Kapitel 21

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Sie arbeiteten sich von Etage zu Etage nach unten, wo Sorin einiges über die verschiedenen Abteilungen und ihre Aufgaben erklärte. Caleb verstand nicht alles und er war auch nicht übermäßig daran interessiert. Im Wesentlichen waren es gewöhnliche Büros, wie in jeder anderen Firma. Die Vampire unter den Angestellten begrüßten Sorin mit einem Nicken oder wechselten ein paar kurze Worte mit ihm. Caleb wurde meist etwas neugierig beäugt. Sorin stellte ihm viele vor, doch Caleb gab es bald auf, sich die ganzen Namen zu merken. Es herrschte im Allgemeinen eine ruhige Atmosphäre. Das änderte sich schlagartig, als sie ein Großraumbüro betraten. Caleb hatte das Gefühl, einen Bienenstock betreten zu haben. Hektische Betriebsamkeit, Stimmengewirr und rätselhafte Gesprächsfetzen drangen an sein Ohr. Jeder hatte mindestens drei Bildschirme vor sich und hackte wild auf Tastaturen herum. Mitten drin saß ein Mann am Schreibtisch, der hektisch fünf Displays auf einmal im Auge zu behalten versuchte, dabei ebenfalls seine Tastatur malträtierte und stakkatoartig in ein Headset sprach. Manchmal kam einer der anderen Mitarbeiter zu ihm und hielt ihm stumm ein Blatt Papier hin. Entweder er nickte oder schüttelte den Kopf, dann verzog sich der Fragesteller wieder. Caleb fragte sich, auf wie vielen Hochzeiten der Mann gleichzeitig tanzte und wie er den Überblick dabei behielt.

Sorin hob grüßend eine Hand und erklärte Caleb: »Das hier ist das finanzielle Herz des Unternehmens. Der vielbeschäftigte Mann hier ist unser Finanzchef Mitchell Montoya in seinem Element. Wir nennen ihn Mitch, die Konkurrenz nennt ihn ›Mitch the Bitch‹.«

Ein strafender Blick von ihm traf Sorin.

»Ich glaube, wir stören die Jungs besser nicht länger«, sagte Sorin schnell und schob Caleb nach draußen.

Sie setzten ihren Rundgang fort. Caleb war beeindruckt, was alles hier an Tätigkeiten und Charakteren zusammenkam. Aber ihn beschäftigte eine andere Frage.

»Sorin, du hast gesagt, ich könnte hier vielleicht für euch nützlich sein. Aber von dem Meisten, was ich hier gesehen habe, verstehe ich nur die Hälfte oder habe gar keine Ahnung, also wie soll das gehen?«

»Du denkst immer noch in den Kategorien der Menschen. Du hast Zeit. Du kannst lernen. Niemand hier ist mit seinem Wissen zur Welt gekommen. Nimm unseren Finanzguru. Er war Hufschmied, als er verwandelt wurde. Und heute mischt er auf den internationalen Finanzmärkten mit und kann dir nächtelange Vorträge über Derivate, Aktienoptionen, Devisenspekulationen und was noch alles halten. Du hast Jahrzehnte und Jahrhunderte vor dir.«

Im ersten Untergeschoss griff Sorin das Thema noch einmal auf.

»Wenn dir Zahlen und das Theoretische nicht liegen, gibt es andere Möglichkeiten. Wir sind da.«

Er öffnete eine Flügeltür und sie standen in einer Sporthalle, wo Männer und Frauen miteinander trainierten und kämpften. Die Kämpfe liefen in Vampirgeschwindigkeit ab, Caleb konnte den Bewegungen kaum folgen.

»Krallen einziehen!«, schnauzte ein Muskelprotz, der die Kämpfe beobachtete, einen der Teilnehmer an.

Sorin gab ihm ein Zeichen und er kam herüber. Brustkorb, Arme und Oberschenkel waren überdimensioniert. Für Caleb sah er aus wie der Hulk, nur nicht so grün. Sogar die kurzen, schwarzen Haare passten.

»Caleb, darf ich vorstellen? Das ist Lucien, der Präfekt unserer Prätorianergarde.«

Caleb schaute ihn verständnislos an.

»Was?«

»Er ist der Chef und Trainer unserer Wachen und von Marcus' Leibgarde.«

»Ach so. Freut mich.«

»Lucien, das ist Caleb. Er ist neu bei uns und ich dachte, es wäre eine gute Idee, wenn er etwas bei dir trainiert. Mich würde deine Einschätzung interessieren.«

Wolfswandler II: BlutwandlerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt