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„Elskanár..." erwiderte Aaron. „Das Fest zur Tag und Nachtgleiche im Frühjahr. Das Fest zum Beginn des Frühlings." erklärte er dann. „Im Herbst feiern wir Edanár - die Tag und Nachtgleiche, die den Herbst einläutet."
Aaron's Blick wanderte zu David. „Ich nehme somit an, Jarl Kari konnte seine Stellung festigen und es ist wieder Ruhe eingekehrt?"
David nickte. „Ja, Hoheit. Es gibt zwar immer noch Schwierigkeiten und Hindernisse, doch der Jarl konnte seinen Machtanspruch geltend machen. Elskanár ist der ideale Tag, um auch nach außen hin den Umschwung sichtbar zu machen."
Aaron neigte nachdenklich den Kopf und griff nach dem geschlossenen Brief auf seinem Tisch. Dann wandte er sich an Finya.
„Hol bitte Arvid her, Finya."
Sofort erhob sich die junge Sklavin, verneigte sich leicht und glitt aus dem Raum.
Eine Weile ließ Aaron seinen Blick schweigend auf David ruhen.
„Ihr habt Euch gut erholt, David." ergriff er dann das Wort. „Wie geht es Eurem Bruder?"
David lächelte. „Ja. Dank Arvid habe ich kaum noch Silber in meinem Körper. Meinem Bruder geht es gut. Jarl Kari hat ihn als Stallbursche in seine Dienste genommen. Allerdings wird es noch dauern, bis er die letzten zwei Jahre hinter sich lassen kann."
Aaron nickte leicht. „Er ist jung. Er wird es schaffen."
Erneut musterte er den jungen Mann, der viel zu früh verwandelt worden war.
„Also konntest du es inzwischen auch akzeptieren, ein Vampir zu sein?"
David lächelte entspannt. „Ja, Hoheit. Auch dank Jarl Kari."
Aaron nickte zufrieden. „Das ist gut."
Langsam legte er den Brief zurück auf den Tisch.
„Ihr wisst, was in diesem Brief steht?"
Es war nur zum Teil eine Frage, fast schon eher eine Feststellung.
David neigte leicht den Kopf. „Nicht genau, Hoheit. Aber ich vermute es."
Aaron nickte ihm zu, fortzufahren.
„Der Jarl möchte mich fest in seine Dienste nehmen und hat mir daher angeboten, sein Zeichen dauerhaft zu tragen, wie es seit jeher in seinem Land üblich war."
„Wie steht Ihr dazu?"
David richtete sich merklich auf. „Es wäre mir eine Ehre, sein Zeichen zu tragen."
In diesem Augenblick klopfte es an der Türe und Finya betrat gemeinsam mit Arvid den Raum.
„Ihr wolltet mich sprechen, Hoheit?" grüßte Arvid seinen König formell und nickte David freundlich zu.
Aaron nickte. „Jarl Kari hat David mit Briefen zu mir geschickt. Eine der Nachrichten ist für dich. Er bittet erneut, deine Dienste in Anspruch nehmen zu dürfen."
Finya trat auf Aaron zu, nahm von ihm den Brief entgegen und reichte ihn Arvid.
In einer flüssigen Bewegung öffnete dieser den Umschlag, zog den Bogen heraus und überflog den Brief. Anerkennend legte sich sein Blick dann auf David.
„Du weißt, was der Jarl von mir möchte?" wandte er sich an ihn.
David nickte. „Jarl Kari nimmt mich dauerhaft in seinen Dienst und ich werde sein Zeichen unwiederbringlich auf meinem Körper tragen."
Arvid lachte leise.
„Soweit richtig." erklärte er dann jedoch, als David ihn verunsichert ansah. „Allerdings gestattet der Jarl nicht jedem, sein Zeichen auf diese Weise zu tragen. Nur Jemand, der sich in besonderem Maße verdient gemacht hat und dem er vertraut wird diese Ehre zu Teil."
Erstaunt hob David den Blick. „DAS wusste ich nicht." gestand er dann.
„Woher wisst Ihr das?"
Schmunzelnd begann Arvid sein Hemd aufzuknöpfen und schlug es schließlich zur Seite.
Links auf seiner Brust, direkt über dem Herzen, konnte David das uralte Zeichen des Jarl sehen: der aus seltsamen Zeichen und Symbolen bestehende Wolfskopf, umringt von einem Ring aus Runen.
Davids Augen wurden groß, sein Blick andächtig. „Ich werde das Zeichen mit Stolz und Ehrfurcht tragen." erklärte er dann mit fester, ruhiger Stimme.
Arvid neigte den Kopf. „Der Jarl hat mich gebeten, dich auf das Ritual vorzubereiten. Wir werden morgen beginnen." erklärte er, wobei sein Blick nur kurz zu Aaron wanderte, der ihm stillschweigend sein Einverständnis gab und sich an Finya wandte.
„Richte bitte einen Raum im zweiten Stock für unseren Gast. David wird eine zeitlang hier bleiben und erst mit uns gemeinsam zurück kehren."

Die nächsten zwei Woche verbrachte Arvid viel Zeit mit David, um ihn über das bevorstehende Ritual aufzuklären und ihn darauf vorzubereiten.
Oft brach er mit ihm schon früh morgens in den nahegelegenen Wald auf und kehrte erst spät Abends mit ihm zurück. Keiner der beiden verlor ein Wort darüber, was an diesen Tagen im Wald geschah und niemand bedrängte sie mit Fragen. Jeder akzeptierte, dass dies eine geheime, fast schon intime Sache war. Lediglich Kjell schien genau im Bilde zu sein, was in den Tiefen des Waldes vor sich ging und er war auch der Einzige, der Arvid und David von Zeit zu Zeit begleitete.
Jeden Abend,  wenn sie auf die Burg zurück kehrten, wirkte David sowohl körperlich, als auch geistig mehr als nur erschöpft.
Doch gleichzeitig schien er zu reifen, schien von Tag zu Tag mehr in sich zu ruhen.
Die Tage, die sie nicht im Wald verbrachten, nutzte Arvid, um die letzten Silberreste aus Davids Armen zu entfernen.
Mit jedem Tag der Vorbereitung wirkte David weniger wie der Junge, der gewaltsam in einen Vampir verwandelt worden war und mehr wie ein Krieger.
Am letzten Tag trat David mit Stolz erhobenen Haupt aus dem Wald. An diesem Tag zeigte er keinerlei Zeichen von Erschöpfung. Dafür hatte sich sein gesamtes Erscheinungsbild geändert.
Mit nacktem Oberkörper und lediglich einer schlichten Lederhose trat er aus dem Wald.
Mit Farbe waren Linien und Muster auf seine nackte Haut gemalt.
Davids Haare waren an den Seiten abrasiert, das verbliebene Haar oben am Scheitel straff zurückgekämmt, miteinander verflochten und mit einem Lederband zu einem, wenn auch kurzen, Zopf zusammen gebunden. Die ganze Erscheinung verlieh ihm wie von selbst ein kriegerisches Aussehen.
Mit ruhigen Schritten trat er auf die Wiese und ging zu einem der letzten Schnee bedeckten Flecken.
Immer wieder griff er nach dem Schnee und rieb sich damit über die Haut, bis er auch den letzten Rest Farbe entfernt hatte.
Arvid trat hinter ihm aus dem Wald und rieb David den Rücken mit Schnee ab, bis auch dieser frei von den Verzierungen war.

An diesem Nachmittag hing in Finyas Kammer ein neues Kleid.
Staunend blieb sie davor stehen. Anders als das letzte Kleid war dieses dunkelgrün und ärmellos. Doch auch dieses Kleid wies teure Goldstickereien auf.
„Morgen brechen wir auf." ertönte auf einmal eine Stimme hinter ihr. Finya drehte sich um. Sie hatte, wie so oft, nicht gemerkt, dass ihr Herr hinter sie getreten war. „Das Kleid wirst du aber erst am Tag des Festes tragen." erklärte er, während Finya mit der Hand andächtig über das Kleid strich.

Finya 3Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt