Sie fuhren mit dem Aufzug nach unten und wurden von Derek empfangen.
»Nanu, wieso hast du heute Wachdienst? Das gehört doch nicht zu den Aufgaben der Leibgarde?«, wunderte sich Marcus.
»Lucien hat mich darum gebeten, Herr. Die vorgesehenen Wachen sind nicht erschienen. Er lässt sie schon überall suchen.«
Marcus runzelte die Stirn.
»Ich will informiert werden, wenn sie wieder auftauchen. Lucien soll genug von ihnen übrig lassen, damit ich mit ihnen reden kann. Sag ihm das.«
»Ja, Herr.«
Marcus ging davon und Caleb bemerkte, wie Derek ihm sehnsüchtig hinterher starrte. Nun hatte er seine Bestätigung, wer Dereks heimlicher Schwarm war.
Wieso ist mir das nicht früher aufgefallen? Deswegen verhält er sich immer so komisch. Ich muss Jamaal fragen.
Er zwinkerte Derek zu und folgte Marcus. An der letzten Tür blieb dieser stehen und winkte Caleb herein. Zuerst hatte er es für eine weitere Arrestzelle gehalten, da sie genau wie die anderen einen Sehschlitz hatte, doch diese war anders. Die rechte Wand verfügte über ein kleines Fenster und etwas daneben stand ein riesiger Steinquader aus anthrazitfarbenem Marmor, in etwa so hoch wie Caleb selbst. Marcus blieb an der Tür stehen und deutete auf das Fensterchen.
»Schau's dir an. Unsere Schatzkammer.«
Gespannt warf Caleb einen Blick durch das dicke Panzerglas. Er sah ein großes, in Leder gebundenes Buch, das sehr alt wirkte. In einer anderen Vitrine, etwa einen Meter neben der ersten und ebenfalls unter einem Glassturz ein rechteckiges, goldfarbenes Ding, das ihn ziemlich an eine Blumenvase erinnerte. Details konnte er wegen der Entfernung und dem dicken Glas nicht erkennen. Zwei Punktstrahler setzten die beiden Ausstellungsstücke in Szene. Ansonsten war der Raum leer. Trotz der Vorwarnung von Sorin war er enttäuscht. Er hatte sich die Schatzkammer irgendwie ... geiler vorgestellt.
»Da kann man ja gar nichts sehen!«, beschwerte er sich nach einer Weile.
»Geh doch rein. Du musst nur das Steinchen verschieben«, sagte Marcus und lehnte sich entspannt an den Türrahmen.
Caleb schaute ihn fragend an, doch Marcus nickte ihm auffordernd zu. Ohne große Zuversicht versuchte er, den Steinquader zu bewegen, doch was er auch unternahm, das Ding bewegte sich keinen Millimeter. Frustriert und außer Atem gab er auf.
»Der wiegt ja Tonnen!«
»Ganz recht. Neben all den technischen Spielereien wie Videoüberwachung, Erschütterungssensoren und was weiß ich, sind die einfachen Methoden doch die besten. Da kann auch mal der Strom ausfallen und trotzdem kann niemand was stehlen.«
Er schob Caleb beiseite und legte seine Hände um eine Kante des Quaders. Marcus verzog das Gesicht vor Anstrengung und der Steinklotz begann sich zu bewegen. Erst langsam, dann schneller. Dahinter kam eine Tür zum Vorschein.
»Geh rein und schau dir alles aus der Nähe an. Aber nichts anfassen, sonst geht der Alarm los!«
Caleb betrat die Kammer. Die Luft roch abgestanden und eine drückende Stille dämpfte jedes Geräusch. Das Buch war eine uralte dicke Schwarte mit fleckigem Ledereinband und einem Schloss, sonderlich beeindruckend sah es nicht aus. Die Urne von Senef-sewar sah auch auf den zweiten Blick einer metallischen Blumenvase verteufelt ähnlich. Rechteckig, langgezogen und an den vier Seiten mit Schriftzeichen versehen, die Caleb nicht lesen konnte. Die obere Öffnung war verkorkt und mit Wachssiegel verschlossen.
So alt sieht das Ding gar nicht aus. Und schön ist auch anders.
Er ging um die Vitrine herum, um sich die Urne von allen Seiten zu betrachten, und achtete peinlich darauf, den Glassturz nicht zu berühren, um keinen Alarm auszulösen. Als er sich gerade die vierte Seite der Urne anschauen wollte, hielt er inne. Sein Unterbewusstsein meldete sich. Irgendetwas störte ihn. Er warf einen kurzen Blick auf die rätselhaften Schriftzeichen, dann nahm er die dritte Seite der Urne noch einmal genauer unter die Lupe. Was war es, dass ihn stutzig werden ließ? Diese Seite sah aus wie die anderen. Gold, merkwürdige Schriftzeichen, eingestanzte Muster an den Kanten ... dann sah er es.
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Wolfswandler II: Blutwandler
FantasíaCaleb hat kein einfaches Leben. Nach einem Unglück kommt er zwar bei einer liebevollen Familie unter, doch wird von seinem Pflegebruder getrennt. Beim Versuch ihn zu retten, schließt er tödliche Bekanntschaft mit einem Vampir. Als er wieder erwacht...