Jämmerlicher Anblick

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Dakota


Bitte, holt mich hier raus!!!

Fassungslos sehe ich River dabei zu, wie er die anderen Einkäufe, unter anderem seine Bierkiste, auf dem Quad entsichert und auf dem Boden abstellt. Dieser Mann hat echt Nerven. Da kauft er eine ganze Kiste Bier, wo er weiß, dass wir mit Sicherheit bald eingeschneit sein werden. Wenn er denkt, dass ich mir sein betrunkenes Gelaber anhöre, dann ist er echt schief gewickelt. Für betrunkene Menschen hatte ich bisher noch nie viel übrig. In meinem bisherigen Leben hatte ich ein Mal einen Vollrausch und das war an meinem neunzehnten Geburtstag gewesen. Eine gefühlte Ewigkeit habe ich zu Hause über der Kloschüssel gehangen und mir die Seele aus dem Leib gekotzt. Einmal und nie wieder. Heutzutage halte ich mich zurück und behalte stets den Überblick über meinen Alkoholkonsum.

»Es würde mir schon reichen, wenn du den Baum reinbringst.«

Sehe ich aus wie Supermans kleine Schwester oder so? Dieses Holzgewächs ist mindestens dreißig Zentimeter größer als ich. Schnaubend hake ich meine Finger in das Netz ein, das um die Tanne gewickelt ist, und ziehe sie so auf den Boden, denn hochkant kann ich sie unmöglich tragen.

Einstein kommt aus den Tiefen des Hauses angerannt und bleibt abrupt stehen, als er sieht, wie ich mich mit diesem grünen Monstrum abmühe. Zaghaft schnuppert er an dem Ungetüm und beginnt erst zu knurren, dann zu bellen.

»Keine Bange, der tut dir nix«, versuche ich den Vierbeiner zu beruhigen, aber meine Worte scheinen ihn nicht zu überzeugen. Mit aufgerichtetem Schwanz umrundet er den Baum und versteckt sich letztendlich hinter meinen Beinen.

Erst eine große Klappe und dann ängstlich wie ein Kind. Von seinem Ziehvater hat er das auf jeden Fall nicht.

Entschlossen packe ich den Stamm des Weihnachtsbaumes, hebe ihn so ein Stück an und mach mich auf den Weg ins Wohnzimmer. Rückwärts wohlgemerkt. Der Großteil des Nadelbaumes schleift auf dem Boden, was ich leider nicht ändern kann. River hätte seine Errungenschaft ja auch selbst ins Haus tragen können, aber nein, es macht ja viel mehr Spaß, Dakota dabei zu zusehen, wie sie sich abmüht.

Arschloch!

Von der Pizza, die ich, während seiner Abwesenheit schon einmal vorbereitet habe, bekommt er definitiv nichts ab. Seine Arroganz werde ich nicht auch noch damit belohnen, indem ich mein Essen mit ihm teile. Den Rest friere ich für einen anderen Tag ein, gar kein Problem.

Ich ziehe den Baum durch das halbe Wohnzimmer und lege ihn vor dem Terrassenfenster ab. Kurz schaue ich mich in dem riesigen Raum um, auf der Suche nach der geeigneten Stelle, um das immergrüne Gewächs zu platzieren, und stelle erleichtert fest, dass hier der beste Platz ist.

Die gelösten Haarsträhnen hinter die Ohren streichend, atme ich tief ein und aus und rolle ein paar Mal mit den Schultern, um sie zu lockern. Wer hätte gedacht, dass so ein Bäumchen so verdammt schwer ist?!

Einstein beäugt die Tanne nach wie vor misstrauisch und schleicht unentwegt drumherum, schnüffelt und bellt abwechselnd.

»Holst du schon mal den Ständer?«, ruft River mir zu, als er vollbeladen in die Küche geht.

»Wo bewahrt ihr denn die Weihnachtsdekoration auf?«

»Unten im Haushaltsraum«, schreit er zurück.

Okay, dann hole ich mal den ganzen Kram. Jede Tätigkeit, die dafür sorgt, dass ich mich nicht mit ihm in einem Raum aufhalten muss, ist mir recht.

»Kann ich dich mit dem Eindringling allein lassen oder pinkelst du ihn dann an?«, will ich von dem Hund wissen und grinse in mich hinein.

So witzig die Vorstellung auch sein mag, so klar ist mir auch, dass das eine durchaus berechtigte Frage ist, immerhin markieren Tiere, anders als wir Menschen, ihr Territorium.

Natürlich gibt mir der Pelzträger keine Antwort, daher mache ich mich auf den Weg in den Keller.

Nachdem ich erfolglos mehrere Schranktüren geöffnet habe, finde ich doch noch den Christbaumständer. Dieser sieht aus wie ein Blumentopf aus Holz. Ich ziehe ihn aus dem Schrank und inspiziere ihn eingehend. Anscheinend wird er mit Wasser gefüllt. Gut, dann vertrocknen die Nadeln nicht so schnell. Neben dem Ständer liegen mehrere Schachteln, in denen sich Kugeln in unterschiedlichen Farben und verschiedene Lichterketten befinden.

Zuerst einmal trage ich den Baumständer nach oben, damit River schon mal anfangen kann, den Baum aufzuzustellen. Schwungvoll hebe ich den Topf hoch und setze ihn auf meiner Hüfte ab, ehe ich mich auf den Weg mache.

Als ich das Wohnzimmer betrete, schneidet Mister Jennings gerade das Netz auseinander und befreit die einzelnen Äste. Einstein rennt aufgeregt um ihn herum und bellt jeden Ast an, der ins Freie springt. Es ist nicht zu übersehen, dass es sein erstes Weihnachtsfest ist. Was wird er wohl erst zu dem geschmückten und beleuchteten Ungetüm sagen? Hoffentlich sieht er ihn nicht als Bedrohung an und stürzt sich auf ihn.

Im Nu entfaltet sich die Tanne zu ihrer vollen Pracht und mir entschlüpft ein Kichern.

River wendet sich zu mir um und wirft mir einen grimmigen Blick zu. »Warum lachst du?« Er hält seinen Kauf eine Armlänge von sich entfernt.

Dieses Exemplar von einem Tannenbaum ist schon ein trauriger Anblick. Unten ist er dicht bewachsen, nach oben hin düngt er sich aus, sieht sogar richtig mickrig aus. Wer verkauft nur solche Witzfiguren?

»Hast du dir den Baum vorher mal angesehen, ehe du ihn gekauft hast?« Grinsend trete ich näher, stelle den Baumständer neben ihm auf den Boden ab und beiße mir auf die Unterlippe. Die Szene vor mir ist einfach herrlich.

»Nein, er war schon verpackt.«

»Hätte ich an der Stelle des Verkäufers auch gemacht.« Als ich den Nadelbaum zur Hälfte umrundet habe, beuge ich mich ein wenig nach vorn und spähe durch eine Lücke im Geäst zu ihm herüber. »Ich hoffe, du hast die Lachnummer eines Weihnachtsbaumes auch für den halben Preis bekommen.« Dank seiner Größe fallen die Lücken besonders auf.

River beißt die Zähne zusammen und verschränkt die Arme vor der Brust. »Du kannst gern raus gehen und ein paar Äste besorgen, um den Baum aufzupimpen, wenn er dir nicht gut genug ist.«

Uhh ... da habe ich wohl einen wunden Punkt getroffen?

Strike!!!

»Nicht nötig. Wir schließen ihn auch so ins Herz, immerhin kann nicht jeder perfekt sein. Auch unter den Tannenbäumen gibt es welche, mit denen es Mutter Natur nicht ganz so gut gemeint hat.« Mitfühlend streiche ich über einen Ast und nicke entschlossen. »Geschmückt sieht er sicher toll aus.« Gleichzeitig frage ich mich aber, wie viel Kugeln wir dem armen Kerl zumuten können ohne das er unter dem Gewicht zusammen bricht.

Schnaubend dreht er sich um und verlässt mit großen Schritten den Raum.

»Habe ich ihn jetzt verärgert?«, frage ich Einstein, der probehalber an einem der unteren Äste knabbert. »Hey, lass das. Tu dem armen Kerlchen nicht noch unnötig weh. Er ist doch schon gestraft genug.«

Vorsichtig lehne ich den Baum gegen die Wand und mache mich wieder auf den Weg in den Keller, um die restliche Deko zu holen. Von River ist weit und breit nichts zu sehen oder zu hören. Hat er sich in seinem Zimmer verschanzt und sitzt eingeschnappt auf seinem Bett? Möglich ist bei diesem Mann alles. Niederlagen verkraftet er nur schwer und der Kauf dieses missratenen Weihnachtsbaumes kommt für ihn sicherlich einer Niederlage gleich.

☆°~♡~°☆


Oh oh ... das klingt, als hätte der mickrige Baum Streitpotenzial. 🙈

Da kommt noch ordentlich was auf uns zu. 😁

Snowed In With The SinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt