Kapitel 11

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Von einem Moment auf den anderen war Caleb hellwach und bei klaren Sinnen. Er öffnete die Augen und sah sich hektisch um. Er war alleine. Er lag in dem lichtlosen Kabuff, in das ihn sein Angreifer geschleppt hatte. Obwohl es immer noch so dunkel war wie bei dem Überfall, konnte er alles problemlos erkennen. Eine fleckige Decke, ein leeres Regal, ein modriger Schrank und allerlei Müll, der verstreut auf dem Boden lag. Vielleicht war der Andere draußen? Er musste hier weg. Bemüht, kein Geräusch zu machen, rappelte er sich auf und schlich vorsichtig in den Gang. Nichts zu sehen. Sein Rucksack und das Fahrrad standen unberührt da. Er wollte sich schnell in Sicherheit bringen und rannte zur Tür. Im nächsten Augenblick war die Tür direkt vor ihm, er konnte nicht rechtzeitig reagieren und donnerte ungebremst dagegen. Durch die Aktion knallte die Tür lautstark zu.

Was war das denn?

Hastig sah er sich um. Wenn dieser Lärm seinen Angreifer nicht anlocken würde, dann schaffte das vermutlich auch nichts anderes. Angstvoll lauschte er in die Dunkelheit. Aber es war weder etwas zu hören, noch zu sehen. Mutiger geworden suchte er den Keller ab, doch die verschiedenen verwahrlosten Kellerräume waren alle leer. Keine Spur von seinem Angreifer.

Okay, der ist weg. Entwarnung.

Langsam wurde er ruhiger und versuchte, sich darüber klarzuwerden, wie seine Lage war. Man hatte ihn angegriffen.

Gebissen. Das Schwein hat mich gebissen!

Hektisch tastete er seinen Hals ab, doch außer glatter Haut war nichts zu spüren. Erst jetzt fiel ihm sein penetranter Geruch auf und ein seltsames Kratzen in seinen unteren Bereichen. Die Hose war merkwürdig verfärbt.

Ich hab doch hoffentlich nicht ...

Er öffnete sie und schob sie nach unten. Sein Verdacht wurde bestätigt.

Bäh! Ich habe mir in die Hose geschissen. Ekelhaft!

Er musste feststellen, dass alles bereits zum größten Teil eingetrocknet war, was das komische Kratzen erklärte.

Ich muss ohnmächtig gewesen sein!

Angewidert stieg er aus seinen Schuhen und zog schnell die Hosen aus. Das T-Shirt folgte und er stand nackt im Keller. Das Oberteil hatte auch etwas abbekommen, wie der braune Fleck auf der Rückseite zeigte. Mit dem sauberen Rest reinigte er sich notdürftig. Er zog das Geld, das er Anne gemopst hatte, aus der Tasche und wunderte sich, dass es niemand gestohlen hatte. Mit spitzen Fingern klaubte er seine verschmutzte Kleidung auf und warf alles in einen der leeren Kellerräume. Aus seinem Rucksack fischte er sich frische Sachen. Seine besondere Unterhose packte er wieder weg und nahm sich eine andere. Die wollte er nicht einweihen, solange er sich nicht ganz und gar sauber fühlte. Er zog sich an und verschloss seinen Rucksack.

Ein Gefühl, das bisher durch die Umstände zurückgedrängt worden war, meldete sich in aller Deutlichkeit: Er hatte Hunger. Quälenden Hunger. Oder Durst. Jedenfalls brauchte er sofort Nahrung.

Wieso bin ich hungrig? Ich hab doch erst gestern Mittag was gegessen?

Er öffnete die Eingangstür und spähte hinaus. Es war nichts Auffälliges zu erkennen. Er überlegte kurz, sein Fahrrad und den Rucksack mitzunehmen, aber entschied sich dagegen. Er würde erst einmal zu Fuß die Gegend erkunden und später hierher zurückkehren. Schließlich war er gezwungen, den Tag überbrücken. Sein Plan sah immer noch vor, irgendwie in Gardners Büro einzubrechen, aber erst einmal musste er Essen auftreiben. Er lief vor zur Straße. Niemand zu sehen. Er wusste nicht, wie spät es war, doch am Bahnhof war die Wahrscheinlichkeit am höchsten, ein offenes Restaurant oder etwas Ähnliches zu finden. Er würde erst einmal zum Ende der Straße laufen und sich neu orientieren. Er setzte sich in Bewegung und war im nächsten Augenblick an seinem Ziel.

Wolfswandler II: BlutwandlerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt