28. Kapitel

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"Was ist jetzt?", fragte Eve ungeduldig, während sie ein wenig schwankte. "Spielt ihr mit?"
Ich warf Shadow einen fragenden Blick zu. Er zuckte jedoch nur die Schultern.
"Ja, okay, warum nicht", murmelte ich und ließ mich von Eve vom Boden hoch ziehen. Shadow würde ich allerdings garantiert nicht noch einmal meine Hand reichen!
"Sind wir nicht ein bisschen zu alt für Flaschendrehen?", fragte ich Eve schmunzelnd.
"Dafür ist man niemals zu alt", antwortete Shadow ungefragt.
"War ja klar, dass du das so siehst", entgegnete ich und warf kurz einen Blick zu der brünetten Nyx, mit der er vorhin geflirtet hatte.
Während ich mich zwischen Kilian und Argon in den Kreis setzte, holte Eve eine Flasche, legte diese in die Mitte des Kreises und begann sie zu drehen.
Die ersten beiden, auf die die Flasche zeigte, waren Kilian und Lucas.
Für einen kurzen Moment warf Eve Lucas einen neidischen Blick zu, doch dann stimmte sie in das Lachen der anderen ein. Der Kuss der beiden Jungs war überraschenderweise alles andere als zurückhaltend und ich fragte mich, ob das an dem Alkohol oder einfach an Lucas lag.
Einige kicherten oder feuerten die beiden an.
"So schlecht küsst du ja echt nicht", war alles, was Kilian nach dem Kuss lachend anmerkte.
"Ich bleibe trotzdem lieber bei Mädels. Nichts gegen dich, Lucas"
Lucas grinste.
"Schon okay. Also? Wer sind die nächsten?", fragte er und drehte schwungvoll die Flasche.
Zuerst blieb sie bei Eve stehen, dann bei einem Jungen, dessen Namen ich nicht kannte.
Auch Kilian wirkte diesmal nicht sehr begeistert und ich fragte mich, warum die beiden sich nicht einfach küssten, anstatt so ein kindisches Spiel zu spielen.
Nachdem Eve die Flasche erneut gedreht hatte, kam sie vor Argon zum Stehen und anschließend vor... mir.
Überrascht blickte ich von der Flasche zu Argon, der etwas verlegen zur Seite sah.
"Wir müssen das nicht machen, falls du nicht...", murmelte ich leise.
Argon schüttelte den Kopf. "Nein, schon okay"
Sein Blick wanderte zu meinen Lippen, dann lächelte er zaghaft.
Ich beugte mich zu ihm herüber und legte meine Lippen auf seine.
Erst vorsichtig, dann etwas stürmischer begannen wir uns zu küssen.
Es war ein schöner Kuss und als ich die Augen wieder öffnete, konnte ich nicht anders, als Argon anzugrinsen.
Einige der anderen johlten, während ich aus dem Augenwinkel sah, dass Shadow aufstand und sich von der Gruppe entfernte. Etwas verunsichert sah ich ihm hinterher.
Als er nach ein paar Minuten immer noch nicht wiederkam, erhob ich mich ebenfalls. "Entschuldigt mich, bin gleich wieder da", sagte ich schnell und lief durch die Feuerwand nach drinnen. Doch auch dort war keine Spur von Shadow und so lief ich die Treppen hinunter und hinaus in die Nacht.
Irgendetwas sagte mir, dass ich Shadow eher draußen in der Dunkelheit antreffen würde, als in der Akademie.
Tatsächlich hatte ich Recht. Shadow saß auf einer Holzbank auf dem Trainingsgelände und hatte mir den Rücken zugekehrt.
"Hey", sagte ich leise und setzte mich zögerlich neben ihn.
"Du schon wieder", begrüßte er mich nicht gerade freundlich.
"Alles okay?", fragte ich, statt auf seine Bemerkung einzugehen.
Er nickte. "Klar. Ich wollte nur mal für einen Moment weg von dem ganzen Trubel"
Sein Blick wanderte über das Gelände der Akademie.
"Das hier ist alles so anders als mein bisheriges Leben", sagte er leise.
Ich lachte. "Was meinst du, wie es für mich ist? Ich habe das Gefühl, obwohl ich schon so viel Neues gesehen habe, kenne ich bisher nicht einmal einen Bruchteil dieser Welt und muss noch so viel dazulernen..."
Einen Moment blickten wir schweigend auf den dunklen Wald, der sich hinter den Mauern der Akademie auftat.
Dann wandte ich mich wieder zu Shadow. "Woher kommst du denn eigentlich?"
Überrascht blickte er mich an, antwortete dann jedoch bereitwillig.
"Ich komme aus einem der Wüstengebiete. Eine eher abgelegenere Gegend der Unterwelt. Bei uns gab es nicht mal eine richtige Schule. Alles, was ich weiß, habe ich mir selbst beigebracht oder von der Dorfältesten gelernt.
Aber immerhin schert sich bei uns auch niemand darum, welcher Fraktion man angehört oder wie einflussreich die Familie von jemandem ist."
Er sprach mit einer Bitterkeit, die ich bei ihm bisher noch nie gesehen hatte.
"Ich bin gerne der mysteriöse Typ. Aber letzten Endes werde ich es nie weit bringen, weil ich nun mal kein Mitglied der Herrscherfamilie von Salem oder sonst irgendjemand Wichtiges bin."
Ich legte eine Hand auf seinen Oberschenkel.
"Das bin ich doch auch nicht. Und ich bin sicher, du kannst es trotzdem zu etwas bringen."
Er schnaubte. "Ich glaube, du weißt noch nicht ganz, wie es hier in der Unterwelt läuft. Ich stamme aus einer der ärmsten Regionen und kann schon fast von einem Wunder sprechen, dass ich an der Akademie aufgenommen wurde. Wahrscheinlich sogar nur für die Quote. Damit die so tun können, als wären wir anderen ihnen nicht völlig egal."
"Tut mir leid", sagte ich leise.
"Was?", fragte er verwirrt.
"Dass ich dich falsch eingeschätzt habe."
Er zuckte die Schultern. "Schon okay. So ganz falsch lagst du ja nicht", fügte er mit einem schiefen Grinsen hinzu.
"Stimmt", erwiderte ich. "Du bist immer noch ein Vollidiot. Nur eben ein weniger unsympathischer Vollidiot."
Er lachte leise.
"Wieso? Hast du jetzt Mitleid mit mir?"
Ich schüttelte entschieden den Kopf. "Nein. Aber ich verstehe dich. Ich bin auch anders als die meisten hier und ich habe mich irgendwie schon immer damit abgefunden, nie so ganz dazuzugehören.
Meine Tante hatte nie wirklich viel Geld und oft wurde es für uns echt knapp."
Shadow nickte verstehend.
"Was ist mit deinen Eltern?", fragte er.
"Mein Vater ist vor vierzehn Jahren gestorben und meine Mutter..."
Ich hielt inne.
"Sie hat uns verlassen... Aber jetzt..."
Unsicher blickte ich zu Shadow, ehe ich weiterredete.
"Ich habe sie gefunden. Hier in der Unterwelt. Und ich weiß einfach nicht genau, was ich darüber denken soll..."
Fragend sah er mich an.
Ich schwieg einige Zeit und betrachtete bloß Shadows grün-graue Augen, in denen sich die Lichter der Akademie spiegelten.
"Wer ist sie?", fragte Shadow, während sein Blick ebenfalls die ganze Zeit auf mich gerichtet war.
Ich räusperte mich und antwortete dann so leise, dass ich mir nicht sicher war, ob er mich überhaupt verstand. "Professor Morgan"
Die Mischung aus Überraschung, Entsetzen und Verwirrung, die sich anschließend auf Shadows Gesicht abzeichnete, zeigte mir jedoch deutlich, dass er mich gehört hatte.
"Professor Morgan?", wiederholte er ungläubig.
Ich brachte nicht mehr als ein Nicken zustande.
"Wow. Das ist... Okay, ich weiß echt nicht, was ich dazu sagen soll", gab er zu.
Wieder nickte ich.
"So habe ich auch reagiert. Naja und eben wütend, weil sie sich die ganzen verdammten Jahre kein einziges Mal bei mir gemeldet hat und weil sie uns überhaupt verlassen hat"
Jetzt war Shadow der, der schwieg.
"Heißt du eigentlich wirklich Shadow?", fragte ich ihn, um das Thema zu wechseln.
Er lachte leise. Ein Lachen, das ich wirklich mochte.
"Natürlich nicht", antwortete er. "Aber seit ich denken kann, werde ich von allen so genannt."
"Was ist dein richtiger Name?", hakte ich nach.
Shadow musterte mich nachdenklich. Dann antwortete er: "Morpheus. Ich heiße Morpheus. Aber ich mag den Namen nicht wirklich."
"Bedeutet er nicht 'Träume'?", fragte ich.
"Ja. Es war vielleicht die Überzeugung meiner Mutter, dass, wenn man nur fest genug an seine Träume glaubt, einem die Welt zu Füßen liegt. Aber dem ist nicht so. Das habe ich mit den Jahren gelernt"
Er zuckte die Schultern.
"Was bedeutet denn dein Name?"
"Ich glaube er bedeutete 'die Strahlende' oder so ähnlich", antwortete ich.
Shadow lächelte.
"Ich finde das passt ziemlich gut zu dir"
Skeptisch hob ich eine Augenbraue.
"Nein wirklich!", rechtfertigte sich Shadow lachend. "Du hast so etwas an dir, dass..."
Er verstummte.
Ich sah ihm in die Augen und spürte, wie sich ein Prickeln auf meiner Haut ausbreitete, das ausnahmsweise nichts mit Magie oder dergleichen zu tun hatte.
Unsere Gesichter näherten sich einander. Millimeter um Millimeter.

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