Lights Lehrstunden II

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Datenübertragung: Rose D. Hawk (POV)





»Als wir die Imagination im Sinne der Fantasie an sich ansprachen, hast du keinmal den Finger gehoben«, fiel Mrs. Light auf. Ihre gütigen Augen sanken auf den kochenden Tee vor sich hinab, der Dampf ragte ihr zum Munde, prallte in der schnörkeligen Struktur eines weißen Altherrenbartes aus Wintercartoons. Es war derart amüsant, dass ich grinste und ihre Frage ganz an mir abschmetterte, ehe sie sie wiederholte.

Mit meiner Stille konfrontiert, langte ich zu meinem Handrücken und streichelte diesen nervös. »Ich wollte den anderen Raum geben.«

Mrs. Light lächelte schief. »Du lügst.«

»Tu ich nicht«, nuschelte ich – errötend.

»Woran liegt es?«, war Mrs. Light neugierig. Sie setzte sich die Faust ans Kinn, wie sie es ständig tat, wenn sie über etwas brütete. Diese Gestik verlieh ihr eine analytische Distanz. Plötzlich kam ich mir nicht mehr vor, als redete ich mit meiner Lehrerin, sondern mit einer Therapeutin.

Seit wir einander näher waren, rang ich mich um den Platz direkt vor ihrem Pult. Um ihn zu erreichen, schlang ich meine Pause hinunter, beeilte mich auf der Toilette, verließ eiliger meine Freundesgruppen, einzig und allein ihretwegen. Ich wollte hören, was sie sagte, und sie dabei genau beobachten. Gar nicht aus einem romantischen Interesse – sie könnte meine Mutter sein! – nein, ich beneidete sie und ihre Meinungen. Sie hegte die Marotte, während ihrer Vorträge elegant auf und ab zu marschieren, ohne dabei rastlos oder verloren zu wirken. Gott, war sie beeindruckend! »Ich ... na gut. Ich behalte meine Fantasien lieber für mich«, gab ich mit seltsamer Scham zu.

»Hm. Du würdest sie mit niemandem teilen?«

Ich schüttelte den Kopf.

»Verstehe.« Meine Aussage annehmend, trank sie einen Schluck. Es duftete nach Jasmin. Mrs. Light schenkte mir eine Weile Ruhe ... oder ich durfte gehen, manchmal war ich etwas ratlos bezüglich ihrer Zeichen.

»Ich lese«, platzte ich heraus.

Mrs. Light guckte von der süßen, porzellanen Tasse auf. »Du musst es mir nicht erzählen, Rose. Das ist in Ordnung. Es hat keinen Einfluss auf deine mündliche Note.«

»Ich weiß ... ich wollte bloß ... mit Ihnen würde ich es teilen.« Mir war so heiß auf den Wangen, dass es richtig unangenehm war, und sogar mein Atem schien dem Feuer zur Vorhut. »Ich vertraue Ihnen.«

Eine Flasche eiskalte Soda schwappte auf meinem Tisch. Mrs. Light hatte sie dorthin gestellt. Die Kohlensäure schäumte oben leicht auf. Zum ersten Mal konnte ich mich mit einem Kaltgetränk identifizieren. »Dir muss nichts peinlich sein«, sagte sie gemütlich. »Aus meiner Kühltasche. Berühre sie, sobald du das Gefühl entwickelst, du würdest dich übernehmen.«

»Darf ich auch daraus trinken?«, fragte ich unschuldig.

Mrs. Light kicherte: »Ja, du darfst alles austrinken.«

Ich hielt mein Lächeln zurück. »Danke.« Meine Hände rubbelten am Etikett. Da es mich nicht einmal annähernd zähmte, streichelte ich mich stattdessen selbst. War das meine Eigenart? Ja, vermutlich. »Ich bezahle sie Ihnen.«

»Nicht nötig«, winkte Mrs. Light ab.

»Doch, sonst fühlt es sich nicht richtig an.« Ich schaufelte in meinem Portemonnaie, schob ihr ein paar Münzen zu, die vom Sonnenlicht kupfern und golden schillerten. »Hier, bitte.«

Trotz ihres Unmuts akzeptierte sie. »Ich bin gespannt.«

»Worauf?«

»Du sagtest, du würdest lesen«, half mir Mrs. Light geduldig auf die Sprünge. Mein Aha-Moment war mir verdammt peinlich. »Bücher sind Objekt deiner Fantasie. Nennst du mir welche, die dich besonders fesseln?«

»Historische Romane«, erklärte ich übereifrig, spürte den Bann, in die sie mich zogen und beheimateten. »Geschichten über vergangene Helden, wie sie wirklich lebten. Das Mittelalter war ... wow! Waren Sie gut in Geschichte, Mrs. Light? Ich würde gerne einen dieser alten Tage erleben. Die raue Realität. Die ... die Ritter und Räuber und ... es gibt so viele, deren Alltag mit dem heutigen grundverschieden ist. Das zu entdecken, wäre das nicht wundervoll?«

