50

808 41 10
                                    


50


'Wer bist du?'

Diese Frage kreiste immer wieder in Joannas Kopf umher. Dazu noch Pietros Blick, der ihr mehr als deutlich zu erkennen gab, dass er sie nicht mehr kannte, dass er sie wirklich vergessen hatte.

Es tat weh.

Mit einem Wimmern zog Jo die Decke, welche über ihr lag, fester um sich. Sie hatte sich nach Pietros Worten sprachlos Wanda zugewandt, welche nur ein schwaches Nicken von sich gegeben hatte. Daraufhin war Jo auf der Stelle umgedreht und von der Krankenstation geflüchtet. Ihr Vater hatte sie schließlich auf dem Flur aufgegriffen und ein Blick seinerseits in ihr starres Gesicht war für ihn Bestätigung genug gewesen, sodass er sie schließlich in seine Etage gebracht hatte. Dort war Jo sofort in Richtung des Sofas geflüchtet und hatte sich unter einer Decke verkrochen.

Jo wusste nicht genau, wie lange sie bereits hier lag. Gefühlt eine Ewigkeit an, aber wahrscheinlich war es nicht mal eine Stunde. Auf jeden Fall rechnete sie es ihrem Vater hoch an, dass er sie so lange in Ruhe ließ. Gedämpft war kurz nach ihrer Ankunft das leise Flüstern ihres Vaters zu hören gewesen, welcher sich mit Pepper unterhalten hatte. Seitdem herrschte Stille.

'Wer bist du?'

Erneut ploppten diese Worte in ihren Gedanken auf. Wie bereits davor, spürte Joanna, wie ihre Augen zu brennen begannen. Sie hatte bisher noch nicht geweint. Nur dieses beständige Brennen, welches langsam immer schlimmer wurde. Sie wusste ganz genau, dass sie später an diesem Abend noch weinen würde, aber noch war sie nicht so weit. Noch konnte sie etwas bröckelige Selbstbeherrschung aufweisen.

Er hatte sie vergessen! Nichts in seinen Augen, seinem Blick hatte ein Wiedererkennen gezeigt. Als wäre sie tatsächlich zu einer Fremden geworden. Und zwar vollkommen. Er kannte sie nicht mehr und schien auch sonst jedes weitere Gefühl für sie vergessen zu haben. Denn bereits bei ihrem ersten Treffen hatte er ihr damals doch dieses unglaublich verschmitzte Lächeln geschenkt. Von Anfang an hatte da diese unsichtbare Verbindung zwischen ihnen bestanden, welche sie nun nicht mehr spürte. Der Mann in dem Krankenbett war tatsächlich ein anderer geworden.

Fremd.

Nicht mehr 'ihr' Pietro.

Jo schniefte leise. Bevor sie wusste, wie ihr geschah, liefen auch schon heiße Tränen über ihre Wangen. Sie biss sich in die Knöchel und versuchte das nächste Schluchzen zu unterdrücken, was aber kläglich misslang, sodass ein weiteres Wimmern zu hören war.

Wie durch Watte hörte sie eine Stimme, welche etwas zu fragen schien. Joanna wusste nicht, ob sie damit gemeint war, da sie sich nur fester in die Decke wickelte und unter dieser noch mehr zusammen kauerte. Erschrocken zuckte sie zusammen, als sie schließlich eine zarte Berührung auf ihrem Kopf wahrnahm.

„Kleines." War die sanfte Stimme von Pepper zu hören. „Komm bitte da raus."

Jo atmete zittrig aus, nahm ihre Brille ab und strich sich mit ihrem Ärmel die Tränen aus den Augen. Sie richtete sich langsam auf und ließ dabei die Decke an sich herab gleiten. Etwas verlegen strich sie sich noch einmal über ihr Gesicht und sah ihr Gegenüber an. Neben ihr saß Pepper und sah sie mit einem mitfühlenden Lächeln an. Ihr Vater währenddessen hielt sich im Hintergrund und schien noch unschlüssig zu sein, ob und wann er sich einmischen sollte.

Pepper griff nach der Tempobox auf dem Tisch und reichte sie an Jo weiter. Diese griff sich ein Tuch, putzte sich die Nase und sah wieder ihr Gegenüber an. Pepper saß noch immer mit diesem kleinen Lächeln da und sah sie so unendlich geduldig an. Etwas an diesem Lächeln erinnerte Joanna dabei an ihre verstorbene Mutter. Sie wusste nicht genau, was es war. Vielleicht der Blick in den Augen der Älteren, oder aber auch das leicht traurige Lächeln.

An ordinary extraordinary LifeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt