☆ River ☆
Warum zur Hölle ist die Tür nicht abgeschlossen? Haben die Reinigungskräfte etwa versäumt, nach ihrem Putzmarathon vor zwei Tagen das Haus ordentlich abzuschließen? Ein Fauxpas, den ich unverzüglich melden werde, denn so geht das nicht. Was ist, wenn sich in der Zwischenzeit jemand hier eingenistet hat? Ein Mietnomade womöglich.Kopfschüttelnd stelle ich meinen Koffer ab und schüttele dann den Rucksack von meinen Schultern. Wo ist denn Einstein? Wahrscheinlich erkundet er das Haus, denn es ist sein erster Besuch hier.
Habe ich Halluzinationen oder rieche ich hier gerade frisch gebrühten Kaffee? Das ist unmöglich oder wurde das Haus doch von irgendeinem Fremden in Beschlag genommen? Eilig fische ich das Telefon aus der Innentasche meines Parkas, wähle die Nummer meines Dads und mache mich langsam auf den Weg Richtung Wohnzimmer.
Leer!
Okay, das ist gut.
Oder etwa nicht?
»River«, meldet sich Dad nach dem vierten Klingeln und ich halte kurz inne, um erleichtert die angehaltene Luft auszustoßen.
»Hey Dad. Sag mal, Raven und Jacob sind doch auf den Malediven, richtig?«
»Ja, sie werden Weihnachten und Silvester dort verbringen. Warum fragst du? Bist du schon in Aspen?«
»Ja, bin eben am Haus angekommen. Deswegen rufe ich auch an. Das Haus war nämlich nicht abgeschlossen und da dachte ich, dass sich Raven vielleicht noch kurzfristig umentschieden hat und lieber Skifahren möchte anstatt sich bei tropischen Temperaturen am Strand zu aalen.«
»Nein, sie hat vor etwa einer Stunde deine Mom angerufen, um ihr mitzuteilen, dass sie heil angekommen sind und wie toll der Bungalow ist.«
Ja, das klingt eindeutig nach meiner kleinen Schwester.
»Vielleicht hat die Reinigungsfirma vergessen abzuschließen«, vermutet Dad und ich sehe es praktisch vor mir, wie er sich das glattrasierte Kinn reibt, so wie er es immer tut, wenn er nachdenkt.
»Möglich, aber wenn mich meine Nase nicht täuscht, dann hängt der Geruch von Kaffee in der Luft. Ist es möglich, dass sie heute nochmal wieder gekommen sind, da sie noch nicht fertig mit der Arbeit waren und jetzt eine Kaffeepause eingelegt haben?«
Dads Fluch am anderen Ende der Leitung lässt mich kurz erstaunt die Augenbrauen nach oben ziehen, denn normalerweise ist er immer sehr beherrscht. Sein Job als Staatsanwalt von Boston hat ihn gelehrt, sich im Zaum zu halten, egal wie schlimm ein Fall auch sein mag.
»Hast du schon nachgesehen, ob jemand im Haus ist?«
»Bin gerade dabei. Im Wohnzimmer sieht alles aus wie immer«, erkläre ich und lausche für einen Moment ins Haus hinein, doch da ist nichts. Wo ist eigentlich mein vierbeiniger Begleiter abgeblieben? Hat er etwa die Spur des Eindringlings aufgenommen? Wehe, wenn dieser Unbekannte meinem Hund auch nur das kleinste Haar krümmt, dann gnade ihm Gott.
Angespannt mache ich mich auf den Weg in die Küche und halte in der Bewegung inne, als ich sehe, dass die Tür zur Terrasse offen steht. Hier im Raum ist der Kaffeeduft noch stärker, daher lasse ich den Blick aufmerksam umher wandern bis er schließlich auf dem hochmodernen Vollautomaten fällt, dessen Display hell erleuchtet ist. Aha!
»Du bist ja ein ganz Verschmuster«, ertönt die Stimme einer Frau und ich steuere unverzüglich die offene Glastür an, wappne mich dafür gleich irgendeiner Schmarotzerin gegenüber zu stehen.
»Es ist jemand hier«, flüstere ich ins Telefon und spähe durch das bodenlange Fenster neben der geöffneten Tür.
»Wer ist es?«, verlangt mein Vater, zu erfahren.
Zuerst kann ich niemanden erkennen, aber dann sehe ich den heftig wedelnden Schwanz meines Hundes rechts in der Ecke. Ich mache einen Schritt zur Seite und schon erkenne ich einen knielangen weißen Mantel, weiße halbhohe Stiefel mit hohen Haken und eine weiße Strickmütze mit einer riesigen Bommel oben auf dem Kopf. Das lange braune Haar, in dem sich bereits Dutzende Schneeflocken verfangen haben, fällt der Frau über die Schultern. Sie hat sich nach unten gebeugt und krault meinen tierischen Freund hinter den Ohren.
Als ich einen Schritt nach draußen auf die Terrasse mache, hebt sie den Kopf und ich blinzele irritiert. »Dakota?«
»River?« Sie ist mindestens genauso überrascht wie ich. »Was machst du denn hier? Ich dachte, du bist in Südamerika.«
Ich halte den linken Zeigefinger in die Luft und bedeute ihr einen Moment, ruhig zu sein.
»Dad? Es ist nur Dakota.« Den Worten meines Vaters lauschend, der sich gerade bei meiner Mom erkundigt, wie die beste Freundin meiner Schwester in unser Ferienhaus kommt, drehe ich ihr den Rücken zu. »Wie bitte? Nein ... Ja ... Natürlich ist das kein Problem, immerhin ist das Haus ja groß genug. Okay ... mach ich. Alles klar, bis dann.«
Die Mütze vom Kopf streifend, atme ich tief ein und aus. Was mein Dad mir gerade gesagt hat, passt mir so gar nicht. Für die nächsten beiden Wochen soll ich mir mit der Zicke Dakota Evans das Haus teilen. Wir zwei und eine Wohngemeinschaft bilden? Nie im Leben geht das gut. Wen von uns beiden wollen sie zuerst begraben?
Schon immer waren wir wie Katz und Maus.
Ja, das Haus ist ohne Zweifel groß genug für zwei Personen und dank der zwei Wohnzimmer können wir auch ausreichend Abstand halten, aber wer will schon zwei Wochen lang unter Hochspannung Urlaub machen? Eigentlich bin ich hergekommen, um mich von der ganzen harten Arbeit in Bolivien zu erholen, neue Kraft zu tanken und mich beim Skifahren und Snowboarden zu verausgaben. Doch jetzt gerade ist mir die Lust gehörig vergangen. Wenn Dakota und ich aufeinandertreffen, dann ist die Luft immer total aufgeladen und jeder in unserer Umgebung wartet nur auf den großen Knall.
Wird unser Ferienhaus nach diesen zwei Wochen immer noch stehen oder machen wir es dem Erdboden gleich?
Nachdem ich mich wieder gesammelt habe, drehe ich mich um und mustere sie einen kurzen Augenblick. Ihre braunen Augen sind auf mich gerichtet und ich kann Überraschung und Neugierde in ihnen erkennen. Die vollen rosigen Lippen hat sie leicht geöffnet, sodass eine kleine Dampfwolke erscheint, als sie ausatmet. Trotz ihrer dicken, kälteabweisenden Kleidung sieht sie toll aus, das muss ich zähneknirschend zugeben. Dakota war schon immer eine schöne Frau, wenn auch ein wenig langweilig für meinen Geschmack. Stille Mäuschen und Klosterschülerinnen wecken keinerlei Jagdinstinkt bei mir. Aber ich hatte sowieso nie das Bedürfnis mein Glück bei ihr zu versuchen, denn sie hat noch nie eine Gelegenheit ausgelassen mir klarzumachen, wie sehr sie mich verabscheut. Warum auch immer!
Ich räuspere mich. »Ganz ehrlich, ich hatte mir den Aufenthalt hier ein wenig anders vorgestellt, aber da das Haus ja groß genug ist, sollte es uns möglich sein, uns so gut es geht aus dem Weg zu gehen, richtig? Ich werde eh die meiste Zeit des Tages auf den Pisten unterwegs sein.« Ihre Reaktion abwartend, schiebe ich meine Hände in die Taschen meiner Jacke und lasse dabei den Blick über die Gegend schweifen, tue dabei so, als bemerke ich sie gar nicht, was natürlich völliger Blödsinn ist. Aber ich weiß, dass Dakota es hasst ignoriert zu werden, vor allem wenn es da noch ungeklärte Dinge gibt.
Tja, stelle dich schon mal darauf ein in den kommenden Wochen meinen Rücken öfter zu sehen als mein Gesicht.
☆°~♡~°☆
Tja, so viel zum Thema Mietnomade bzw. Schmarotzerin. 😁
Danke Mr. Jennings!! Zwei Wachen mit der Feindin unter einem Dach. 👏 Da kommt Freude auf. 🤭
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Snowed In With The Sin
Short StoryDakota ist nach Aspen gekommen, um die Feiertage in aller Ruhe zu genießen und das vergangene Jahr mit all dem Stress und den herben Verlusten zu verarbeiten. Doch kaum ist sie nach einem grauenvollen Flug in dem Skiort angekommen, da erfährt sie, d...