18. Kapitel

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Es stellte sich heraus, dass die Academy of Salem sogar eine eigene Krankenstation hatte, was bei dem ganzen Kampfunterricht natürlich Sinn machte. Wobei Krankenstation schon fast zu viel gesagt war. Es handelte sich dabei um ein etwas größeres, schlichtes Zimmer, in dem sechs Krankenbetten nebeneinander aufgereiht waren.
Die Krankenschwester war eine mittelalte Frau mit blonden Locken und einem freundlichen Lächeln. Sie verfügte über Heilkräfte, wie ich schnell merkte, als sie ihre Hand auf Argons Schulter legte und die Kratzer und Blutergüsse von seinem Gesicht und seiner Brust verschwanden.
Shadow hatte wesentlich schlimmere Verletzungen als Argon, doch ich würdigte ihn keines Blickes.
Als dann auch noch Professor Morgan auf der Krankenstation erschien, wurde es zunehmend schwieriger diejenigen zu ignorieren, die ich gerade nun wirklich nicht um mich haben wollte.
Erst am folgenden Abend konnte ich mich dazu durchringen, Eve von dem Gespräch mit Professor Morgan zu erzählen.
Sie hockte im Schneidersitz auf ihrem Bett, die Arme auf die Oberschenkel gestützt, und ihre Augen weiteten sich, als sie begriff, dass Professor Morgan tatsächlich meine Mutter war.
Als ich aufhörte zu erzählen, schwiegen wir beiden eine Weile.
Zum ersten Mal, seit ich Eve kennengelernt hatte, hatte es ihr die Sprache verschlagen.
"Ich weiß, das hört sich alles total verrückt an", brach ich das Schweigen.
"Na wenigstens ist deine Mutter keine Schwerverbrecherin", versuchte Eve mich mit dem Anflug eines Lächelns aufzumuntern.
"Fühlt sich aber ein bisschen so an", brummte ich und lehnte mich gegen die Wand.
"Aber vielleicht solltest du ihr eine Chance geben", murmelte Eve nachdenklich. "Damit sie sich dir erklären kann. Und danach kannst du dich immer noch dazu entscheiden, sie zu hassen."
"Ich hasse sie ja nicht", wandte ich ein. "Ich bin einfach sauer und irgendwie enttäuscht. Aber ja... vielleicht hast du Recht"
Damit erklärte ich das Thema für beendet und glücklicherweise stelle Eve auch keine weiteren Fragen.
Sie schien zu merken, dass ich jetzt lieber über etwas anderes sprechen wollte, also erzählte sie mir von ihrer Familie, von der Unterwelt und von ihrem ersten Freund.
Nachdem ich Eve versprochen hatte, am Wochenende mit ihr gemeinsam ihrem Lieblingscafé einen Besuch abzustatten, gingen wir ins Bett.

Bereits im Geschichtsunterricht und beim Kampftraining hatten Shadow und Argon sich böse Blicke zugeworfen, wann immer sie die Möglichkeit dazu gehabt hatten.
Doch beim Elementartraining, bei dem sich die beiden nicht aus dem Weg gehen konnten, da wir ohnehin nur zwölf Schüler waren, machte ich mir ernsthafte Sorgen.
Ich konnte nur hoffen, dass Professor Rutherford und Professor Morgan, die dieses Fach gemeinsam unterrichteten, die beiden von einem erneuten Kampf abhalten würden.
Das Elementartraining war das einzige Fach, welches jahrgangsübergreifend unterrichtet wurde. Bereits nach den ersten Minuten wurde mir klar, dass so gut wie alle älteren Schüler um ein vielfaches besser mit ihren Elementarkräften umgehen konnten als ich.
Argon wurde von Professor Rutherfords dazu eingeteilt mit einem Mädchen mit Licht-Kräften zu trainieren. Das Mädchen war bereits im zweiten Jahr, doch Argon konnte seine Kräfte für einen Anfänger unglaublich gut kontrollieren.
Wahrscheinlich brachte ihm das Training mit der blonden Eunomia weitaus mehr als mit mir, allerdings merkte ich ihm an, dass er die Zeit wesentlich lieber mit mir verbracht hätte.
Mir wurde Shadow als Trainingspartner zugeteilt, was ich mit einem genervten Seufzen hinnahm. Professor Rutherford war der Meinung, dass wir durch Shadows Schatten-Kräfte und dadurch, dass ich als Einzige über zwei Elemente verfügte, ebenbürtige Gegner waren.
Von den restlichen acht Schülern hatten drei Wasser-Kräfte, ein weiterer Licht-Kräfte, einer Luft-Kräfte, eine Schülerin verfügte über Eis-Kräfte, so wie Professor Rutherford, und die übrigen beiden besaßen Feuer-Kräfte - allerdings weniger starke als Argon.
Shadow stand mit dem Rücken zu mir und mir fiel auf, dass sich ein relativ großes Tattoo zwischen seinen Schulterblättern befand.
Es stellte eine Art Dolch dar, um den sich eine bedrohlich wirkende Schlange wand. Als Shadow seine Muskeln anspannte, bewegte sich auch die Schlange leicht.
Fasziniert betrachtete ich das Tattoo.
"Was ist?", fragte Shadow und drehte sich ruckartig zu mir um.
"Mir gefällt dein Tattoo", sagte ich gerade heraus.
Überrascht musterte er mich und suchte in meinen Augen nach Sarkasmus.
Doch als er zu begreifen schien, dass es ein ernst gemeintes Kompliment gewesen war, schmunzelte er.
Da Shadow sich eindeutig besser mit den Elementarkräften auskannte, ließ ich es zu, dass er mir ein paar Ratschläge gab und für einen Moment vergaß ich sogar, dass ich ihn nicht ausstehen konnte.
Erst als Professor Morgan zu uns herüberkam, um uns weiterzuhelfen, verschwand meine gute Laune.
Sie gab sich wirklich Mühe und behandelte mich so, wie alle anderen Schüler auch, was ich sehr zu schätzen wusste. Doch trotzdem konnte ich ihr nicht einmal in die Augen sehen.
Es fühlte sich irgendwie eigenartig an, zu sehen, dass die ebenfalls Luft-Kräfte hatte, was bewies, dass sie wirklich meine Mutter war.
Als ich mir vorstellte, wie John und sie sich hier kennengelernt hatten, kam mir das wie eine eigenartige Geschichte vor, die rein gar nichts mit mir oder meinem Leben zu tun hatte.
"Professor", sagte ich, nachdem der Unterricht für beendet erklärt worden war. "Könnte ich kurz mit Ihnen reden?"
Professor Morgan schenkte mir ein verunsichertes Lächeln, was so gar nicht zu ihren strengen Gesichtszügen passte. "Natürlich. Lass uns doch ein Stück gehen", erwiderte sie.
Als wir uns einige Meter von den anderen Schülern entfernt hatten, blieb ich stehen.
"Vielleicht hätte ich das nicht sagen sollen", gab ich zu. "Also das mit dem..."
Professor Morgan nickte.
"Schon okay"
"Aber das ändert nichts daran, dass Sie diese Worte verdient haben", fügte ich mit grimmiger Miene hinzu.
Es fiel mir nicht gerade leicht, ruhig zu bleiben. Auch Professor Morgan schien das zu merken.
"Du willst eine Erklärung?", fragte sie und strich sich mit einem schwermütigen Seufzen eine verirrte Haarsträhne hinters Ohr.
"Ich finde, das sind Sie mir schuldig"
"Okay. Auch wenn es keine wirkliche Entschuldigung für mein Verhalten gibt... oder eine gute Erklärung", setzt sie an.
"Aber ich kann dir versichern, dass ich deinen Vater wirklich geliebt habe. Ich war noch nie in meinem Leben so glücklich wie mit John. Er hat das Beste in mir hervorgebracht und stand immer bedingungslos hinter mir"
Ein leichtes Schmunzeln stahl sich auf ihre Lippen.
"Ein Jahr, nachdem wir die Akademie verlassen hatten, wurde ich schwanger und wir haben geheiratet. Alles war so unglaublich perfekt."
Sie schien im Gedanken weit weg zu sein, in einer ganz anderen Zeit.
"Aber wir waren eben auch noch ziemlich jung und es wurde... kompliziert", fuhr sie fort und ein schmerzlicher Ausdruck erschien auf ihrem Gesicht.
"Wir haben gemeinsam entschieden, dass es für dich besser wäre, in der Oberwelt aufzuwachsen. Ungefährlicher. Aber ich konnte nicht bleiben. Ich wurde hier gebraucht.", beteuerte sie.
"Mehr gebraucht, als von deiner eigenen Tochter?!", fuhr ich sie an und merkte erst, nachdem ich es ausgesprochen hatte, dass ich sie im Eifer des Gefechts geduzt hatte.
Schnell fügte ich in einem distanzierten Ton hinzu: "Sie glauben doch nicht, dass damit alles wieder in Ordnung ist!"
"Ich weiß. Aber lass mich bitte versuchen, es wieder gutzumachen, Aline. Ich war einfach noch zu jung und ich wusste nicht, was ich tat, als ich... ging."
"Sie meinen, als sie uns verlassen haben", fiel ich ihr ins Wort.
"Ich habe immer wieder nach dir gesehen, Aline. Ich habe auf dich aufgepasst, auch wenn du mich nicht gesehen hast. Deine Tante wollte nicht, dass ich dich sehe. Sie hat mir den Kontakt zu dir verboten.
Und in gewisser Weise hatte sie ja Recht. Ich hätte dir nicht gut getan."
Überrascht blickte ich sie an.
Leonora hatte ihr verboten, mich zu sehen?
Hätte sie sich ansonsten vielleicht doch gemeldet?
Professor Morgan hatte wohl die Unsicherheit in meinen Augen gesehen und nutzte den Moment.
"Bitte lass es mich versuchen"
Ich schüttelte den Kopf.
"Ich habe Sie früher nicht gebraucht und ich brauche Sie auch jetzt nicht!"
Professor Morgan nickte langsam.
"Ich weiß. Aber ich will trotzdem versuchen, wenigstens ein kleiner Teil von deinem Leben zu sein - wenn du mich lässt."
Der sanfte Blick mit dem sie mich nun betrachtete, ließ mich zögern.
Dann seufzte ich.
"Ich weiß nicht, ob ich Ihnen vergeben kann. Oder ob ich das will.", sagte ich. "Und es wird wahrscheinlich lange dauern."
Ein warmherziges Lächeln erschien auf Professor Morgans Gesicht.
"Danke", sagte sie.
Ich verdrehte die Augen.
"Sie geben nicht so schnell auf, oder?"
Sie lachte leise.
Es war ein schönes Lachen und vielleicht war das ein Teil von ihr, den John damals in ihr gesehen hatte, und der mit ihm fortgegangen war.
"Du gibst auch nicht so schnell auf", entgegnete sie.
Meine Mundwinkel hoben sich ganz leicht, so wenig, dass ich hoffte, sie würde es nicht bemerken.
"Schönes Wochenende, Professor", sagte ich nur in möglichst professionellem Ton und lief zurück zur Akademie.

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