Protokoll: Die Schlange und der Wolf; part 41

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Datenübertragung: Rose D. Hawk (POV)





Pinselstriche meiner Fingerspitzen spalteten das Wasser an der Oberfläche, meine Zeichnungen verschluckten sich, ordneten den Wirrwarr wieder und wurden so glatt wie der rote Brunnenrand, auf den ich mich mit beiden Ellbogen gestützt hatte. Der Innenraum der Senkung war einst golden angestrichen worden, und so wirkte es, als schöpfte man flüssiges Gold aus dem Brunnen. Sicherlich war das Absicht. Shaik genoss seinen Ruf von Ästhetik und Extravaganz. Selbst Einfaches sollte Wohlstand und Schönheit symbolisieren, mit den anderen Staaten verglichen sogar Arroganz, einen Teint von Überheblichkeit. Allein deshalb passte ich nicht hierher. Ich war zu bescheiden. Lieber bevorzugte ich den Wert eines Einzelstücks als ein Einzelstück von Wert. So verlor ich mich in meinen Gedanken, bis ich Kaya anrief und ich nach verzweifeltem Warten gezwungen war, ihr auf die Mailbox zu sprechen – schon wieder. Wann war sie je für mich erreichbar, sofern ich sie brauchte?

»Hallo, mein Erdmännchen«, meldete ich mich mit schwacher, brüchig-dünner Stimme, während ich mir ihr Gesicht sehnsüchtig im Brunnen neben meinem vorstellte. »Vorhin habe ich Wolken in den Himmel gemalt und dabei ein paar Bildnisse verwischt, die, ich glaube, was für uns bedeuten. Ein Omen sind. Du weißt ja, ich achte auf die Zeichen meiner Umwelt, wenn sie besonders sind. Meine Träume sind auch nicht eindeutig, aber ich ... ich spüre, wie uns mehr und mehr etwas entzweit, was nicht unter unserer Kontrolle steht. Ich las ein Monster aus den Wolken, das zwei Arme, die nacheinander langten – sie sahen aus wie Arme – trennte. Es war ein Drache oder ein Blitz. Und drumherum leuchtete es sehr blau. Heute ist der Himmel allgemein klar und, na ja, intensiv. So«, seufzte ich, »wie Skydive. Skystone.« Jason. »Was auch immer. Es gefällt mir nicht, dass du nicht rangehst. Ruf mich zurück, ja? Azura versucht ebenfalls seit meiner Ankunft, mich zu kontaktieren. Ich habe über dreißig verpasste Anrufe gezählt. Ich denke allerdings nicht, dass es wichtig ist. Sie erträgt es nur nicht, dass ich sauer bin. Und ich will nicht mir ihr reden. Sie hat Rosy darum gebeten, mich dazu anzustiften. Kannst du das glauben? Mein Baby einzusetzen. Ihr geht es übrigens gut, sie hat nach dir gefragt. Die ... Der Mörder wird noch gesucht. Falls du das wissen möchtest.«

Ich holte tief Luft in der Hoffnung, auf diese Weise auch meine Tränen einzusaugen. Unter dem Schatten der Bedachung wurde es fast zu kühl, obwohl die Sonne den Pflasterstein des Palastgeländes barfußuntauglich briet. Manche Blumen der dekorativen Wiesen begannen zu fackeln. Es gab Bedienstete, die sie löschten und Schirme hissten. So frei dieser Garten auch war, so bot er der Hitze reichlich Fläche, sich einzubrennen. »Kaya. Mir geht es nicht gut. Ich fühle mich hilflos und einsam. Ich wünschte, du wärst hier, um mich zu trösten. Ich habe heute Morgen etwas Schlimmes erfahren. Wenngleich es meiner Meinung nach übertrieben ist, denn ich bin ja bloß ein paar Tage drüber, mutmaßt der Arzt, ich käme in die Wechseljahre. Aber das ist zu früh. Jedenfalls bin ich aufgelöst. Ich bin nicht bereit, alt zu werden. Mein Geist ist doch noch jung und will Sämtliches erkunden. Deshalb lässt Florence für mich die Höhlen freiräumen. Dort kann ich forschen. Höhlenmalerei, Kultur. Das ist ganz interessant. Menschen wie ich, die sich auf Stein statt einer Staffelei verewigten. Ich finde, man sollte ihre Kunstwerke wenigstens bewundern können. Oder was denkst du? Wo bist du? Lass mich nicht allein.«

Mich piesackend, dass ich mich wie ein Kind, zu anhänglich anhörte, fuhr ich trotzdem fort: »Es war nicht fair von mir, dich des Konsums zu bezichtigen. Du hast hart mit der aktuellen Situation zu kämpfen, und ich helfe dir nicht weiter, mache es dir schwerer. Ich wollte mich dafür entschuldigen. Die Vorgeschichte meiner Mutter auf dich zu übertragen, ist nicht richtig. Ich möchte nur, dass du mich verstehst. Wieso es mir schwerfällt, dir dabei zu vertrauen. Du distanzierst dich. Ich tue das auch, wenn ich mich schlecht fühle, und ich weiß, das nervt dich jedes Mal, und vermutlich gibt es mir nicht das Recht, doch ... Umgedreht verkrafte ich das einfach nicht. Ich werde unsicher und ängstlich, sobald du nicht mit mir kommunizierst. Es war schön mit dir letzte Nacht. Kein Sex, nur Kuscheln, und obwohl wir hauptsächlich geschwiegen haben, habe ich mich dir dadurch verbundener gefühlt. Es fehlt nur noch, mir zu erklären, was in dir vorgeht. Du vermisst Arthur. Und ich tue das ebenso. Ich kannte ihn ja nicht so gut wie du, jedoch mindert das seinen Verlust nicht. In meiner Fantasie saß er mit uns am Tisch. Plötzlich ... plötzlich tut er das nicht mehr, weil er tot ist, und irgendwie ... Es ... es tut weh. Ich überschaue den Esstisch, und der Platz, auf welchem er speisen sollte, ist leer. Das ist heftig«, brachte ich nach Schlucken hervor. »Wir sollten seinen Tod verarbeiten. Zusammen. Ich sage das zu selten, ich weiß, aber ich liebe dich.« Dann nahm ich den Hörer vom Ohr, um zu bemerken, dass das Limit der Mailbox längst erreicht worden war.

A Fall of Rain - Hawk's Eyes SerieWo Geschichten leben. Entdecke jetzt