Kapitel 17

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»Aber genug davon. Wir sollen uns ja noch um Venthi kümmern.«

»Wer ist denn das?«

»Venthi Shemna ist der Erschaffer von Marcus. Er ist etwas ... na ja, speziell«, sagte Sorin, stand auf und bedeutete Caleb, ihm zu folgen.

»Marcus' Erschaffer? Dann ist er ja noch älter und mächtiger als Marcus? Wieso leitet er nicht den Clan?«

Sorin rief den Fahrstuhl.

»Weil er das Interesse daran verloren hat. De facto hat Marcus nach und nach immer mehr den Clan geleitet und irgendwann wurde es offiziell gemacht. Venthi war die ganzen Winkelzüge, Intrigen, Machtkämpfe und kleine Mordanschläge der Clans leid, obwohl er jahrhundertelang eifrig mitgespielt hat. Außerdem ist er der Meinung, dass der Barock und ganz besonders der französische Hof in der Zeit von Ludwig XIV. der Höhepunkt an Kultur und Stil war und es danach bergab gegangen ist. Er weigert sich, von den alten Traditionen zu lassen, und lebt in seiner eigenen Welt, du wirst sehen. Das Einzige, was er aus der heutigen Zeit nach vielem Zureden akzeptiert hat, ist ein iPad. Darum sind wir hier.«

»Ein iPad? Hat Marcus nicht etwas von Bibliothek erzählt?«, wunderte sich Caleb.

»Ja, genau. Venthi ist eine Leseratte. Du kannst dir denken, wie viele Bücher sich im Laufe eines so langen Lebens ansammeln. Du kannst dir aber nicht vorstellen, was für ein Aufwand es war, diese ganzen Schmöker zu transportieren, wenn wir ein neues Quartier brauchten! Droschken voller Bücher!«

»Was sind Droschken?«, fragte Caleb.

»Pferdekutschen. Das hatte man früher vor den LKWs. Verflucht, bist du jung! Ich vergesse das immer wieder. Jedenfalls haben wir die ganzen Bücher digital beschafft, so dass er sie auf seinem iPad lesen kann. Er schafft es aber immer wieder, das Icon sonstwohin zu schieben oder gleich die ganze App zu löschen. Das meinte Marcus vorhin damit, dass Venthi seine Bibliothek nicht mehr findet.«

Er blieb vor einer Tür stehen.

»Also, wenn wir jetzt da reingehen, tu einfach dasselbe wie ich und rede nur, wenn du angesprochen wirst, klar?«

Caleb nickte nervös. Er war gespannt, was da drinnen auf ihn wartete. Sorin klopfte und lauschte auf eine Antwort.

»Entrez!«, schnarrte eine gelangweilte Stimme von innen. Sorin öffnete die Tür und trat ein.

Caleb war erschlagen von der Einrichtung des Zimmers und fühlte sich in eine andere Welt versetzt. Protzige Kristalllüster an der Decke und mehrere Kandelaber sorgten für Helligkeit. Die Wände waren mit Spiegeln verkleidet und verstärkten das Licht. Er sah sich tausendfach reflektiert in den gegenüberliegenden Spiegeln. Unendlich viele Calebs starrten ihm entgegen und gaben jede kleinste Bewegung zurück. Er fühlte sich seekrank.

Tische, Schränkchen sowie Stühle waren weiß lackiert und mit goldfarbenen Leisten und Intarsien verziert. Die Beine waren geschwungen, sie wirkten nicht, als ob sie viel Gewicht aushalten würden. Auf jeder Oberfläche stand verschnörkelter und verspielter Nippes. Das ganze Zimmer wirkte schwülstig, absolut überladen.

Sorin stupste ihn an und riss ihn aus seinen Gedanken. Er verbeugte sich schwungvoll.

»Es beliebten Ihro Gnaden nach mir zu schicken?«

Erst jetzt bemerkte Caleb einen Mann in dem endlos gespiegelten Pomp. Dank seines Äußeren war er in dem ganzen Nippes gar nicht aufgefallen, denn er passte perfekt dazu. Goldfarbene, dreiviertellange Hosen und eine gleichfarbige Weste, dazu ein Rüschenhemd. Weiße Kniestrümpfe, die in ein paar dunklen Schnallenschuhen endeten. Lange, schwarze Haare, die ihm bis auf die Schultern herabhingen und kunstvoll gelockt waren. Sein Alter war schwer zu schätzen, da seine Haut marmorweiß war, abgesehen vom Mund. Der war kräftig rot angemalt.

Wolfswandler II: BlutwandlerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt