Kapitel 27

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Zu spät, die Tür ist geschlossen. Ich hebe den Blick und sehe in die Augen meiner Einheit. Alle schauen sie mit einer Mischung aus Stolz, Entsetzen und Respekt zu mir. Kaum schweift mein Blick über die Gesichter, verneigen sich die Mädchen. Ausnahmslos alle, die anwesend sind. Ich lächle. In ihren Augen bin ich nun noch würdiger ihre Kommandantin zu sein. Immerhin habe ich dem Paten eine geklebt vor allen Anführern. Und den Kameraaugen meiner Einheit. Ich wende mich an Maya.

"Nur zur Sicherheit, lass die Zugänge bewachen. Ich muss zu Em in die Zentrale." Sie nickt und lächelt mich an. In einer fließenden Bewegung bahne ich mir einen Weg durch die Menge und erreiche die Treppe. Schnell steige ich sie herunter, stehe kurz darauf in der Zentrale. Emma springt auf, als sie mich sieht und verneigt sich ebenfalls. "Das war einmalig Kommandantin. Du hättest ihre Blicke sehen sollen. Allerdings scheint es, als wenn die Männer sauer auf James sind?"

Also berichte ich von dem Gespräch. Und auch, das ich uns indirekt verraten habe. Sie sieht mich nachdenklich an, als ich sie frage "Was glaubst du wie lange sie brauchen werden um das zu realisieren?" In ihren Augen blitzt Belustigung auf. "Rose, wir reden hier von Männern mit sehr viel Macht. Es kann sich nur um Jahre handeln, bis sie diese Aussage verstehen." Wir beide fangen an zu lachen und es tut gut. Mein Blick gleitet zum Bildschirm der Überwachungszentrale. Es sieht so aus, als hätten der Patron und Papa zusammen mit ihren Männern alle Hände voll zutun, die Oberhäupter von meinem Bruder fernzuhalten. Ups?

Da fällt mir etwas auf. "Wann sind denn die Männer von Papa und dem Patron eingetroffen?" Fragend wende ich mich an Emma, deren Blick meinem gefolgt ist. "Kurz bevor du dem Paten eine reingehauen hast. Berechtigterweise möchte ich hier übrigens anmerken." Sie lächelt mich an und ich nicke ihr einmal kurz zu. "Em geh schlafen. Du siehst müde aus und ich kann nun eh nicht schlafen. Ich behalte die Kameras zusammen mit Kat im Blick." Sie schaut mich an, gähnt kurz darauf. Entschuldigend lächelnd verabschiedet sie sich von mir. Amüsiert schüttle ich den Kopf.

Katarina kommt gerade mit Yasmin und Jasmin, übrigens Zwillinge, in die Zentrale. Als sie mich sehen lächeln auch sie. "Kat wir beide machen die Nachtschicht. Und ihr beiden" damit deute ich auf die Schwestern "solltet euch dringend mal eine Pause und etwas Schlaf gönnen." Sie nicken und verschwinden, während Katarina ihren Posten bezieht. Es vergehen wieder ein paar Stunden.

"Sag mal" spricht Maya mich irgendwann von der Seite an. "Warum haben die anderen Anführer versucht auf James loszugehen? Ich meine, selbst der Pate wollte ihm an den Kragen." Ich seufze. Ich kann mir schon denken warum, aber vorerst ist das nur eine Theorie. "Also meine Theorie dazu ist, dass James sie überredet hat uns zu jagen. Nun sehen sie, was das für Auswirkungen hat und das scheint ihnen ganz und gar nicht zu gefallen. Ich vermute auch James wusste, wie ich reagieren werde und hat sie nicht eingeweiht."

Mein Blick schweift von meinem Bildschirm zu Maya. Sie steht völlig in Gedanken neben mir und nickt verstehend. Ihre Augen werden wieder klar, fragend schaut sie zu mir. "Und wie geht es jetzt weiter?" Ich zucke mit den Schultern. "Erst einmal sollten wir abwarten. Je nachdem wie sich die Situation entwickelt, werden wir entsprechend reagieren." Sie lächelt. "Allerdings" nun wird mein Blick ernst "wette ich, das die ganze Sache noch nicht vorbei ist. Jetzt werden sie erst recht anfangen uns zu jagen."

Auch Mayas Blick wird nun finster. Ein Knurren entweicht ihrer Kehle. "Sollen sie kommen. Wir sind eine Einheit und das nicht nur als Gruppe. Wer eine von uns angreift, greift uns alle an." Ich lache kalt auf. In meinen Augen scheint etwas bösartiges zu funkeln, denn Maya weicht einen Schritt zurück. "Und sollten sie doch so dumm sein, werden sie es mehr als bereuen. Niemand greift ohne Wunden in die Dornen." Ich zwinkere ihr zu. Diese Metapher haben wir früher schon immer genutzt. Gemeint sind hier die Dornen am Stiel einer Rose, von denen wir uns unseren Namen gegeben haben.

Mit einem amüsierten Kopfschütteln wendet sie sich ab und verlässt die Zentrale. Ich schaue ihr noch einen Moment hinterher, bevor ich mich wieder meinem Rechner zuwende. Die Lage draußen scheint sich wieder beruhigt zu haben. Ich sehe niemanden mehr, der meinen Bruder angehen will. Bei dem Gedanken kocht meine Wut hoch. Ein toller Bruder. Manipulativ, arrogant, nur auf sein eigenes Wohl und Ziel bedacht, ohne Rücksicht auf Verluste.

Ich schnaube wütend auf. Abrupt richte ich mich von meinem Stuhl auf, gehe in die Küchenecke um mir einen Tee zu machen. Eines Tages wird er alles bereuen. Das weiß ich. Und wenn ich nicht diejenige bin, die das Urteil vollstreckt, wird es einer der Anderen sein. Dieser Gedanke beruhigt mich etwas. Als ich das Wasser für den Tee in meine Tasse fülle, höre ich ein Räuspern weiter weg von mir.

Ich drehe mich um und sehe Katarina an. Fragend hebe ich eine Augenbraue. Sie deutet auf den Bildschirm. "Sie sind wieder da. Dieses Mal haben sie aber ein Paket dabei. Ich glaube, ich habe auch einen Brief gesehen." Ich schlucke, kann mir schon vorstellen, was das für ein Paket ist. "Wo sind sie gerade?" frage ich mit einer kalten Stimme. Katarina zuckt nicht zusammen. Sie weiß, das es nicht gegen sie gerichtet ist. "Sie kommen gerade am Eingang des Camps an" berichtet sie. Ich nicke. Schaue abwartend auf das Kamerabild. Was habt ihr vor? Habt ihr nicht schon genug angerichtet?

Mir fällt auf, das James und Papa fehlen. Dafür ist der Patron unter den Männer. Zielsicher laufen sie auf das Gebäude, durch das ich vor wenigen Stunden wieder ins Lager gekommen bin, zu. Sie betreten es, kommen nach einigen Minuten in dem kleinen Vorraum an. Trotz ihrer Statur passen alle in diesen, Adrian und sein Vater ganz vorn. Adrian stellt das Paket mit einigem Abstand vor der Sicherheitstür ab. Sein Vater legt einen Brief darauf. Kurz bevor sie sich abwenden und den Raum wieder verlassen, wenden alle ihren Blick zu der, nicht ganz so gut versteckten, Kamera. Für eine Sekunde stockt mir der Atem.

Alle Blicke sind verzweifelt und bedauernd.

Die Dornen der RoseWo Geschichten leben. Entdecke jetzt