Kapitel 16

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Sie verabschiedeten sich von Marcus. Auf dem Flur fragte Sorin: »Hast du noch Sachen, die du holen musst? Die Sonne geht bald auf. Wenn ich dich richtig verstanden habe, hast du ja deine bisherige Unterkunft abgefackelt, viel dürfte es ja nicht sein.«

»Nein, nur mein Fahrrad und mein Rucksack. Das Fahrrad ist draußen auf dem Parkplatz, der Rucksack steht in deinem Büro.«

»Du bist mit dem Fahrrad hergekommen? Ehrlich?«

Er grinste und schüttelte den Kopf.

»Du brauchst echt einen Intensivkurs über Vampire! Dein Fahrrad kannst du stehen lassen, dem passiert nichts auf unserem Parkplatz. Dann gehen wir jetzt in mein Büro, da wollte ich sowieso hin.«

Sie fuhren mit dem Aufzug nach oben und waren kurz darauf im Büro. Sorin setzte sich hinter den Schreibtisch und klappte seinen Laptop auf.

»Dann schauen wir mal ... Blutleerer Betrunkener, Überfall auf eine Frau und ein Brand.«

Er begann auf der Tastatur herumzutippen.

»Nein, nichts. Keine Vermisstenmeldung, kein rätselhafter Leichenfund.«

Er tippte weiter.

»Ah, hier. ›Leerstehende Ruine abgebrannt‹, das warst dann wohl du. Bla, bla, bla, ›die Polizei geht davon aus, dass Obdachlose den Brand ausgelöst haben oder eine Party von Jugendlichen außer Kontrolle geraten ist‹. Das klingt prima, du warst gründlich.«

Eine erneute Tippsalve. Sorin überflog die Ergebnisse und begann zu grinsen.

»Hier, das klingt doch nach dir, oder?«

Er drehte den Laptop zu Caleb um. Die reißerische Schlagzeile nahm die Hälfte des Bildschirms ein.

»Wahnsinniger Drogenjunkie beißt junge Frau!«

Er drehte den Computer zurück und begann vorzulesen.

»Die 28-jährige Vanessa P. war wie jeden Morgen auf dem Weg zur Arbeit, als sie überfallen wurde. ›Er hat mich hinterrücks niedergeschlagen und gebissen. Er war verwirrt und nicht Herr seiner Sinne. Ich dachte sofort an einen Junkie! Noch so jung, aber furchtbar entstellt! Sicher einer dieser Crystal Meth-Süchtigen, von denen man so viel hört. Schrecklich, was diese Drogen anrichten!‹, so Vanessa P.

Wir fragen uns, was noch passieren muss, damit unbescholtene Bürger in unserer Stadt sicher leben können? Falls Sie Hinweise haben, wenden Sie sich bitte an die örtliche Polizei.«

»Furchtbar entstellt? Frechheit! So schlecht sehe ich nun auch nicht aus«, mokierte sich Caleb.

»Hast du dich schon mal in deiner Vampirform gesehen?«

Caleb schüttelte den Kopf.

»Dachte ich mir. Komm her.«

Er ging zur Wand und drückte auf eine der vermeintlichen Wandpaneele. Dahinter verbarg sich ein Kleiderschrank. Er öffnete die Tür und ein Spiegel kam zum Vorschein.

So viel zum Thema Vampire haben kein Spiegelbild.

Er musterte sich. Er wirkte kräftiger und athletischer. Sein Gesicht war blasser als vorher, aber hatte mehr Profil. Irgendwie ... kerliger. Insgesamt sah er besser aus als früher. Verblüfft drehte er sich hin und her. Sorin machte sich an einer der anderen Wandverkleidungen zu schaffen, die sich als Kühlschrank entpuppte. Er rumorte darin herum. Caleb bewunderte immer noch sein Spiegelbild, als Sorin plötzlich mit einem Glas voller Blut vor seiner Nase herumwedelte. Instinktiv reagierte sein Körper darauf. Er spürte, wie seine Zähne ausfuhren, und das war nicht die einzige Änderung, wie ein Blick in den Spiegel bewies. Seine Augen waren blutunterlaufen, die Gesichtszüge zu einer Fratze verzerrt, die vollausgefahrenen Reißzähne standen über der Unterlippe und waren deutlich sichtbar.

Wolfswandler II: BlutwandlerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt