Protokoll: Rosereal III; part 13

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Datenübertragung: Rose D. Hawk, dreiundzwanzig Jahre vor dem Geschehen.





Sand wusch meine nackten Füße, und wäre mein Haar nicht lang und lockig, so würde man mich mit einem sonnenverbrannten, sommersprossigen Jungen verwechseln. In der Schule hänselte man mich, weil ich die Kleidung meines Bruders trug, aus welcher er herausgewachsen war. Man machte sich lustig über die zerklüfteten Jeans, die mir über die Knie fiel, und das T-Shirt, dessen Ärmel meine blau befleckten Ellbogen verdeckten, denn wir schlummerten oft auf hartem Boden und ich kuschelte mich gern wie ein Embryo in der Seitenlage ein, wälzte mich und wurde von Niklaus im Schlaf umarmt. Wir hatten nur einander, und egal, wie sehr man mich ärgerte – ich fühlte mich geehrt, in seine Sachen zu schlüpfen. Darin war ich geborgen.

Nicht wie in Mamas, die ich aufgehoben hatte, obwohl Klaus sie verkaufen wollte. Ihre zerrissenen Punk-Hosen und Hemden erinnerten mich an sie. Ich könnte sie überziehen – Mama war nicht groß gewesen – doch ich traute mich nie. Der Stoff roch nach ihr, und ich wollte ihren Geruch nicht verlieren. Mehr hatte sie nicht hinterlassen.

Während ich einen Markt im Abendrot durchkämmte, vermisste ich sie. Ich vermisste es, ihre spröden Strähnen zu kämmen oder ihre Haare zu halten, wenn sie sich übergab, ich vermisste, ihre Wunden zu verbinden und zu tätscheln und mich zu ihr zu legen und ihre Handrücken zu streicheln, da sie das im Suff immer beruhigt hatte. Ich wollte diese Zeit zurück. Ich wollte sie zurück. Nicht Klaus, der sie hasste und über sie wetterte, als wäre Mama ein Monster gewesen. Und wir stritten, weil ich seinen Standpunkt nicht verstand und er meinen nicht, sagte, ich sei zu gut für sie gewesen, indes ich glaubte, dass ich nichts Gutes an mir hatte.

Es war nicht schön gewesen. Mama war meistens high, betrunken oder verrückt gewesen, sie hatte mit unsichtbaren Elfen gesprochen und mich zu ihren »Unterschlüpfen« geführt, und wiedergefunden hatten wir uns im Schutt uralter Baracken. Und war Mama nicht überfröhlich gewesen, hatte sie nur geweint oder geschlafen, stets mit leerem Blick, und ich hatte mich bemüht, sie irgendwie zu erreichen.

Nein, schön war es nicht gewesen. Aber sie war doch meine Mama und wie sollte ich sie nicht lieben und vermissen?

An Tagen, in denen ich besonders einsam war, floh ich in die Schulbibliothek und las meine Lieblingsbücher noch einmal. Im KAPITOLUS war ich sicher. Da ich die Reihe sooft durchgeblättert hatte, wusste ich, was geschah, sodass auf mich keine bösen Überraschungen warteten. Am liebsten war mir der dritte Teil. Emilia war am präsentesten und der Kampf gegen die Martyxwrar war so spannend gestaltet, dass mir nach wie vor die Zähne in Aufregung klapperten. Denn wie sollte man etwas töten, das unsterblich war? Etwas aufhalten, das kein Ziel verfolgte? Es war schaurig und vor allem ihr Charakter erfüllte mich mit Angst, doch dann erschienen Emilia oder Lorraine und ich wurde froh, dass es Helden gab, die mitten im Schrecken wie Leuchtfeuer glommen. Sie waren meine.

Jedenfalls bis zu dem Tag, an dem Niklaus mich drängte, eilig meine Sachen zu packen und abzuhauen. Wir marschierten wochenlang durchs Ödland, seine einzige Erklärung: wir seien nicht mehr sicher, wo wir gelebt hatten. Ich fragte nicht weiter nach. Er war gehetzt und verängstigt und ich wollte es nicht verschlimmern ... aber mir fehlte bereits die Bibliothek und ich heulte mich in den Schlaf, weil wir es uns nicht leisten konnten, die Bücher selber zu kaufen.

Und nun waren wir vom einen Slum ins nächste gezogen. Auf dem Markt, wodurch ich schlenderte, beobachtete ich Diebstähle. Ich fürchtete mich vor Räubern, die mit ihren gelben Zähnen und spitzen Messern hinter schmutzigen Ecken lauerten, und nachts hatten wir Bange, dass man uns aus dem verlassenen Zimmer eines Motels scheuchte, das vor ewiger Zeit pleite gegangen war. Wir waren nicht einzigen Obdachlosen dort und leider waren die Menschen nicht nett, mit denen wir teilten. Sie waren bewaffnet und grobgesichtig, deswegen hielt ich mich lieber fern.

A Fall of Rain - Hawk's Eyes SerieWo Geschichten leben. Entdecke jetzt