Kapitel 10

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Er hatte eine Weile vor sich hingedöst, als er am Kragen gepackt und hochgehoben wurde. Caleb wurde davon kalt erwischt, er hatte nichts gehört oder gespürt. In dem wenigen Licht, was von außen hereindrang, konnte er vage eine Silhouette erkennen. Er wehrte sich und trat und schlug gegen seinen Gegner, doch der ließ sich davon nicht beeindrucken.

»Lass mich los!«

Der Angreifer hob ihn höher, so dass er mit seinen Beinen in der Luft hing. Caleb fragte sich, wie das möglich war, schließlich hielt ihn der Fremde nur mit einer Hand hoch. Er musste unglaublich stark sein. War er in jemandes Revier eingedrungen?

»Lass mich runter, dann haue ich ab. Was willst du von mir?«

Zu seiner Überraschung wurde er tatsächlich losgelassen und stürzte zu Boden. Dann hörte er zum ersten Mal die Stimme seines Gegners.

»Du bleibst hier. Ich will dein Blut!«, erklang es sanft, fast amüsiert.

Oh Gott! Ein Wahnsinniger oder komplett auf Droge! Daher war er so stark!

Panisch tastete er auf dem Boden herum, bis er die Flasche zu greifen bekam. Er ahnte, dass ihm gute Worte alleine hier nicht helfen würden. Wieder wurde er gepackt und hochgerissen. Der Mann schleppte ihn ein paar Meter weiter in einen Raum, wo er endgültig nichts mehr sehen konnte, und stieß ihn dort gegen eine Mauer. Caleb schlug die Flasche hinter sich an die Wand, so dass sie teilweise zerbrach. Er packte die Reste fester und lauschte nach seinem Angreifer. Außer dem eigenen heftigen Atmen konnte er nichts hören. Trotz der Kühle des Morgens rann ihm der Schweiß herunter. Kein Zeichen verriet den Irren. Caleb begann schon zu glauben, dass er sich aus dem Staub gemacht hätte, als er wieder gepackt wurde.

»Wehr dich nicht. Dann ist es schneller vorbei.«

Erneut diese gleichmütige Ruhe in der Stimme, die so gar nicht zu der Situation passte. Caleb strampelte und ihm wurde bewusst, dass es ernst wurde und es nun hieß, er oder ich. Panisch stieß er mit der abgebrochenen Flasche zu. Er spürte, wie sie sich in den anderen Körper bohrte. Er fühlte, wie Blut warm auf seine Hand spritzte. Die Flasche zersplitterte und schnitt ihm in die Finger. Der Fremde ließ ihn los und schien einige Schritte rückwärts zu stolpern. Instinktiv leckte Caleb über die Wunde an seiner Hand. Der Gedanke, dass er auch das Blut des Angreifers aufgeleckt hatte, kam ihm erst viel später. Ein wütendes Fauchen lenkte ihn ab.

»Das war ein Fehler. Jetzt stirbst du!«, sagte der Fremde voller Hass.

Calebs Sinne waren aufs Äußerste angespannt. Pures Adrenalin versetzte seinen Körper in höchste Alarmbereitschaft. Er duckte sich und machte einen Schritt zur Seite. Doch ohne Erfolg. Der Kerl presste ihn mit einer Hand brutal gegen die Mauer, so dass Caleb meinte, in eine Schraubzwinge geraten zu sein. Mit der anderen wurde sein Kopf gewaltsam zur Seite gedrückt. Dann fühlte er, wie sich das Gesicht des Angreifers an seinen Hals presste. Als Nächstes einen grausamen Schmerz.

Oh Gott! Er hat mich gebissen! Der will mir die Kehle aufreißen!

Wieder schlug und trat er um sich, aber genauso gut hätte er gegen eine Mauer kämpfen können. Der Andere biss nicht weiter. Stattdessen spürte er ein Ziehen an seinem Hals und hörte Schlürfgeräusche. Die Schmerzen ließen nach, er wurde schwächer und hatte bald keine Kraft mehr, Widerstand zu leisten. Er sah aufblitzende Sterne vor seinen Augen und wurde immer müder. Sein Gedanken drifteten wiederholt ab und er hatte Probleme, sich auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren.

Ist das der Tod? Ich hab doch noch gar nicht gelebt! Alles ... so unfair! Aaron, es tut ... mir ...

Dann war da nichts mehr. Sein Bewusstsein zerfaserte sich in die schwarze Unendlichkeit.

Wolfswandler II: BlutwandlerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt