Protokoll: Kayakrass II; part 12

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Datenübertragung: Rose D. Hawk





Das Ergebnis der Untersuchungen hatte mich bis ins Mark erschüttert. Ich war auf den Stuhl zurückgefallen und hatte geschockt durch die Lücken der Jalousien in Kayas Krankenzimmer geblickt. Ich hatte sie abgelesen, von oben bis unten, wie sie in Ohnmacht dalag. Es hatte mir eine Heidenangst eingejagt, dass sie sich was getan haben könnte, dabei war das, was mich beunruhigen sollte, die ganze Zeit über dagewesen, und ich hatte es nur nicht gesehen. Ich hätte es sehen können, als sie sich Tage zuvor umgezogen hatte. Es wäre offensichtlich gewesen. Diese Narben. Diese unzähligen, tiefgegerbten Narben, die ihren dünnen, starken Körper wie Ranken eine Pflanze pfropften. Narben, unter anderem medizinischen Operationen zu verschulden.

Doktor Naresh Singh hatte in Zusammenarbeit mit Azura, die nachgekommen war, zwar herausfinden können, dass Kayas Fessel die meisten Blitze abgeleitet und sie somit vor schwereren Schäden bewahrt hatte, aber auch, dass manche ihrer Organe kurz vor dem Versagen gestanden waren. Ihre Niere zum Beispiel. Ja, nicht zwei Nieren, wie es gewöhnlich der Fall war, sondern nur eine. Eine einzige. Zudem war das Metall in ihrem linken Lungenflügel mächtig angeheizt worden, und ich fragte mich, was es dort zu suchen hatte. Was hatte Kaya durchlebt, um sowohl eine Niere als auch einen Viertel ihrer Lunge zu verlieren?

Kayas Haut wies daraufhin, dass sie geschlagen, geschnitten, angeschossen und sogar ausgepeitscht worden war. Ihr Rücken war durchzogen von Wundmalen, die ihr eine scharfe Gerte zugefügt hatte. Ich hatte zittern müssen, indes ich ihren geschundenen Körper musterte. Was hatte man ihr angetan? Warum hatte ich nicht bei ihr sein können, um es zu verhindern? Oder um sie zumindest danach zu pflegen? Ich hatte ihre schlafende Hand gedrückt und ihr versprochen, dass ich sie von nun an beschützen würde. Ich hatte sie auf die Stirn geküsst und meine an ihrer ruhen lassen. Ich hatte Tränen auf ihrem Gesicht vergossen. Meine Arme. Zumindest hatte es eine gute Sache daran gegeben: mein Name zierte ihre rechte Rippe noch. Sie hatte ihn nicht weglasern lassen, ebenso wenig wie unseren Ring. Das bedeutete etwas. Das musste es.

Das Traurige war, ich hatte davon lediglich erfahren, weil Kaya ihr Leben riskiert hatte, um Rosy vor einer Gefahr zu retten, die gar nicht existierte. Sie konnte nicht gewusst haben, wie Rosys Albträume sich äußerten, dass sie elektrisierte, schrie, winselte und sich aus ihrem Genom auflud wie Azura, wenn sie wütend war, doch niemals aus Gefährdung. Das Alpha-AI-Genom fungierte als ihr Schutzschild bei Androhung von Gefahr, nicht als ihre Selbstzerstörung, und Kaya hatte in ihrer Panik wohl Letzteres angenommen. Andernfalls konnte ich mir nicht erklären, wieso sie mit Rosy durch den Regen gerannt war und nach Hilfe gerufen hatte. Sie hatte die Heldin gespielt. Für Rosy, für uns. Wie närrisch selbstlos von ihr.

Nach ausgiebiger Beobachtung hatte ich darum gebeten, mich in meinem Loft um sie kümmern zu können, und mittlerweile nächtigte Kaya seit zwei Tagen in meinem Bett, ohne bisher erwacht zu sein. Rosy hatte sich kurz nach ihrem Anfall stabilisiert und saß seither bei ihr. Mein Mädchen, es wurde von furchtbarer Schuld geplagt, trank nicht, aß nicht, konzentrierte sich einzig und allein auf seinen Retter.

Ich versuchte auf Rosy gut einzureden, erläuterte ihr, dass sie keine Schuld traf, da sie es nicht absichtlich getan hatte, und sie erwiderte, dass sie das wüsste und trotzdem nicht von Kayas Seite weichen wollte. Sie befand, das wäre ihre Pflicht. Kaya hätte sichergestellt, dass es ihr gutging, demzufolge vergalt sie es ihr ebenfalls. Glücklicherweise hatte Azura sie für einen gewissen Zeitraum von der Schule befreit, schon vorher. Warum, darüber war ich nicht aufgeklärt worden. Die beiden hätten irgendwas gemeinsam vorgehabt.

In der Küche rührte ich Haferbrei, der sich allmählich andickte und vom Sojadrink schleimig wurde. Der Dampf aus dem Topf aromatisierte den Bereich mit Vanille und Zimt, daneben kochte rote Grütze aus Himbeeren und Vollrohrzucker. Ich plante, Kaya damit zu füttern; Rosy war kein Fan von Hafer, für sie gab es Joghurt mit Obst sowie einen schokolierten Müsliriegel zur Stärkung. Mit Vorsicht über den flauschigen Teppich meines Schlafzimmers pirschend, balancierte ich die gläsernen Tabletts. Rosy kam herbei und nahm mir ihres ab, wobei sie sich höflich bedankte und leicht verbeugte. Wie lieb sie doch war. Sie trug eine rosa Jeans zu ihrem briseweißen Pullover und Söckchen mit Katzengesichtern darauf. Sie platzierte ihren Snack auf den Schoß und knabberte zuerst am Riegel, sie war nun mal eine Süße. Ihre Augen ließen Kaya nicht los, keinmal.

A Fall of Rain - Hawk's Eyes SerieWo Geschichten leben. Entdecke jetzt