur Tür, woraufhin Harry diese hinter sich schloss.
"Was ist los, Minerva? So aufgelöst habe ich dich noch nie gesehen"
Sie schloss für einige Sekunden die Augen und versuchte ruhig zu atmen.
"Ich schätze, ich habe als Mutter versagt", erwiderte sie, als sie ihre Augen wieder öffnete.
"Sei nicht so streng mit dir", entgegnete Harry verständnisvoll und trat hinter Minerva, während er ihr die starken Hände auf die Schultern legte.
"Du hattest sicher für alles deine Gründe. Und ich kenne dich, Minerva Morgan. Es gibt nichts, was du nicht wieder hinbekommen könntest"
Sie lächelte traurig, dankbar für seine ermutigenden Worte.
"Vielleicht hast du Recht. Aber ich habe definitiv Fehler gemacht. Unverzeihliche Fehler."
Ihre Stimme brach.
"Du bist ein guter Mensch, vergiss das nicht", flüsterte Harry.
Minerva legte ihre Hand auf seine.
"Ich hoffe, das wirst du immer noch denken, nachdem ich dir die ganze Wahrheit erzählt habe", seufzte sie betrübt.
"Nichts könnte meine Meinung über dich ändern", tröstete Harry sie und schenkte ihr ein warmes Lächeln.
"Bist du sicher, dass du es mir erzählen willst? Du musst nicht, falls du nicht dazu bereit bist. Wir haben schließlich alle Dinge aus unserer Vergangenheit, auf die wir nicht besonders stolz sind und an die wir uns ungern erinnern..."
Minerva nickte langsam.
Dass Harry so verständnisvoll war, hatte sie nicht verdient - und das macht es auch nicht gerade leichter.
Harry war einfach viel zu gut für diese Welt...
"Ich bin mir sicher", antwortete sie entschlossen.

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