AUSFLUG

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Elliott

Ich hasste Gefühle. Ich hasste Spencer James. Ich hasste alles und jeden. Ich hasste mich. Warum war das Leben nur so verdammt beschießen? Konnten nicht einfache alle Menschen rational denken? Ohne Triebe? Einfach wie Roboter funktionieren? Die hatten nämlich kein Gehirn, was sämtliche Hormone aussenden konnte, welche sich dann im ganzen Körper verteilten und dich zu Dingen zwangen, die du gar nicht machen willst. Trotzdem geschieht es. Weil die Rationalität dann versagt. Schlussendlich ist man dann nur noch ein von Gelüsten gesteuerte Teenager, der den Rausch fühlen will.

Und das habe ich!

Und tue es immer noch!

In diesem Moment habe ich einfach abgeschaltet und mich dem Verlangen hingegeben. Es hatte mich selbst schon beinahe erschrocken, was für eine Wirkung der Wachhund auf mich hatte. Wie als hätte einer den Minuspol an die Masse gesteckt, ging mein sonst so kluger Verstand mit mir durch. Nicht mehr daran denkend, wer Spencer war, warum ich bei ihm war und was noch alles kommen würde, ließ ich mich treiben. Denn in dem Augenblick, wo der Blonde so nah bei mir war, hatte ich nicht mehr das beklemmende Gefühl von Ekel, was ich steht's spürte bei fremder Annäherung und anderen Leuten, sondern das Verlangen den Abstand zwischen uns komplett zu schließen; ihn zu spüren. In eine Welt abzutauchen, die mich Vergessen ließ. Eine Welt die mir zeigen sollte, dass ich mehr bin, als ein Emphatie gestörter Soziopath und Verbrecher. Ein Mal in meinem Leben, wollte ich nicht das mörderische Supergenie sein.

Und genau das, hatte Spencer mich fühlen lassen.

Peinlich nervös starrte ich auf meine Hände, welche den Saum vom T-Shirt festhielten. Meine schmerzenden Beine hatte ich von mir gestreckt und lehnte gegen die Kopflehne des Bettes. Neben mir die Seite war leer. Schon als ich aus meiner kurzen Dämmerung aufgewacht bin, war der Agent nicht mehr da gewesen. Zum einen, hatte mich das erleichtert ausatmen lassen, da ich krampfhaft dieses 'Danach' vermeiden wollte. Zum anderen, hatte es in mir ein komisches Ziehen in der Brust ausgelöst, als ich ihn nicht neben mir liegen sah. Er war einfach verschwunden.
'Vermutlich bereut er es.', dachte ich, 'Wieso sollte er auch nicht? Ich war ein sechzehn jähriges Wrack und er einundzwanzig, dazu der beste Wachhund der Königen und wir hatten, mit einan- Oh Gott!' Die Erkenntnis sickerte erst jetzt richtig zu mir durch, da mein Gehirn durch den Medikamentenentzug und den Drogenüberdosen völlig überreizt war. Verstört riss ich meine Augen auf. Die Bilder von letzter Nacht hatten sich in meine Erinnerungen gebrannt und liefen nun in Dauerschleife vor meinem inneren Auge ab. Hitze stieg in meinen Kopf. Was hatte ich nur gemacht? Was hatte ich nur mit mir machen lassen?! Ich war komplett überfordert. Mit der vergangenen Nacht, mit mir, Spencer und seinem Verschwinden. Wütend zog ich an meinen Haaren. Wie sollte ich denn jetzt damit umgehen?

Das Geräusch einer sich schließenden Tür schreckte mich plötzlich auf. Meine Augen schossen in die Richtung, aus der nun Schritte kamen, bis Edward im Rahmen auftauchte. Sofort verbarg ich mein Inneres Durcheinander, unter der herkömmlichen Maske, aus Abweisung und Arroganz.
"Wenn sie ihren Scotty suchen, der ist nicht da.", begrüßte ich ihn kalt. "Nein; tatsächlich verlange ich heute ausnahmsweise mal nach dir." "Ach ja?", meine Augenbraue wanderte in die Höhe, "Und was wollen sie?" "Wir beiden werden einen Ausflug machen.", antwortete Edward, "Also, hop hop! Zieh dir was über, wir haben nicht lange." Da ich bis auf meine Hose und das Shirt nichts anderes hatte, warf mir der Leader einen dicken Pullover zu, der dem Geruch zufolge Spencer's war. Etwas wieder will streifte ich ihn mir über. Derweilen hatte Edward den Rollstuhl neben das Bett geschoben. Ohne Vorwarnung hob er mich in diesen, was mich fluchen ließ: "Für sie gilt immer noch: Nicht anfassen! Was ist so schwer daran das zu kapieren?" "Nichts. Verstehen und umsetzen sind trotzdem zwei verschiedene Dinge und jetzt bitte ich dich freundlichst, deinen Mund zu halten - ich habe schon Kopfschmerzen."

Der Chef des R.S.G's schob mich zügig durch den langen Flur ihres HQ's, bis zum Ende, wo er den Fahrstuhl rief, welcher uns darauf ins Untergeschoss brachte, wo einer der Vans bereitstand. Mühelos hob er mich ins Innere und setzte sich dann selbst hinter das Steuer.
Wir fuhren nun schon über eine Stunden und fünfzig Minuten in östlich, ländliche Richtung. Die Häuser wurden immer weniger und auch die Bäume verschwanden mit der Zeit und nur noch Gras sowie eine weite Sicht blieben übrig. Irgendwann hielt  Edward den Wagen und erstaunt sah ich mich um. Nie hätte ich gedacht, das sein Ziel dieser Ort sein würde. Er hatte mich nach Dover gebracht, direkt zu den 106 Meter hohen Kreidefelsen, welche blendend weiß an die Nordsee grenzten.
"Warum bin ich hier?", fragte ich. Weder Hass, noch Wut trübten meine Stimme. Edward stieg stumm aus. Mein Blick verfolgte ihn, bis er mir die Tür öffnete und ich mich erneut in dem Rollstuhl befand. Langsam schob er mich über die Wiese und machte erst knapp vor dem Abgrund halt. Nun konnte man auch das blaue Meer entdecken, welches einen schneidenden Wind an Land schickte. "Ich dachte", begann Edward zu antworten, "dass du eventuell heute, an dem Ort, wo die White Fly genau vor zehn Jahren abgestürzt ist, sein willst." "Der Todestag meiner Eltern." Mit leeren Augen sah ich nach unten, wo die Wellen an den hellen Stein schlugen, sich auftürmten und zusammen fielen. "Glaubst du, dass du mit Sentimentalität irgendwas erreichst, alter Mann?", fragte ich noch immer monoton, "Glaubst du, dass wenn du mich an die zwei Menschen erinnerst, die mich zur Welt gebracht und aufgezogen haben, etwas bewirkst? Das sich dann deine Probleme in Luft auflösen werden - zusammen mit mir?"

Zusammenhangslos grätschte Edward mir dazwischen und erzählte: "Ich kannte deine Eltern. Den König und die Königen des Underground's. Vincent und Blair, ein Paar das seine eigenen Ansichten verfolgte und trotzdem niemanden wirklich je verurteilte, obwohl sie zusammen den dunkelsten Schatten bildeten in dieser Welt. Deine Mutter, Elliott, war damalig eine gute Freundin von mir. Versteh mich nicht falsch, wenn ich sage, dass sie die wohl beste Frau war die ich kannte - wir waren nur Freunde. Vincent war ebenfalls sehr stattlich und es wunderte mich nicht, als er fragte, ob sie mit ihm zusammen ein Leben verbringen wollte. Stark und anmutig, das war ihre Ehe; abstrakt und mächtig, ihre Führung über den Underground und liebevoll und beschützend ihre Elterlichkeit. Du hättest Blair sehen müssen, wie aufgeregt und überfordert sie war, als sie erfuhr dass sie schwanger war. Selbst der sonst so kühl gefasste Vincent, konnte sich ein Jubeln nicht unterdrücken. Und dann-" "Kam ich. Eine Enttäuschung und Bestrafung." "Richtig, dann kamst du. Eine Herausforderung für dieses Pärchen, was vorher nich darüber nachgedacht hatte, jemals Eltern zu werden. Ich brauche nichts schön reden, da du selbst mitbekommen hast, dass sie nicht ganz wussten mit dir umzugehen. Für sie warst du ein zerbrechliches Porzellanpüppchen, wo man Angst haben musste, dich schon bei der kleinsten Berührung zu zerbrechen und trotzdem warst du für deine Eltern der größte Schatz, den sie über alles liebten und um jeden Preis beschützen wollten. Sie hätten für dich ihr Leben gegeben, was sie schlussendlich dann auch viel zu früh taten.", Edward machte eine Pause, in der er nachdenklich in die Ferne sah, "Der Underground verlor seinen Führer; seinen König und seine Königen. Ich verlor meine beste Freundin. Aber dich hat es am schlimmsten getroffen, denn du hast deine Eltern verloren."

Ich konnte genau hören, wie die Stimme des Silber haarigen brach und wie er sich kontrollieren musste. Weiter schweigend starrte ich gen Horizont, wo sich dunkle Wolken bildeten und ein Unwetter ankündigten. "Wieso erzählst du mir das?", wollte ich nach einer Weile wissen. "Ich hasse dich nicht, Elliott. Mögen währe zwar auch zu viel gesagt, aber ich wollte trotzdem das du weißt, dass du geliebt wurdest und es immer noch wirst. Vincent und Blair können dies zwar heute nicht mehr, aber ich glaube Spencer übernimmt das von Herzen für sie.", Edward lachte leise, "Natürlich stehen auch Sebastian, Henry und Liam hinter dir. Und mal sehen, vielleicht ich irgendwann auch." "Mit einem Messer, um es mir in den Rücken zu rammen?" "Ich bitte dich. Ich würde meine Hände benutzen, um dir genießerisch den Hals umzudrehen." Ich schüttelte meinen Kopf. Wieder kehrte Stille ein, während der Sturm immer weiter aufzog und schon erste Tropfen herunter fielen.

"Wir sollten zurück fahren.", beschloss Edward, nach dem heftiger Platzregen eingesetzt hatte. "Warte.", hielt ich ihn auf und drehte mich umständlich zu ihm, "Sie sollten vorher noch etwas wissen." "Das hört sich so, als würde mir das nächste ganz und gar nicht gefallen. Dabei war die Stimmung gerade so melancholisch." "Tut es nie, wenn ich was sage, aber darum geht es nicht, sondern um ihre Kollegin Emma Louisa Garcìa." Edward seufzte: "Du also auch. Sebastian hatte ebenfalls schon Andeutungen gemacht." "Und er hat Recht." Noch ein schwerer, trauriger Laut entkam dem Mann. "Ich weiß."
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Gleich drei wichtige Ereignisse, in einem Kapitel und ich versichere, dass es noch besserer werden wird.

Der Tod ist der Horizont unseres Lebens, aber der Horizont ist nur das Ende unserer Sicht ~ Rudolf Nissen

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