Eine gewisse Bitterkeit huschte über ihr reines Gesicht, und es fühlte sich an, als wäre sie vollkommen anderer Ansicht. »Ich kann deine Begeisterung nachvollziehen, Rose, sie ist ansteckend und deine Leidenschaft ist dir mit jeder Faser anzusehen, doch ich ... bin kein Freund des Mittelalters. Ich empfinde sie als eine schmutzige und grausame Zeit. Ich bin froh, dass sich die Menschheit weiterentwickelt hat. Ritter hatten kein schönes Leben. Räuber ... Räuber waren ... ach, das ist lange her. Nicht wichtig, schätze ich. Ich bin gut in Geschichte. Ich weiß viel und kenne noch mehr. Aber das ist nichts, was man gern erfahren möchte. Verstehst du das?«

»Ja, ich ...« Meine Faszination war gedämpft. Das war, als hätte man mich aus der Fantasie gezwungen. Enttäuscht antwortete ich: »Es ging mir eigentlich darum, wie sich diese Welt aus den Büchern heraus für mich anfühlt. Nostalgisch. Sie machen mich nostalgisch. Natürlich war das Mittelalter schrecklich. Tut mir leid.«

»Oh, nein, nein!« Mrs. Light riss die Augen auf und versuchte vehement, mich aufzuheitern. »Entschuldige, es war nicht meine Absicht, dich zu bedrücken oder dir deine Vorstellung zu stehlen. Geschichte ist ein sensibles Thema für mich. Ich bin unangemessen auf dich eingegangen. Bitte, erzähl mir mehr. Ich werde es nicht mehr untergraben.«

»Schon gut.« Ich stand langsam auf. »Das war sowieso dumm von mir.«

»War es nicht. Rose. Bitte setz dich wieder hin. Deine Fantasie interessiert mich.« Ihr gleißender Blick bettelte. Etwas in ihr – und ich glaubte, mir das nicht einzubilden – brach, weil ich gebrochen war. Es erschütterte mich, wie fragil sie in diesem Moment wurde. Als hätte sie sich selbst erniedrigt, als wäre sie ich.

»Wirklich?«, hakte ich nach, so unsicher, dass man mich kaum hörte.

Mrs. Light nickte.

Also vertraute ich es ihr an. Erläuterte ich, wie intensiv ich mich in Geschichten einfühlte, und dass ich irgendwann zu ihnen wurde. Ich lief in ihnen, unterhielt mich mit den Charakteren, erforschte das Blatt, das in meiner Welt zum üppigen Wald mutierte, mit all den Tieren und Pflanzen darin und den Gefahren und Schätzen. Einmal hatte ich mich an der Beschreibung einer Kastanie festgehängt. Sie sei glänzend rot wie Apfel gewesen, doch dunkel wie Olive und gemasert wie das Innenleben von Eiche. Nichts Besonders. Sie war für den Roman nicht bedeutend gewesen, jedoch für mich. Ich lebte so sehr für die Fantasie, dass nicht sie mich, sondern ich sie inspirierte. Erschaffenes siedelte neue Ideen an und so weiter. Irgendwann musste mir Mrs. Light ins Wort fallen. »Hast du eine Lieblingsgeschichte?«, erkundigte sie sich höflich.

»Ja.« Ich biss mir vom Redefluss auf die Lippe. »Ja, habe ich.«

»Darf ich sie erfahren?«

»Die kennen sie nicht. Die ist sehr unbekannt.«

»Ach, ich kenne ...« Das harsche, reißende Geräusch eines Hustens beendete ihren Satz vorzeitig, und aus dem Husten wurde ein Röcheln und das Röcheln mündete in einem Flecken Blut auf ihrem strahlend weißen Taschentuch. Ich kam, um ihr auf die Schulter zu klopfen, doch Mrs. Light drehte sich weg und flüchtete zur Tafel.

»Geht es Ihnen gut?«, sorgte ich mich.

»Ja ...«, keuchte Mrs. Light unangenehm scharf. Sie schluckte und räusperte sich, tauschte das rot unterlaufene Tuch mit einem Blatt Küchenrolle. Ich war starr vor Angst. Etwas warnte mich, etwas drängte mich, nicht nachzugeben und auf die Wahrheit zu beharren. Welche? Welche Wahrheit. Letztendlich ignorierte ich mein Bauchgefühl, um mir einzureden, dass alles okay sei. Sie blutete aus der Nase, als sie sich nicht mehr abwandte. Lächelte. So zuversichtlich und freundlich. Es gab keinen Grund zur Sorge. Absolut gar keinen. »Wir verschieben unser Gespräch auf morgen«, bot sie an. »Tut mir leid, dass ich dich erschreckt habe. Ich bin ein wenig verschnupft und vorhin muss mir ein Äderchen geplatzt sein.«

»Ja ... ja, okay. Gute Besserung.« Bevor ich ging, machte ich noch einmal kehrt. »Schaffen Sie's zum Abschlussball nächste Woche? Oder haben Sie sich gerade erst angesteckt?«

»Nein. Sicher komme ich. Bis morgen, Rose«, sagte Mrs. Light so lieb, dass es kurz schien, als wollte sie mich in die Arme schließen, und ich nickte lediglich und schaute nicht zurück, wenngleich es, irgendetwas, mich ermahnte, ich solle bleiben.

A Fall of Rain - Hawk's Eyes SerieWo Geschichten leben. Entdecke jetzt