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Es war eine schlaflose Nacht geworden. Irgendwann in den Morgenstunden war Jo tatsächlich noch eingeschlafen, aber der Schlaf war unruhig gewesen. Lang hatte es auch nicht gedauert, bis sie wieder aufgewacht war. Einen Blick in den Spiegel hatte sie sich erspart. Sie wusste, dass sie furchtbar aussah. Und genauso fühlte sie sich auch. Irgendwann war sie dann auch aufgestanden und hatte zumindest probiert den Tag über sich ergehen zu lassen. Aber es war nutzlos. Also war sie in ihrem Zimmer geblieben. Sie musste erst wieder mit sich selbst klarkommen, bevor sie jemand anderen treffen konnte.
Hysterisch lachen oder auch wahlweise weinen waren heute angesagt. Zu chaotisch ging es in ihrem Kopf zu.
Also hatte Jo sich einen Sessel zum Fenster geschoben, damit sie die Aussicht etwas genießen konnte. So war zumindest der Plan gewesen. Jo ließ den Kopf gegen die Scheibe sinken, denn heute wirkte der Anblick wenig beruhigend. Eine Tasse Tee stand auf dem Fensterbrett, aus der sie immer wieder mal einen Schluck nahm. Sie war im unreinen mit sich und ihren Gefühlen. Was war gestern Nacht nur passiert? Wie hatte es nur so weit kommen können?
Sie mochte Alex. Das tat sie wirklich. Aber als Freund. Da waren keine romantischen Gefühle.
Ihr Blick wanderte zu ihrem Nachtkästchen, auf dem das Blumengebinde aus Jasmin lag. Da sie in der Nacht eh nicht schlafen konnte, hatte sie im Internet nach der Bedeutung der Blume geforscht. Aber sie war nicht wirklich schlau daraus geworden. Denn es gab mehrere Bedeutungen. Liebe, aber auch Freundschaft. Was war es hier? Sie wusste nicht, ob sie Alex danach fragen konnte. Was, wenn es ersteres war? Was, wenn ihre Freundschaft dadurch Schaden nahm? Wollte sie das wirklich riskieren? Aber nach der gestrigen Nacht war ein Gespräch notwendig und auch unausweichlich.
Ratlos saß sie da. Sie verbarg ihr Gesicht in ihren Händen und seufzte tief.
Und was war das mit Pietro gewesen? Dieser eine Satz. Er hatte ihn einmal vor vielen Wochen zu ihr gesagt. Sie würde es nie zugeben, aber Teile ihrer Erinnerung an die Ereignisse nach der Geburtstagsfeier ihres Vaters waren zurückgekehrt. Unter anderem ihr Liebesgeständnis. Ein Umstand, der dafür sorgte, dass sie sich winden musste. Und eben dieser eine Satz. Hieße das, dass seine Erinnerung langsam zurückkehrte? Oder war es einfach nur ein unbewusster Fetzen? Konnte sie etwas tun, um diesen Vorgang zu beschleunigen? Das war eine Frage, welche sie so bald wie möglich an Dr. Cho stellen sollte.
Ein leises Klopfen ließ Jo aus ihren Grübeleien aufschrecken. Jo sah zur Tür und ihr Mund wurde trocken. Sie konnte sich vorstellen, wer da klopfte und etwas von ihr wollte. Alex hatte hier im Tower geschlafen. Er wollte sicher mit ihr reden. Für einen kurzen Augenblick zögerte sie, schalt sich aber sogleich als Feigling. Das Klopfen wiederholte sich erneut.
„Herein."
Einen kurzen Moment lang war Jo stolz auf sich. Sie hatte nicht gekniffen. Auch war ihre Stimme nicht so zittrig wie sie sich tatsächlich fühlte. Sie sah auf ihre Hände, welche immer noch die Tasse hielten. Sah, wie der Tee beständig in Bewegung war. Schnell stellte sie diese weg und legte ihre Hände in den Schoß.
Die Tür öffnete sich und wie erwartet betrat Alex ihr Zimmer. Er schloss die Tür hinter sich und stand offenbar unschlüssig an der Tür, bevor er langsam auf sie zukam. Im Vorbeigehen, griff er ihren Schreibtischstuhl und zog ihn hinter sich her zum Fenster. Da stellte er ihn ab und setzte sich ihr gegenüber hin. Er sah sie mit einem verhaltenen Lächeln an und schien offensichtlich nach Worten zusuchen.
Während er mit sich kämpfte, spielte Jo unruhig mit ihren Fingern und war ebenfalls wortlos. Es war still zwischen ihnen, aber dennoch hatte sie das Gefühl als wenn ihr die Ohren dröhnen würde. So viele Worte, welche gesagt werden mussten. Beinahe verzweifelt suchte Joanna nach einer Möglichkeit das Gespräch zu beginnen, da sie befürchtete sonst noch in einer Stunde hier sitzen.
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An ordinary extraordinary Life
FanfictionWenn Joanna ihr Leben beschreiben sollte, dann wäre 'trostlos' das erste was ihr einfiele. Ihre Mutter tot und der Vater unbekannt. Also lebte sie bei ihrer Tante, der sie so ziemlich egal war. Heute fand die Testamentseröffnung statt, bei der sie e...