Protokoll: RoZaka II; part 2

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Datenübertragung: Rose D. Hawk (POV)





Nachdem die Tür sich auf meine Personalkarte eingestellt und aufgeschoben hatte, wuchtete mir der ledrige, alte Geruch der Bibliothek entgegen. Sofort wurde mir anders. All die Regale und die Bücher, in Pedanterie geordnet, erinnerten mich an den sichersten Ort meiner Kindheit, und ich wusste, sofern es nicht Azuras Räume waren, war es ebenfalls Rosys.

Der dunkle Ton des Holzes und die Orientierungsschilder, zeigend, was wo stand, schwebten wir an mir vorbei, während ich suchte. Schließlich entdeckte ich Rosy auf einem blauen Sternendeckchen in der Leseecke, natürlich mit einer Lektüre vor dem Gesicht, in welche sie vertieft war. Ich bemühte mich ums Leisesein. Vorsichtig setzte ich mich zu ihr und wisperte: »Hey. Deine Freundinnen haben nach dir gefragt. Du warst nicht in der Kantine.«

Rosy sah nicht vom Buch auf. Sie wirkte immer noch mitgenommen. »Ja, ich wollte allein sein.«

Ich hatte gehofft, die Gesellschaft von Gleichaltrigen könnte sie aufmuntern, doch ich hatte mich geirrt. »Ich dachte, du verbringst gern Zeit mit ihnen? Hast du denn was gegessen?«

Mit Kopfnicken deutete sie auf den abgeknabberten Apfel in ihrem Schulrucksack. Dieser war bestickt mit niedlichen Mustern und diesem Hasen mit der Sonnenbrille aus den Cartoons, die andere Kinder sooft glotzten. »Es kann anstrengend sein«, murmelte Rosy. »Mit Menschen, Kontakten. Obwohl ich meinen Freundeskreis schätze und er mir nichts tut, kann ich ihn manchmal nicht ... na ...« Sie seufzte. »Ich will nicht böse oder undankbar klingen.«

Ich strich ihr über den Rücken. »Du bist deswegen nicht undankbar. Ich weiß, was du meinst. Mir erging es früher nicht anders. Also soll ich wieder gehen?«

Anstatt mir zu antworten, klappte sie laut die Lektüre zu, sodass Staub stob, und stellte mir eine völlig dem Kontext abgeschiedene Frage: Ihre klaren blauen Augen fixierten mich. »Wirst du dich mit Miss Spark verabreden?«

Kurz war ich überrumpelt. Ich errötete. »Darum machst du dir Gedanken?«

»Ja! Und?«

Plötzlich juckte mir davon der Nacken. Ich kratzte mich dort und überlegte (und schindete ehrlich gesagt Zeit). Ich gelangte zu keinem Entschluss. »Ich weiß es nicht.«

Rosy starrte mich an, bis ich Unwohlsein verspürte. »Warum sagst du ihr nicht die Wahrheit?«

»Welche Wahrheit?«, hakte ich blinzelnd nach.

Ihre kleine Hand räkelte sich, um nach meiner zu fassen. Sie fuhr über meinen Ringfinger, meine Tätowierung. »Dass sie nicht zu dir gehört. Du bist hell, Rose, und sie ist zu bunt. Um dich wölbt sich eine dunkle, rauchige Hülle. Reste von etwas, das dich nicht loslassen kann. Zur Sonne harmoniert der Tag, zum Mond eine Spur Nacht. Du bist kein Sonnenkind, genauso wenig wie Mama. Miss Spark schon. Sonne und Mond können sich nicht lieben. Das wäre absurd und leidvoll.«

Sie hatte eine wirklich hübsche Metapher gewählt. Ich zerzauste ihr kastanienbraunes Haar. »Wie viele meiner Gedichtbände hast du gelesen?«, scherzte ich.

Rosy kicherte. »Einige. Aber bleib mal ernst«, befahl sie mir beinahe. »Was ich sagen will ... okay, machen wir das anders.« Sie sprang von Azuras Decke auf, verschwand hinter einem Regal, und als ein Rollen über die dunkelroten Kacheln kollerte, schob sie eine Tafel heran. Wo hatte sie die denn her? »Ich kann das mit dir nicht auf dieselbe Weise kommunizieren wie mit Mama. Ich versuch's anders. Hier.« Sie kritzelte ein Strichmännchen mit unerhört großem Busen. »Das bist du.« Sie schraffierte um meine Konturen herum. »Das da, sieht aus wie ein Schatten, nicht? Er umkreist dich wie Nebel. Aber seine Wolke ist schwach. Weil er nicht hier ist. Nicht bei dir. Du müsstest ihn finden, damit ihr beide glücklich sein könnt. Verstehst du das? Du kannst es nicht spüren – oder vielleicht doch –, aber ich tue es auf jeden Fall. Ganz deutlich. Ihn brauchst du, und er braucht dich. Und er ist nicht Miss Spark.«

A Fall of Rain - Hawk's Eyes SerieWo Geschichten leben. Entdecke jetzt