Kapitel 42

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Er holte mit dem Schwert aus, doch bevor er zustoßen konnte, sprang Derek mit einem »Nein!« in den Weg. Die Klinge bohrte sich in seinen Bauch und er riss überrascht die Augen auf. Mit einem Schmerzensschrei spießte er sich selbst weiter auf, drückte sich gegen Venthi und drängte ihn ab. Marcus hatte nun die Gelegenheit, wieder sein Schwert aufzunehmen. Mit einem Fluch riss Venthi seine Klinge zurück und Derek fiel zu Boden. Mit neuer Entschlossenheit griff Marcus an. Ein tödliches Ballett mit furiosen Attacken und Gegenattacken, Hiebe und Stiche mit meisterhafter Präzision und Geschwindigkeit.

Caleb hatte nur zusehen können, zu schnell war alles geschehen. Derek lag auf dem Boden, hielt sich den Bauch und stöhnte. Caleb konnte nur hoffen, dass er wieder gesund wurde. Er sah nach Jamaal, doch der lag unverändert da und erholte sich noch. Wenigstens schien er zu überleben. Eine Bewegung aus dem Trog lenkte ihn ab. Zum ersten Mal konnte er das Innere genauer betrachten. Dort hatte Venthi die Asche von Senef-sewar hineingestreut und Blutkonserven dazugegeben. Nun war mit Jamaals Blut die letzte Komponente vorhanden und das Gemisch begann zu reagieren. Dampf und Blasen stiegen auf und die Flüssigkeit bewegte sich träge. Ein scharfer Geruch drang in Calebs Nase. Die Bewegungen wurden heftiger, es blubberte, fast hätte man meinen können, dass die zähe Masse zu kochen begann, doch er spürte keine Hitze. Das Ganze wurde zu einer schwarzrotgrauen Masse, die hin und her waberte.

Scheiße! Was soll ich tun?

Derek war definitiv außer Gefecht. Marcus und Venthi kreuzten verbissen die Klingen. Die Flüssigkeit im Trog begann fester zu werden und bildete erste Formen aus. Sie war im stetigen Wandel. Hier entstand eine Kugel, dann löste sie sich in der amorphen Masse auf, dort ein Zylinder, der ebenso schnell wieder zerfiel.

Ein wilder Kampfschrei von Venthi lenkte ihn ab, doch die Attacke ging daneben. Damit hatte er Jamaal geweckt, der sich langsam aufsetzte. Er sah Derek verletzt auf dem Boden liegen und Marcus im verzweifelten Schlagabtausch mit Venthi. Ächzend kroch er langsam an den Rand des Troges.

Mit Erschrecken stellte Caleb fest, dass sich im Inneren einiges getan hatte. Die Masse hatte sich weiter verfestigt und eine menschenähnliche Form angenommen. Noch war es ein graurotschwarzer Klumpen feuchtglänzenden Protoplasmas, doch die Entwicklung beschleunigte sich. Wenn er nichts unternahm, wäre die Erweckung von Senef-sewar in wenigen Minuten abgeschlossen.

»Marcus! Senef-sewar wird bald erwachen! Was soll ich tun?«

»Saug ihn leer! Alles!«, knurrte Marcus kalt.

»Nein!«, rief Venthi und startete einen neuen Angriff.

Caleb sah, dass Jamaal langsam vom Trog glitt, dann widmete er sich seiner Aufgabe. Das Ding im Inneren hatte inzwischen menschliche Gesichtszüge entwickelt, aber lag immer noch unbeweglich da. Caleb kroch näher und drehte den Kopf auf die Seite. Es fühlte sich kalt an und gallertartig, ähnlich wie Gummibärchen. Es war immer noch von unnatürlicher Farbe, doch durch die Oberfläche meinte er Adern und Venen zu erkennen. Nach einem letzten kurzen Zögern versenkte er seine Zähne tief in den nachgiebigen, feuchten Hals des Dings und saugte. Als der erste Schwall Blut seine Zunge benetzte, stöhnte er entzückt auf. Dieses Blut war anders als alles, was er bisher getrunken hatte. Es war süß, schwer und berauschend. Es versprach Stärke und Leben. Gierig begann er fester zu saugen, begrüßte jeden einzelnen Tropfen, der in seinen Mund strömte. Ähnlich hatte er sich gefühlt, als er von Marcus einen Schluck getrunken hatte, aber dies war hundertfach stärker. Wenn man es vergleichen wollte, war Marcus Blut ein Wein gewesen, hier aber trank er hochprozentigen Schnaps. Bis zum letzten Tropfen hatte Marcus gesagt und Caleb hatte nichts anderes vor. Bald war seine Schwäche durch den Blutverlust von Jamaals Rettung vergessen, er fühlte sich gekräftigt und trunken von Macht. Immer mehr, immer schneller nahm er von diesem unendlich wertvollen Blut in sich auf. Und dann der letzte Tropfen. Er zog sich zurück. Das Ding im Trog wurde hart, spröde, verdorrte und bekam Risse. Der Torso fiel auseinander und wurde zu Asche.

Wolfswandler II: BlutwandlerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt