Kapitel 7

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Zuhause lud Caleb die Tüten aus dem Kofferraum und Anne trug die drei Kartons mit Schuhen ins Haus. Während er sich zwei Paar Sneakers aussuchen musste, war auch Anne fündig geworden. Sie hatte sich für tiefdunkelrote, halbhohe Pumps entschieden, die sehr elegant und sehr teuer aussahen. Hatte Caleb schon die Rechnung im Bekleidungsgeschäft für hoch gehalten, fielen ihm an der Kasse im Schuhgeschäft fast die Augen aus dem Kopf. Er brachte sein Zeug auf sein neues Zimmer und legte alles auf dem Bett ab. Er war gespannt, was er dafür als Gegenleistung tun sollte, und ging zurück zu Anne, die er im Wohnzimmer fand. Sie hatte sich ihre neuen Schuhe angezogen und lief probehalber ein paar Schritte damit.

»Na, wie findest du sie?«

»Ja, sind schön, du siehst nett aus.«

Ein Hauch von Entrüstung zog über ihr Gesicht.

»Nett? Caleb, du musst noch viel im Umgang mit Frauen lernen.«

Missbilligend schüttelte sie den Kopf.

»Soll ich den Rasen mähen?«, schlug Caleb vor, obwohl der nicht ausgesehen hatte, als hätte er es nötig. »Oder dein Auto waschen?«

Anne sah ihn verwirrt an.

»Ich meine, du hast so viel Geld für mich ausgegeben, da muss ich doch irgendetwas dafür tun«, erklärte er.

Anne zog ihre anderen Schuhe an und verstaute ihre Neuerwerbung sorgfältig wieder im Schuhkarton. Dann erst antwortete sie.

»Du musst dafür nichts tun, Caleb. Ich freue mich, wenn du mir helfen willst, aber nicht, weil du dich verpflichtet fühlst. Und so viel hat uns das alles nicht gekostet, wir bekommen ja vom Staat Geld für dich. Sie zahlen ja sogar einen Sonderbetrag für deine Erstausstattung, weil du nichts mehr hast, außer den Kleidern, die du am Leib trägst. Wenn man es so sieht, war es dein Geld, was wir ausgegeben haben. Bei Minderjährigen ist der Staat großzügig, ich habe nur ein kleines bisschen oben drauf gelegt. Ich glaube, ich muss dir irgendwann einmal vorrechnen, was die Humphreys für dich bekommen haben, für was auch immer sie es ausgegeben haben.«

Caleb war perplex. So hatte er das nie gesehen und er hätte sich nie getraut, Zachary oder Theresa danach zu fragen, wie viel sie vom Staat für ihre Pflegekinder bekamen. Langsam wurde ihm klar, wie sehr die Humphreys sie ausgenutzt hatten.

»Na denn, ich werde mich jetzt ans Kochen machen und du probierst deine neuen Sachen an. Ich erwarte eine komplette Modenschau!«

Caleb ging zurück ins Zimmer und packte alles aus. Zum ersten Mal, seit er zehn Jahre alt gewesen war, hatte er neue Sachen, die ihm und nur ihm gehörten. Versonnen strich er mit den Fingern darüber. Langsam zog er die Behelfskleidung aus dem Heim aus und die frisch gekaufte an. Es fühlte sich alles neu an, es fühlte sich gut an.

Ich brauche einen Spiegel!

Versuchsweise öffnete er den Schrank und wurde fündig. An der Innenseite der Tür war ein Spiegel angebracht.

Er wand und drehte sich, um ja jede Seite betrachten zu können. Niemand mehr würde ihn jetzt als Abschaum bezeichnen, Arme-Leute-Kind, Sozialschmarotzer oder trash, wie sie es in seiner alten Schule getan hatten. Unwillkürlich grinste er den gutaussehenden jungen Mann an, der ihm aus dem Spiegel entgegensah.

Wenn sie mich jetzt sehen könnten! Wenn Aaron mich jetzt sehen könnte!

Und mit dem Gedanken an Aaron kamen die Traurigkeit und die Fragen wieder. Wie es ihm wohl ging? Ob man ihm auch eigene Klamotten gekauft hatte?

Er begann, Schuld zu empfinden, weil es ihm gut ging. Dennoch war da ein kleiner, selbstsüchtiger Teil in ihm, der sich über die neuen Sachen freute.

Wolfswandler II: BlutwandlerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt