Protokoll: Groß bist du geworden VIII; part 53

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Datenübertragung: Rose D. Hawk (POV)







Brauner Sand kraulte mich zwischen den nackten Zehen, die ich, am Seeufer in der Hocke wartend, eingrub, während ich meine Arme um die Knie schlang. Seit einiger Zeit alleine, schluchzte ich. Hinter mir raschelte es in den Sträuchern. Erwartungsvoll blickte ich mich um und hüpfte auf die Beine, als es zurückkam. Es, eine Gestalt aus Nebel, die aus ihren Spuren brannte. Ich stürzte mich sehnsüchtig auf es – es wich zurück, und ich fiel. Als ich mich sofort wieder aufrappelte, wollte ich nach seiner Hand greifen, die es ebenfalls zurückzog, ehe ich sie erreichte. »Kannst du nicht selber gehen?«, blaffte es böse. »Muss dich denn immer jemand am Händchen halten?«

»Ich ... ich hatte Angst«, brachte ich schniefend hervor.

Der finstere Schatten hob sich deutlich vom milchgrauen Himmel und den umliegenden dunkelgrünen Waldkonturen ab. Er war nicht groß, aber gemein, und ich fühlte mich zurückgewiesen. Das war ein schlimmes Gefühl für mich. Nicht gemocht zu werden. Aus Gründen, die ich nicht ändern konnte, nicht in meiner Macht standen. »Du brauchst keine Angst zu haben. Dir kann niemand was.« Die Worte, welche hätten Trost spenden sollen, klangen aufs Übelste verächtlich.

Ich senkte das Köpfchen, knobelte an meinem Handgelenk. Der Schatten passierte mich, erschrocken rannte ich ihm hinterher. Meine Umgebung wirkte so unwirklich wie ein impressionistisches Gemälde. Farben waren verschwommen, die Böden uneben, die Welt vor mir schwankte. Ich war es gewöhnt, nicht auf mich gestellt zu sein, also langte ich instinktiv abermals nach der nebligen Hand. Bei der Berührung wurde mir auf die Finger gehauen. Ich war noch klein, sehr klein. »Lass das! Fass mich nicht an!«

»Aber ich ... aber ... Mama sagt, ich darf nicht alleine gehen. Ich könnte mich verlaufen und ... und ...«

»Und was?« Der Schatten fuhr aggressiv herum.

Ich sackte in mich zusammen, murmelte traurig: »Und du sollst mich doch beschützen.«

»Die scheiß Welt wird dich nicht immer bei der Hand halten. Find' dich damit ab.«

Das tat weh. Es tat mir unter der Brust weh, das zu hören. Dort, wo Mama sagte, dass da mein Herz wohnte. »Wo gehen wir hin?«

»Hab' 'n Auftrag. Muss was im See suchen. Du kannst mir helfen.«

»Ich?« Mir bibberten die Lippen, die Frage war zittrig aus meinem Mund gekrochen.

Die nach unten greifenden, abschnallenden Bewegungen des Schattens signalisierten, dass er sich Stiefel auszog, wenngleich seine Gestiken aus nichts bestanden als Wolken und Schleier, die in der schmierigen Luft verflogen. Das Bild waberte, wo sich die Oberfläche eines schwarzen Sees kräuselte. Der Duft von Schlick und nassem Gras hing in der Luft, und Schilf schaukelte fernab des anderen Ufers. Er antwortete mir nicht, und meine Verzweiflung gedieh gleich den im Wasser lauernden Schlingpflanzen. Statt an meinem Daumen zu nuckeln, rieb ich mir die Handflächen und starrte, Tränen unterdrückend.

»Was stehst du so da? Rein ins Wasser!«

»I-i ...« Mir versagte die Stimme. Die Laute, die meine Kehle verließen, kaum ein welpenhaftes Wimmern. Ich tackerte meinen Blick auf die schmutzigen Füße.

Die Nebelgestalt grollte. Schwappend trennte sich das Gewässer von ihren Schritten. Sie war mir böse, dabei hatte ich ihr nichts getan, aber ich spürte ihren Hass – er saß so tief. Konnte ich nichts unternehmen, um ihn zu stillen? Nichts, um ihn zu mildern? Wenn ich könnte, gäbe ich alles, einfach alles dafür, damit der Nebel mich mochte. Mich wenigstens einmal anlächelte. Er lächelte mich nie an. Als er vor mir aufragte, packte er mich, dass es schmerzte. Ich erstickte ein Heulen. Er wollte mich hineinziehen ins kalte, bittere Nass, hartnäckig, indes ich mich mit aller Kraft sträubte. Doch ich war zu klein. Zu schwach. Zu ängstlich. Ich konnte mich nicht lange wehren. »Ich hab's satt!«, schimpfte er, der wilde Nebel, der fiese Schatten, mit dem falschen Wind verwoben. »Ständig muss man dich an der kurzen Leine halten! Komm schon endlich rein, sag ich! Was ist dein verdammtes Problem?!«

A Fall of Rain - Hawk's Eyes SerieWo Geschichten leben. Entdecke jetzt