Kapitel 43

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Die Zeit danach wurde für alle Beteiligten stressig. Marcus saß mit Mitch, dem Finanzchef zusammen und plante Umbesetzungen und Neustrukturierungen in den Firmen von Red Life. Wichtige Mitarbeiter waren unter den Aufrührern gewesen, die ersetzt werden mussten. Sorin war damit beschäftigt, Verräter aufzuspüren sowie Christina und Amanda ausfindig zu machen, konnte aber keine großen Erfolge erzielen. Viele hatten sich in Territorien anderer Clans abgesetzt, manche blieben schlicht nicht auffindbar. Er erwischte zwei Verräter, die nun einer neuen Karriere als Aschehaufen frönten. Er spannte auch Caleb für Ermittlungen und kleinere Aufträge ein. Sein Einsatz in der Abteilung ZBV war offenbar beschlossene Sache. Caleb widersprach nicht, es gab ihm eine sinnvolle Aufgabe, war interessant und er freute sich, dass man ihm endlich etwas zutraute. Wenn er freie Zeit hatte, verbrachte er sie gerne mit Derek beim Trainieren, denn alle anderen hatten zu viel zu tun. Jamaal hatte sich von Marcus grünes Licht für ein neues IT-Konzept geholt und saß Tag und Nacht an seinen Planungen. Caleb vermutete, dass er sich damit von der Enttäuschung ablenken wollte, von seiner geliebten Christina nur benutzt worden zu sein. An einem Morgen fand Caleb in seinem Zimmer einen Umschlag vor, der seine neuen, gefälschten Papiere enthielt. Mit einer schwungvollen Handschrift geschrieben stand darauf: »Gratuliere zur Volljährigkeit! Sorin«.

Caleb öffnete ihn und fand Ausweis, Führerschein und Sozialversicherungsausweis darin.

Bei einem der Trainings mit Derek und der Garde kam unerwartet Marcus hinzu. Lucien wusste offensichtlich Bescheid, denn er ließ alle Antreten und machte formal Meldung an Marcus.

»Herr, Eure Leibgarde erwartet euch.«

Marcus nickte und wandte sich an die Truppe.

»Wie ihr alle wisst, hatten wir einige schwere Tage. Verräter wollten die Macht übernehmen, doch sie sind gescheitert, weil ihr loyal zu mir gehalten habt. Dafür bin ich dankbar und spreche euch meine Anerkennung aus. Doch jemand unter euch hat weit mehr als seine Pflicht getan: Er hat bedenkenlos sein Leben riskiert, um meines und das eines eurer Brüder zu schützen. Das soll belohnt werden. Anwärter Derek vortreten!«

Derek schaute sich zu seinen Kameraden um, unsicher, ob wirklich er gemeint war. Die Braunhaarige neben ihm versetzte ihm schließlich einen Schubs und er ging nach vorne zu Marcus.

»Anwärter Derek, mit sofortiger Wirkung ernenne ich dich zum vollwertigen Mitglied der Leibgarde! Ich gratuliere!«

Die Garde brach in wildes Freudengeschrei aus. Derek wurde knallrot und ließ sich von Marcus die Hand schütteln.

»Wenn ich sonst noch etwas für dich tun kann, lass es mich wissen. Garde, ihr dürft euer neuestes Mitglied jetzt taufen!«

Im Nu war Derek von den anderen umringt. Man hob ihn hoch und trug ihn unter Johlen und gegenseitigen Anfeuerungsrufen in die Dusche. Dort würde man ihm einen Eimer Blut über den Kopf schütten, das hatte Caleb jedenfalls von Derek erfahren, als er einmal über die Aufnahmerituale der Leibgarde gesprochen hatte. Dem Neuen oblag es dann, danach wieder alles sauber zu machen. Marcus schaute ihnen kurz lächelnd hinterher, dann wandte er sich zum Gehen. Caleb fand es den perfekten Zeitpunkt, um seinen schon länger gehegten Plan umzusetzen.

»Marcus, hast du einen Moment Zeit? Ich wollte etwas mit dir besprechen ...«

Knapp eine Woche später erhielt er die Nachricht, dass Marcus zu einem Treffen um Mitternacht eingeladen hatte. Er traf zusammen mit Derek ein, Marcus, Lucien und Sorin saßen bereits um den Tisch und lächelten sie freundlich an. Theron kam aus seiner Ecke und begrüßte Caleb wie immer überschwänglich.

»Da wir jetzt vollständig sind, können wir anfangen. Die dringendsten Aufgaben nach dem Putschversuch sind erledigt, jetzt geht es weiter. Das Thema mit den Werwölfen und diesem Urwolf ist immer noch offen.«

»Aber ich dachte, die hatten damit nichts zu tun?«, unterbrach Caleb.

»Das nicht, aber es ist immer noch eine potenzielle Gefahr und eine offene Flanke für uns. Ich möchte agieren, nicht reagieren dieses Mal. Außerdem habe ich gesagt, dass ich mit dem Urwolf persönlich sprechen will und daran hat sich nichts geändert.«

»Aber die Werwölfe haben das doch nicht zugelassen?«

»Genau. Darum haben wir uns einen Plan ausgedacht, wie wir mit ihm sprechen können. Sorins Spione auf der Schule haben uns Fotos von diesem angeblichen Urwolf und seinem Mate zugeschickt.«

Marcus schob ein paar Fotos über den Tisch. Sie zeigten zwei Jugendliche auf einem freien Platz, die miteinander redeten. Ein Schwarzhaariger und ein etwas Größerer mit dunkelblonden Haaren. Caleb konnte nichts Besonderes an ihnen erkennen.

»Von denen soll einer der Urwolf sein? Hatte ich mir beeindruckender vorgestellt«, kommentierte Derek. Caleb konnte dem nur zustimmen.

»Ich auch«, meldete sich Sorin, »Aber mein Spion schwört, dass es sich dabei um den Urwolf handelt.«

»Okay. Und was habt ihr nun vor?«, fragte Caleb.

Marcus lächelte ihn breit an.

»Du hast dich bei dem Kampf mit Senef-sewar geschickt verhalten. Und du kannst doch so gut mit Hunden, wie man an Theron sieht. Außerdem bist du jung, im gleichen Alter wie dieser Urwolf ...«

Bei Caleb schrillten die Alarmglocken.

Als er damals Sorin unangenehme Aufgaben aufdrücken wollte, hat er auch so viel Süßholz geraspelt!«

»Ja?«, fragte er misstrauisch.

»Deswegen bist du geradezu prädestiniert, den Urwolf zu uns bringen!«, erklärte Marcus strahlend.

»Was?«

Caleb glaubte, nicht richtig gehört zu haben. Sorin erklärte ihm den Plan und Caleb musste zugeben, dass es funktionieren könnte, doch es blieben viele offene Fragen.

»Aber ich weiß doch so gut wie nichts über Werwölfe! Und es kann dabei so viel schiefgehen!«

»Aus dem Grund wird Sorin dich mit unseren Werwolf-Dossiers versorgen, wo du alles über sie lernen kannst. Außerdem hat Lucien sich angeboten, mit dir ein ganz persönliches Kampftraining durchzuführen, damit du gut vorbereitet bist.«

Caleb sah zu Lucien, der ihn mit einer gewissen Vorfreude angrinste.

»Aber ... aber ...«

»Gut, nachdem das geklärt ist, komme ich noch zu einem anderen Punkt. Derek.«, überging Marcus seine Bedenken. Caleb riss sich zusammen. Wenn er schon vor einem Himmelfahrtskommando stand, konnte er wenigstens für Derek noch etwas Gutes tun. Marcus hielt sich an das Drehbuch, das er mit ihm wegen Derek abgesprochen hatte.

»Ja, Herr?«

»Bei deiner Beförderung habe ich dir gesagt, dass du einen Wunsch frei hast. Ist dir schon etwas eingefallen?«

»Nein, Herr. Euer Leibgardist zu sein, ist Belohnung genug.«

Das war Calebs Stichwort.

»Ich hätte da eine Idee, Marcus. Du könntest mit ihm schlafen. Er ist schon seit Jahren verknallt in dich.«

Derek fuhr herum. Er schaffte es, gleichzeitig blass zu werden und rot anzulaufen.

»Was? Bist du verrückt geworden? Caleb, wie kannst du ... Herr, das ist ... Er redet Unsinn!«

Marcus schaute ihn ruhig an.

»Das ließe sich einrichten. Ihr anderen dürft euch zurückziehen. Derek, du bleibst hier.«

Mit einem wissenden Grinsen erhoben sich Sorin und Lucien. Caleb folgte ihnen nach draußen. Das Letzte, was er von Derek sah, war sein verdatterter Gesichtsausdruck und ein debiles Grinsen, als Marcus sich ihm langsam näherte.

Auf dem Flur sprach Lucien ihn an, immer noch mit diesem für ihn untypischen Grinsen.

»Du kommst mit mir für deine erste Trainingseinheit. Ich habe mir für dich etwas Besonderes einfallen lassen: Ein ganz spezielles Hulktraining.«

Er packte ihn und schob ihn vor sich her. Hilfesuchend schaute sich Caleb nach Sorin um, der nur entschuldigend mit den Schultern zuckte und ihn schadenfroh angrinste.

Oh Shit!

Wolfswandler II: BlutwandlerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt