Protokoll: Blutende Gewässer; part 36

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Datenübertragung: Rose D. Hawk (POV)





Kaya hatte mir viel über Arthur erzählt.

Eigenartig, intelligent, verschüchtert, etwas zwanghaft, aber innovativ. Er liebte Schach und Strategie, verstrickte Logik, und er schwärmte von den seltsamsten Dingen: Schmucksteine, Pflanzen, Saiten, Anzüge und Krawatten und Glühbirnen und Glas, das Schneekugeln umrundete. Gut bei der Gesellschaft angekommen war er nie, Mädchen hätten ihn nie angesehen, obwohl er im Grunde stattlich war, sein Vater hatte ihn vor der Aufmerksamkeit der Massen verschlossen und seine Schwestern empfanden ihm gegenüber Argwohn, denn er war anders, ja, anders, aber laut Kaya deshalb besonders.

Als Knabe war er während der Schule entweder gar nicht oder übermäßig aufgefallen, zwischen diesen beiden Extremen habe sich selten eine Balance gefunden. Mobber wurden von seinem Vater bestraft und suspendiert, und danach traute sich keine andere junge Seele, sich noch mit ihm anzufreunden – oder anzulegen. Keiner warnte ihn, wenn er schief oder komisch hinkte, wenn er zu viel über Themen sprach, die andere nicht scherten, wenn etwas, was er sagte oder tat, unhöflich war, und als Autist konnte man das schwerer begreifen. Arthur war seine gesamte Lebenszeit einsam gewesen, wie Kaya. Er war der Erste, der zu ihr meinte, sie hätte ein besseres Leben verdient, und Arthur projizierte nicht, er war tatsächlich gutmütig. Abseits aller anderen hatte er an Liebe und Frieden appelliert, obwohl Kaya Gleichgültigkeit und Kampf anzog wie Nacht den Schatten.

Zu Anfang hatte ich mich schwergetan, ihre Bindung nachzuvollziehen. Dieser Mann, ein Icon wohlgemerkt, zählte fast so viele Lebensjahre wie ich, und er verhielt sich gleichermaßen frühreif wie kindlich. Seltsam, dass Kaya ihn so sehr verehrte, wo sich ihre Art zu leben gar nicht miteinander vereinbarten. Er war ruhig und einsiedlerisch, sie aktiv und impulsiv. Dennoch teilten sich die beiden fünf Jahre ein Leben, schliefen in der Nähe des anderen, kümmerten sich umeinander und glichen wahrlich Bruder und Schwester. Sie liebte ihn, und er liebte sie.

Umso tragischer war der Anblick, der sich mir bot.

Die exakten Umstände waren unbekannt, als uns Neal die Tür entriegelte, um die Wohnung auf Flüchtige zu inspizieren. Rosy war ihm in die Arme gesprungen und hatte sich ängstlich nach ihrer Mutter erkundigt. Azura war wohlauf. Jeder. Nur einer nicht, einer war tot.

Nachdem Kazaka Corp. sichergestellt war, hatte mich Neal zum Hobbyraum der Station eskortiert, dort war der Alarm von einem Passanten ausgelöst worden. Brettspiele in Regalen säumten den gelb gestrichenen Raum, Computer und Dart fanden sich daneben, Billardtisch und ein Kickerkasten mit grünem Rasen und zwei bunten Bällen, inmitten ein gemaserter Holztisch mit Schachbrett. Aus dem Eck lugte das zerstörte Objektiv einer Überwachungskamera, und die Deckenbeleuchtung flimmerte leicht. Der Boden, sauber und glänzend, blieb unberührt, keine Blutlache tränkte ihn.

Beim Stuhl, der mit ihm umgekippt war, wohnte seine noch warme Leiche in Kayas Umarmung. Seinen verdrehten Kopf im Schoß bettend, streichelte sie ihm die weiße Wange, und seine türkisfarbenen Augen blickten geschockt zu ihr auf, waren in dieser Emotion stehengeblieben wie die Zeit, kurz bevor man starb. Makaber, dass sein Tod ihn dazu animierte, sie endlich anzusehen. Man hatte ihm eiskalt das Genick gebrochen. Plötzlich, ohne Vorbereitung. Den Hals verbogen. Liegengelassen. Wie grausam.

Und Kaya hatte ihn so vorgefunden haben müssen. Dass der Alarm abgestellt worden war, war mittlerweile zwei Stunden her, und seitdem hatte sie sich nicht von der Leiche wegbewegt. Sie war eingefroren, wie er, hielt ihn im Schweigen mit dem Gesicht im Schatten ihres langen goldenen Haars. Man versuchte, sie wegzulocken, wegzuziehen, doch sie wehrte sich und verharrte an Ort und Stelle, bei ihm, also gaben wir ihr Zeit. Einen Tag, dann riefen sie mich.

Neal ergriff mich vorm Türrahmen, ehe wir sichtbar wurden. »Wenn wir sie nicht wegschaffen, wird die Leiche beginnen zu stinken. Bald setzt die Fäulnis ein. Sie reagiert auf kein Wort, das ich spreche, aber wir müssen den Toten bergen. Spreng sie weg oder ich tu's«, erklärte er schroff. Nachdem Tony abgetreten war, hatte er sich für den Posten zu Schutz und Sicherheit gemeldet. Von seinem frechen, gewitzten Wesen ließ er sich pflichtbewusst nichts anmerken, vielmehr hatte sich seiner das Grobe bemächtigt.

A Fall of Rain - Hawk's Eyes SerieWo Geschichten leben. Entdecke jetzt