Die folgenden Nächte wurden anstrengend für Caleb. Erst versuchte Sorin ihn mit seinen neuen Fähigkeiten vertraut zu machen, danach nahm ihn Derek in die Mangel. Die Verwandlung in seine Vampirgestalt hatte er bald im Griff, aber die teilweise Metamorphose einzelner Körperteile klappte nicht. Es gab nur Entweder-Oder für ihn. Auf das gleiche Problem stießen sie, als es um die Fähigkeit ging, die Caleb am meisten interessierte: eine bestimmte Aura auszustrahlen. Erst sollte er lernen, seine eigenen Emotionen von einem von außen beeinflussten Gefühl zu unterscheiden. Als Caleb den Unterschied partout nicht begreifen wollte, ging Sorin zu drastischeren Mitteln über. Mittags zur besten Schlafenszeit stürzte sich Sorin auf ihn, würgte ihn und fauchte ihn mit seiner Vampirfratze an. Wenn er nicht schon tot gewesen wäre, hätte Caleb den Schreck nicht überlebt. Als er hellwach und alarmiert war, ließ Sorin von ihm ab und legte sich wieder hin.
»Siehst du, das war echte Angst. Merk dir das und versuche, die Unterschiede festzustellen, wenn ich später meine bedrohliche Aura einsetze.«
Als ob nichts gewesen wäre, schloss der Schuft die Augen und war kurz darauf wieder im Tiefschlaf. Caleb dagegen konnte lange nicht mehr einschlafen. Aber diese Schocktherapie wirkte. Beim nächsten Versuch bemerkte Caleb tatsächlich einen Unterschied. Es gab da eine Schwingung, die nicht zu seinen eigenen Gefühlen passte, wie ein falsch gestimmtes Instrument in einem Orchester. Nicht auffällig, wenn man nicht darauf achtete, aber wenn man es erst einmal wusste, fiel es direkt auf. Bei weiteren Versuchen konnte Caleb immer sagen, wann Sorin seine Aura einsetzte und wann er einfach nur ein finsteres Gesicht machte. Auch das Abblocken war kein Problem mehr, sobald er die Beeinflussung erkannte.
»Hervorragend! Das klappt ja prima!«, lobte Sorin. »Dann gehen wir zum nächsten Schritt: Erzeugen einer Aura. Der Trick dabei ist der Gleiche wie bei der teilweisen Verwandlung.«
Er tippte sich an den Kopf.
»Es findet alles hier drin statt. Du musst es bildlich vor dir sehen.«
Die ersten Versuche waren ein Desaster.
»Du musst dir einfach vorstellen, dass du das Bedrohlichste oder Geilste bist, was es auf der Welt je gegeben hat.«
Caleb fand es schwierig, sich in einer solchen Rolle zu sehen, aber versuchte den Mangel an Glauben durch mehr Krafteinsatz auszugleichen. Er kniff die Augen fest zusammen und bemühte sich krampfhaft, eine Aura auszustrahlen.
Nach zwei Minuten angestrengter Ausstrahlungsversuche fragte Sorin besorgt: »Hast du Verstopfung? Dein Gesicht sieht jedenfalls sehr danach aus.«
Das riss ihn endgültig aus seiner Konzentration.
»Du Idiot! Ich versuche hier wirklich mein Bestes!«
»Das Problem ist, dass du nicht daran glaubst. Du musst davon überzeugt sein, dass du bedrohlich, sexy oder sonst was bist. Erst dann klappt es. Was meinst du, warum die meisten von uns Vampiren überhebliche Arschlöcher sind? Wir halten uns wirklich für eindeutig grandios. Versuch deine Verführungsaura!«
Caleb gab sich alle Mühe und schaute Sorin erwartungsvoll an.
»Oje, dagegen ist ja Theron die reinste Sexbombe. Ich glaube, wir sind wieder bei dem Thema Selbstbewusstsein. Ich muss mir da was einfallen lassen.«
Beim Training scheuchte ihn Derek. Er war inzwischen immer mehr zu Kampfübungen übergegangen und schenkte ihm nichts.
»Ausweichen!«
»Verdammt, greif an! Meine Deckung war völlig offen!«
»Schlag zu! Ich bin nicht aus Zucker!«
Caleb gab sein Bestes, im Ausweichen und Haken schlagen war er auch gut, aber er musste ehrlicherweise zugeben, dass er sich immer noch nicht recht traute, selbst anzugreifen. Jahrelang gelernte Gewohnheiten ließen sich so schnell nicht ablegen, es war ihm in Fleisch und Blut übergegangen.
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Wolfswandler II: Blutwandler
FantasyCaleb hat kein einfaches Leben. Nach einem Unglück kommt er zwar bei einer liebevollen Familie unter, doch wird von seinem Pflegebruder getrennt. Beim Versuch ihn zu retten, schließt er tödliche Bekanntschaft mit einem Vampir. Als er wieder erwacht...