Kapitel 35

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Ich laufe durch einen Wald. Ich weiß nicht wo ich mich befinde und finde auch keine Anzeichen dafür, was für ein Wald das sein könnte. Es ist Nacht. Das einzige Licht, was ich hab, ist der Mondschein, der ab und zu durch die Wipfel fällt. Ich bleibe stehen. In der Ferne höre ich Schreie und Schüsse. Schnell renne ich in die Richtung aus der ich glaube die Schüsse gehört zu haben bis ich an einer Klippe stehe. Unter mir und bis zum Horizont erstreckt sich das Meer. Es ist ruhig und der Mond glitzert auf der Oberfläche.

Hinter mir ertönen immer lauter werdende Schritte, doch ich bin so gefesselt von dem Anblick des funkelnden Wassers, das ich mich nicht umdrehe. "Princesa?" Das klingt wie Stephan. "Princesa du musst hier weg" ruft nun Mike. Was? Warum? Es war bis gerade so schön friedlich hier. "Bitte Liebes spring ins Wasser mit uns!" Adrian steht nun neben mir. Meine Augen wandern zu seinem Gesicht. Ich sehe eine Blutspur von seiner Schläfe hinab über sein Gesicht laufen.

Ich greife nach seiner Hand. Auf meiner anderen Seite steht nun Alexander, auch seine Hand ergreife ich. Mike und Luke haben sich neben Alexander gestellt, Stephan neben Adrian. Aus dem Wald ertönen wieder Schüsse, doch ich bewege mich keinen Millimeter. "Princesa bitte" fleht Alexander mich an. "Sie müssen hier irgendwo sein" ertönt eine Stimme aus dem Wald. James. Er jagt uns. Ich weiß nicht, woher ich das weiß, aber ich bin mir sicher.

"Entscheide dich" dringt eine Stimme über das Meer zu mir. Entscheiden? Weswegen? Wofür? "Hör auf dein Herz und entscheide dich" ruft die Stimme erneut. Ich will gerade etwas erwidern, als ich einen plötzlichen Schmerz im Rücken spüre. Der Schmerz bohrt sich durch meinen ganzen Körper bis durch meine Brust mitten durch mein Herz. Als ich an mir herunter schaue, sehe ich einen großen roten Fleck, der sich auf meinen weißen T-Shirt ausbreitet. Meine Hände verkrampfen sich um die von Alexander und Adrian. Doch auch ihre Hände erwidern die Krämpfe. Wie in Zeitlupe mustere ich die Anführer. Bei allen breitet sich an der selben Stelle ein roter Fleck aus, wird immer größer. 

Ich kippe nach vorn zusammen mit den fünf Männern. Das Meer kommt uns in rasender Geschwindigkeit entgegen. Wir durchdringen die Wasseroberfläche und sinken immer weiter. Ich habe nicht das Gefühl zu ertrinken und atme deshalb normal weiter. Um uns herum wird es immer dunkler. Ich weiß nicht wie lange wir schon sinken, doch irgendwann ist es tief schwarz um uns. Langsam lösen sich die Hände von Adrian und Alexander von mir. Ich gerate in Panik, will nicht, das sie mich wieder allein lassen. Meine Finger verlieren den Halt, rutschen ab und die beiden sind nicht mehr bei mir.

Verzweifelt versuche ich nach ihnen zu greifen, doch es ist zu spät. Sie werden von mir fort getrieben. Ich beginne zu weinen, habe plötzlich das Gefühl keine Luft mehr zu bekommen und schnappe nach dieser. Als ich Sand unter meinen Füßen spüre, sacke ich in mich zusammen. Ich beginne zu weinen. Sie haben mich wieder verlassen. Auf einmal wechselt die Szene. Ich bin nicht mehr auf dem Meeresgrund sondern auf einer grünen Wiese.

Überall blühen bunte Blumen und weiter weg erkenne ich eine alte Eiche. An ihr gelehnt sitzt jemand. Ich rapple mich auf und bemerke erst jetzt, das ich ein weißes Sommerkleid trage. Ich schaue noch einmal über die Wiese, doch sehe ich nichts auffälliges. Mit entschlossenen Schritten nähere ich mich dem Baum. Als ich nah genug bin erkenne ich meine Mutter, wie sie meinem sieben Jahre alten Ich über den Kopf streicht, der auf ihrem Schoß liegt.

"Weisst du, nicht alle Männer sind böse. Es gibt auch Gute, auch wenn sie vielleicht im ersten Augenblick nicht so wirken. Manchmal ist das aber nur eine Maske, damit sie nicht verletzt werden können." Höre ich sie reden, als ich nah genug bin. "Aber woran erkenne ich das" fragt meine jüngere Version. Meine Mutter lächelt bei ihren nächsten Worten. "Das wird dir dein Herz sagen. Wenn es soweit ist höre auf dein Herz und gib alles für die, die du liebst."  "Danke Mama" flüstert das kleine Mädchen. "Ich hab dich lieb Mama" flüstere ich. Meine Mutter sieht mir, meiner aktuellen Version, mit einem Lächeln direkt in die Augen. "Höre auf dein Herz und entscheide dich."

Die Szene verschwimmt. "Mama" rufe ich panisch, doch es ist zu spät. Ich stehe in einem weißen Raum, vor mir zwei Türen. Beide haben eine silberne Farbe und einen schwarzen Türrahmen. Auf der Rechten sind sechs ineinander geschlungene Kreise abgebildet, die selbst einen Kreis bilden. Auf der Linken befindet sich nur ein großer Kreis. "Du musst eine Entscheidung treffen Rubinia" erklingt die Stimme meines Bruders hinter mir. Entsetzt drehe ich mich um. Er steht dort, in einem alten schwarzen Umhang gehüllt und schaut mir genau in die Augen.

"Was für eine Entscheidung?" Meine Stimme zittert, die Panik ist daraus zu hören. Er antwortet mir nicht, starrt mich einfach nur weiter an. "Für was stehen die Ringe?" Auch dieses Mal erhalte ich keine Antwort. Langsam hebt sich seinen Arm. In seiner Hand hält er eine Pistole und zielt damit genau auf mein Herz. "Du musst eine Entscheidung treffen" flüstert er erneut. Ich drehe mich wieder zu den Türen, betrachte sie. Ich habe eine Ahnung wofür welche Tür steht. Das leise Klicken als James die Waffe entsichert lässt mich zusammenzucken. "Hör auf dein Herz und entscheide dich. Sonst werde ich die Entscheidung für dich treffen."

Langsam bewege ich mich auf die Türen zu, mittig von ihnen bleibe ich stehen. Ich schaue mir die Linke an. Vermutlich steht sie für ein Leben in Einsamkeit, deswegen auch der eine große Kreis. Als ich mir die rechte Tür anschaue muss ich sofort an die Anführer denken. An die seltsame Beziehung, die wir haben könnten. "Entscheide dich jetzt" brüllt mich James plötzlich an. Ich springe zu der Tür mit den sechs Kreisen und öffne sie. Bevor ich hindurch gehe, schaue ich noch einmal über meine Schulter.

Dort steht nicht mehr mein Bruder, sondern meine Mutter mit einem Lächeln und Tränen in den Augen. "Ich bin so stolz auf dich. Erinnere dich immer daran welche Entscheidung du getroffen hast und wieso." Auch mir steigen Tränen in die Augen. "Ich liebe dich Mama" flüstere ich leise, bevor ich durch die Tür trete. "Ich liebe dich auch mein Rubin" erklingt die flüsternde Stimme meiner Mutter, während um mich herum wieder alles schwarz wird.

Die Dornen der RoseWo Geschichten leben. Entdecke jetzt