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Es wurde ein besonders harter Winter. Einmal mehr war Finya dem Schicksal dankbar, das sie hier auf die Burg geführt hatte. Schon lange haderte sie nicht mehr mit ihrem Los als Sklavin. Sie war dankbar, die Sklavin von König Aaron zu sein. Es war wirklich, wie sie Nikolai gesagt hatte: sie diente Aaron gerne und fühlte sich freier als je zuvor in ihrem Leben.
Die wenigen Einschränkungen nahm sie dafür gerne in Kauf.
Sie hatte ein warmes Dach über dem Kopf und konnte auch sonst ein sorgenfreies Leben führen.
Etwas wehmütig dachte sie an ihre früheren Freunde ihres Heimatdorfes, während sie selbst vor dem warmen Kaminfeuer saß. Doch durch ihren Herren wusste sie, dass dieses Dorf aus Kindheitstagen nicht mehr existierte. Nach dem Überfall durch Imperator Aegir war kaum noch etwas übrig geblieben und auch die meisten Bewohner waren von diesem in die Sklaverei geführt worden.
Finya tröstete sich damit, dass es ihnen jetzt, unter Jarl Kari, bestimmt besser ging als unter Aegir und sie zumindest versorgt waren.

Trotz der Kälte genoss Finya die Ausflüge, die Aaron regelmäßig mit ihr machte.
Aaron hatte Finyas Liebe zur freien Natur respektiert und gewährte ihr diese Momente der Freiheit gerne.
Es war auf einem dieser Ausflüge, als sich der nahende Frühling bemerkbar machte.
Die Schneedecke war aufgebrochen und unter ihr spitzte das erste Gras hervor.
Auch das nahe Bächlein plätscherte munter vor sich hin, während an seinem Rand die ersten Frühlingsblumen blühten.
Finya löste sich von ihrem Herren und lief auf das Bächlein zu. Langsam tauchte sie ihre Finger in das kalte Nass und ein leichter Schauer lief ihr über den Rücken. Rasch nahm sie die Hände wieder aus dem Wasser, schüttelte die letzten Tropfen ab und rieb ihre Hände trocken.
Schließlich drehte sie sich um. Aaron war zu ihr getreten und beobachtete schmunzelnd seine junge Sklavin. Er mochte die Momente, in denen Finya derart kindlich wirkte, denn viel zu früh hatte das Leben sie gezwungen, reif und erwachsen zu werden. Und auch er hatte seinen Teil dazu beigetragen, indem er sie zu seiner Sklavin gemacht hatte. Ja, sie war seine Sklavin und würde es auch immer bleiben und doch war sie mehr als das. Sie war zu einer Vertrauten geworden, zu einer Ratgeberin, auf deren Rat er gerne hörte.
Glücklich stand Finya neben ihrem Herren, während ihr Blick zur nahen Burg, zu ihrem Zuhause, wanderte. Deutlich konnte sie von hier aus das Fenster der Kammer ausmachen, in der sie die erste Zeit eingesperrt gewesen war. Aaron folgte ihrem Blick. „Jetzt bin ich schon fast ein Jahr bei Euch..." ergriff Finya schließlich das Wort.
Aaron musterte sie einen Moment nachdenklich, legte ihr dann besitzergreifend die Hand auf den Rücken.
„Bereust du es?" hakte er schließlich nach.
Finya schüttelte den Kopf. „Nein, Herr." erwiderte sie dann lächelnd. „Ja, am Anfang habe ich mit meiner Situation gehadert, aber schon lange nicht mehr. Ich bereue höchstens, dass ich so lange gebraucht habe, um zu erkennen, dass es mir hier gut geht."
Aaron entspannte sich sichtlich.
„Komm. Es wird Zeit, zurück zu kehren."
Erst jetzt bemerkte Finya, wie tief die Sonne bereits stand und nickte.
Als die beiden gemeinsam in Richtung Burg gingen, löste sich auch die Garde aus den Schatten der Bäume, von wo aus sie Aaron und Finya bewacht hatten.

Kurz vor dem Burgtor verharrte Jonas auf einmal. „Wir kriegen Besuch." erklärte er kurz darauf.
Sofort nahm die Garde ihre beiden Schutzbefohlenen in ihre Mitte, während sie genau den einzelnen Reiter beobachteten, der sich in raschem Ritt der Burg näherte.
Jonas trat einen Schritt nach vorne aus dem Kreis der Garde heraus und musterte den Ankömmling genau. Dieser zügelte sein Pferd und ritt nun deutlich langsamer auf die Burg zu.
Schließlich nickte er seinen Kollegen zu. „Es ist David." erklärte er und nur wenige Augenblicke  später erkannten auch die anderen den ehemaligen Gefangenen des Königs.
Dennoch behielt die Garde ihre Formation bei.
Etwa fünfzig Meter von ihnen entfernt kam Davids Pferd schließlich zum Stehen.
David stieg aus dem Sattel und kam ruhig auf die Männer zu. Er trug eine schlichte, lederne Hose und ein einfaches Leinenhemd, auf dem das Zeichen von Jarl Kari eingestickt war.
Dimitri und Eric traten einen Schritt zur Seite und gaben so den Blick auf Aaron frei.
Noch während dieser einen Schritt nach vorne machte, beugte David das Knie.
Trotz des wohl langen Ritts wirkte er nicht wirklich erschöpft.
„Ich grüße Euch, König Aaron."  ergriff er das Wort.
Aaron nickte ihm freundlich zu. „Steht auf, David."
Wenig später saß Aaron in seinem Büro hinter seinem Schreibtisch und David ihm gegenüber. Finya kniete an seiner Seite, auch wenn inzwischen fast immer ein Hocker für sie bereit stand.
„Ich komme mit den Besten Grüßen von Jarl Kari." ergriff David das Wort, als Aaron ihm zunickte.
„Außerdem schickt er mich mit diesen Briefen zu Euch." David griff unter sein Hemd und holte drei Briefe hervor, die er Aaron reichte.
Den ersten legte dieser sogleich zur Seite. Er war nicht für ihn bestimmt, denn auf der Vorderseite stand in nachtblauer Tinte „Arvid".
Als Aaron den zweiten Brief zur Hand nahm, zogen sich seine Augenbrauen erstaunt nach oben. Dann schmunzelte er jedoch und reichte den Brief an Finya.
Völlig überrumpelt nahm diese den Brief entgegen und starrte ungläubig auf ihren Namen.
„Du kannst ihn ruhig aufmachen und lesen." wandte Aaron sich amüsiert an sie, während er selbst den dritten und letzten Brief öffnete und las.
Vorsichtig riss Finya den Umschlag auf und holte zwei Bögen Papier hervor, dir sie sogleich neugierig laß.
Das erste war eindeutig ein Brief, in dem Jarl Kari nochmals für ihre Hilfe dankte.
Was Finya jedoch erstaunte, war der zweite Bogen Papier, auf dem in klaren Lettern das Wort „Einladung" stand.
Verwirrt hob sie den Kopf, sah ihren Herren fragend an und wollte ihm die Einladung reichen. Aaron schmunzelte jedoch nur und hielt seine eigene Einladung hoch.
„Das ist schon richtig so, Finya." erklärte er.
„Jarl Kari schreibt es mir hier...Er wollte, dass du deine eigene Einladung zu Elskanár bekommst. Denn auch du sollst an diesem Tag sein Gast sein."
„Aber..." setzte Finya leicht überfordert an.
„Was ist Elskanár?" stellte sie dann die Frage, die ihr am Einfachsten erschien.

Finya 3Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt