Wir waren noch Kinder, als wir uns dieses Versprechen gaben. Die Männer waren damals zwischen sieben und acht Jahre alt. Ich dagegen war vier. Sie haben es versprochen, aber sie haben das Versprechen nicht gehalten. Eine Welle der Wut überrollt mich. Sie haben ihr Versprechen gebrochen und nun berufen sie sich darauf. Luke hat sich mittlerweile neben Alexander gestellt. Mein Blick landet wieder auf Alexander, wandert einmal durch die Runde, bis ich bei Mike ankomme.
Ich weiche noch einen Schritt zurück, bevor ich Adrian in die Magengrube trete. Er sackt zusammen. Die anderen Vier wollen auf mich zustürmen, doch ich bin schneller. In einer flinken Bewegung verpasse ich Mike einen ordentlichen Kinnhaken, während Luke von mir ebenfalls mit einem Tritt in die Magengrube beehrt wird. Stephan weiche ich geschickt aus, trete ihm gegen das Knie, was von einem beunruhigenden Knacken begleitet wird. Auch er bekommt einen Kinnhaken. Alexander nimmt mich von hinten gefangen und hält dabei meine Arme fest. Armer Kerl. Ich lasse meinen Kopf hängen, bevor ich ihn mit Ruck nach hinten werfen und ihm eine Kopfnuss verpasse. Er taumelt nach hinten, lässt mich dabei los. Diese Chance nutze ich und trete auch ihm in den Bauch.
Alle fünf liegen stöhnend auf dem Boden. Ich mustere sie mit Wut in den Augen. "Ihr habt euer Versprechen nicht gehalten und jetzt erwartet ihr, das ich meinen Teil einhalte? Wo wart ihr bitte, als meine Mutter starb und James und Papa durchgedreht sind? Wo wart ihr, als ich euch gebraucht habe? Warum habt ihr euch nicht einmal gemeldet?" schreie ich die am Boden Liegenden an. Ich bin so rasend vor Wut, das ich aus dem Zelt stürme. Sie waren nicht da gewesen, sie haben mich alleine gelassen. Und jetzt auf einmal kommen sie an. Meine Schritte führen mich zum Ufer. Dort angekommen, bleibe ich stehen, setze mich ins Gras. Ich weiß, das ich beobachtet werde, doch gerade ist es mir egal.
Ein Räuspern hinter mir lässt mich zusammen schrecken. Damit habe ich nicht gerechnet. "Darf ich?" und ich weiß, das er neben mich deutet. Der Patron scheint es mitbekommen zu haben. Okay, jeder wird es mitbekommen haben, also sollte mich das nicht wundern. Ohne meinen Blick vom See zu lösen, nicke ich einmal, unfähig etwas zu sagen. Er lässt sich neben mir nieder. "Weisst du Princesa, sie haben sich wirklich Sorgen gemacht um dich. Sie sind gerade zu durchgedreht, als aufgefallen ist, das ihr geflüchtet seid" beginnt er leise. Ich schüttle meinen Kopf. "Sie haben ihr Versprechen gebrochen Archibald. Du weisst, wie ich dazu stehe." Ich drehe mein Gesicht zu ihm und auch er schaut mich an. "Das lag aber nicht an ihnen Kleines. Das war die Anordnung deines Vaters."
Entsetzt sehe ich ihn an. Mein Vater hat ihnen verboten den Kontakt zu mir zu haben? "Warum" gleitet mir nach einem kurzen Moment der Stille die offensichtliche Frage über die Lippen. Er wendet sein Gesicht wieder zum See und schaut nachdenklich auf die glatte Oberfläche. "Ich weiß es nicht. Aber dein Vater hat viel getan, was nicht gut für euren Clan war. Deswegen auch die Auflösung deiner Einheit. Wir wollten euch von ihm lösen, euch in sicheren Händen wissen. Ihr seid uns nie egal gewesen, aber wir haben uns zurück gehalten, damit dein Vater keinen Verdacht schöpft." Ich schweige. Denke über seine Worte nach. War ich zu hart zu den Anführern?
"War Papa auch Schuld an Mamas Tod?" Diese Frage beschäftigt mich seit Jahren. Ich weiß nicht, wer sie getötet hat und warum. Archibald seufzt. "Ja. Was ich dir jetzt sage, wird dir nicht gefallen, aber bitte versuche ruhig zu bleiben." Ich schlucke, habe so eine Ahnung, was jetzt kommt. Ich halte meinen Blick auf den See gerichtet. "Warte. Die Einheit sollte das auch hören." Ich zücke mein Handy und schreibe Maya eine SMS. Wartend sitzen wir nebeneinander. Am anderen Ufer, sehe ich eine immer größer werdende Traube. Ich stehe auf, der Patron tut es mir gleich. Wir bewegen uns am Ufer entlang. Die Traube von Mädchen nähert sich uns ebenfalls. Etwa auf der Mitte des Weges treffen wir auf einander.
"Es gibt Infos. Der Patron wird sie uns mitteilen." Auffordernd sehe ich zu dem alten Mann, dieser nickt mir zu. "Zum einen haben wir eurer Anführerin ein Angebot unterbreitet" ertönt seine Stimme. Die Mädchen sehen zwischen uns hin und her. "Zum anderen haben wir durch interne Ermittlungen erfahren, das der Tod von Cassandra Rosa kein Zufall war. Er war geplant und wurde von niemandem geringeren als James Rosa im Auftrag von Ernesto Rosa ausgeführt." Die Mädchen schnappen nach Luft. Auch ich kämpfe mit mir, versuche mich auf den Beinen zu halten. Ich zittere, bin kurz vor dem Zusammensacken. Ich habe geahnt was kommt, aber es ausgesprochen zu hören ist noch einmal etwas ganz anderes.
Plötzlich schlingen sich zwei starke Arme von hinten um mich. "Wir sind hier Kleines" raunt Mike mir ins Haar. In diesem Moment bin ich dankbar dafür. Ich verschwende keinen Gedanken daran, wie die Männer so schnell hier sein konnten, denn ich habe gerade ein ganz anderes Problem. Das war nicht nur eine Bombe, das war eine Atombombe. Mein eigener Bruder hat meine Mutter getötet auf Anweisung meines Vaters. Maya kommt auf mich zu. Tränen fließen in Strömen über meine Wange. Sie bleibt neben mir stehen, wendet sich an den Patron.
"Deswegen wolltet ihr die Auflösung der Dornen. Um uns, vor allem Rose, aus der Schussbahn zu wissen, oder?" Die Reaktion des Patron kann ich nicht sehen. Mein Glück, das er zu sprechen anfängt. "Ja. Wir wollten euch nie aus dem Kampf raushalten. Uns ging es lediglich darum euch in Sicherheit zu wissen. Wir haben nämlich genauso raus gefunden, das ein Anschlag auf die Dornen, vor allem aber auf die Princesa, geplant war. Durch eure Flucht, habt ihr euch gerettet."
Jemand berührt mich an meinem Arm. "Rose?" Ich höre Maya wie durch Watte, durch meinen Tränenschleier sehe ich ihre Gestalt nur verschwommen. Meine Stimme zittert. In diesem Augenblick bin ich nicht die starke Anführerin, sondern nur eine junge Frau, die gerade eine der schlimmsten Nachrichten ihres Lebens bekommen hat. "Maya übernimm das Kommando. Ich" weiter komme ich nicht, denn meine Stimme bricht. Mir wurde gerade der Boden unter den Füßen weggerissen, allerdings sind drei Sachen fakt und diese muss ich verarbeiten.
Erstens: Mein Bruder und mein Vater haben meine Mutter auf dem Gewissen.
Zweitens: Sie hätten auch beinahe mich auf dem Gewissen gehabt.
Drittens: Die Anführer und der Patron wollten uns beschützen.
Der Schlag ist heftiger als jeder, den ich bisher eingesteckt oder ausgeteilt habe. Der Griff von Mike um meine Taille verstärkt sich. Doch ich nehme es kaum wahr, denn die Dunkelheit der Ohnmacht zieht mich in die Tiefe.
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Die Dornen der Rose
AcciónWas würdest du tun, wenn sie dir das Wichtigste in deinem Leben nehmen wollen? Würdest du aufgeben oder würdest du kämpfen? Genau vor diese Entscheidung wird Ruby gestellt. Doch sie überlegt nicht, sondern reagiert. Keine regelmäßigen Updates garant...