Mit LonelyArktis
Stufe 25.109 war Aries vorzeitiges Ende. Beine wie Gelee gaben unter ihr nach, ihr Hintern plumpste auf die kalte Treppenstufe und es ging einfach nicht mehr weiter. Der Weg wollte und wollte einfach nicht enden, war endlos. „Tot... ich bin tot. Ich kann nicht mehr", nuschelte sie die Augen geschlossen. Der beeindruckende Fernblick aus nichts verlor irgendwann seinen Reiz, gegen eine Runde Schlaf hätte sie hingegen nichts einzuwenden gehabt. Geplättet lehnte sie sich gegen das Treppengeländer, schmuste mit dem Handlauf. „Du hast es damals ehrlich gemeint, du hast mir kein... perverses Angebot gemacht, oder?", raunte sie gegen den kalten Stein, sah ihn nicht an, als sie ihren Fehler vom Boot eingestand. Gingen Menschen deshalb auf Wallfahrt, pilgern und nach Mekka, weil eintöniges Laufen den Verstand klärte? Dennoch hatte sie ein unterschwelliges Motiv: die Pause durch Reden nur ein bisschen verlängern."Wovon redest du? Was für ein perverses Angebot?" Ehrliche Verwirrung spiegelte sich auf Peters Gesicht, nachdem er die wenigen Treppen flink hinunter gekommen war, die ihn und Aries trennten, um nun auf Aries Höhe zu stehen.
Noch immer war er vollkommen entspannt, weder aus der Puste noch einen Tropfen Schweiß auf der Stirn. Es wirkte geradezu so, als sei das hier nichts weiter als ein Sonntagsspaziergang für ihn.
„Ähm, du weißt schon...nachdem... Du hattest mich fest gehalten! Und- Vergiss es einfach. Ist nicht wichtig."
"Ich weiß nich wovon du redest. Aber was das tot sein betrifft.... Du bist es bereits. Deine Beine können nicht erschöpft sein, weil sie nicht wirklich existieren. Dein Körper ist nur das Abbild deiner Vorstellung. Fleischliche Körper können nach ihrem Tod nicht normal fort bestehen."
Etwas unbeholfen kratzte er sich am Kopf, als er runter auf das völlig kraftlose Mädchen schaute.
Offensichtlich gab es diese Version der Story nur in ihrem Kopf. Oh, Aries. Bekomm deine Agaraphobie in den Griff. Wie lächerlich. Besser wäre es das wirklich einfach zu vergessen. Seufzend hob sie den Kopf und blickte geradewegs in zwei durchdringend blaue Augen. So nah, ihr Atem rasselte unbehaglich.
„Danke..." für diese freundliche Erinnerung. Tot, wie hatte sie das nur verdrängen können? Vielleicht, weil sie sich immer noch ziemlich lebendig fühlte, Sorgen, Ängste, alles war noch wie beim Alten.
"Ist alles Kopfsache.... Schwer zu erklären." Hilflos huschte sein Blick von ihr zurück zur Treppe, die sich noch weitere 27.474.891 Stufen wie ein Kreisel in die Höhe wand, dem Himmel entgegen.
Insgesamt waren es 10.000 km. 2.750 Treppenstufen pro Kilometer, insgesamt 27.500.000 Stufen.
Wenn sie weiterhin dieses Menschentempo an den Tag legte, würden sie Monate brauchen, bis sie endlich oben ankamen.
„Wie Phantomschmerzen", lieferte sie ihm, ihrer Meinung nach, einen passenden Vergleich.
"Also entweder... Entweder du legst bisschen an Tempo zu, oder du wirst dich wohl oder übel von mir Huckepack tragen lassen müssen."
Mit flauem Gefühl im Magen erinnerte er sich an das letzte Mal, als er sie angefasst hatte und er würde einen Teufel tun, dies noch ein mal ohne ihr vorheriges Einverständnis zu machen.
„Tragen?", ihr blieb die Luft fast im Hals stecken. Das waren zehn Kilometer, aber keine einfachen. Zehn Höhenkilometer. Das machte einen großen Unterschied. Senkrecht nach oben laufen war immer noch unmöglich. „Mit Flügeln könnten wir hoch fliegen", krächzte sie, wandte den Kopf ab um einen prüfenden Blick über die Brüstung zu werfen, die Finger knetete sie nervös.
„Geht schon", murmelte sie lethargisch und der Stursinn gewann vorerst. Auch mit Peters Erklärung zur optischen Täuschung und dem Körper-Seele-Problem wurde es nicht leichter, oder weniger Anstrengend. Reine Willenskraft brachte sie den nächsten Kilometer hoch, wenn es überhaupt so viel war. Vielleicht war es nur ein bloßer Wunschtraum. Klar war, dass es so nicht weiter ging, sie meinte auch Peters Blick immer wieder kritisch über sich zu spüren, da tropften die ersten Tränen über ihre Wangen auf die Treppenstufen. Der Tod, die Hölle, oder die Kombination aus beiden, verwandelte sie in eine Heulsuse.
„Stopp", schnitt sie Peter in den Weg. „Kannst du dich hinknien und ich setze mich selbst auf deine Schultern?" Vorsichtig näherte sie sich dem Mann, stülpte die Ärmel ihrer Lederkleidung über die Finger. „Ich habe Probleme mit Berührungen, aber wenn ich mir vorstelle auf einem Hütehund zu sitzen wird es schon gehen", sprach sie in erster Linie zu sich selbst.
Sie würde auf ihn steigen, sich fest klammern und die Augen schließen, hatten sie sich erst in Bewegung gesetzt. „Das Angebot steht doch noch?", lachte sie vergeblich mit pochenden Herzen.
Aries Vergleich mit einem Hütehund zauberte ein breites, strahlendes Lächeln auf Peters Gesicht. Die Bezeichnung war so viel treffender, als Aries es in diesem Moment ahnen konnte.
„Klar, keine Hemmungen", nickte er eifrig und drehte ihr den Rücken zu. Ihre Entscheidung würde ihre Reise erheblich beschleunigen und Peter konnte es kaum erwarten endlich nach Hause zu kommen. Mit jeder Stufe wurde die Sehnsucht nach dem trauten Heim größer, das zum Greifen nah schien.
Sanft schlossen sich die Finger einer Hand um seine Schulter, dann die der anderen. Ein Bein schwang sie über den breiter als gedachten Rücken. Die Knie mussten angewinkelt werden und Arme fest um seinen Hals verschränkt. Bestimmt konnte Peter ihr in der Brust schlagendes Herz im Rücken spüren, so fest musste sie sich an ihn pressen um nicht in schwindelerregender Höhe zu fallen. „Okay", hauchte sie, die Lippen dicht an seinem Ohr. „Alles wird gut", ihre Stimme beherbergte ein Zittern.
„Natürlich wird es das. Vertrau' mir", antwortete Peter leise auf ihre Ermutigung. Beide Arme schlang er fest um ihre Beine, drückte sie an sich, sodass Aries einen sicheren Halt hatte, wollte er doch ein zügiges Tempo einlegen.
Er setzte sich in Bewegung und seine Füße flogen nur so über die Stufen. Ihre Umgebung rauschte an ihnen vorbei wie an dem Fenster eines Zugs in voller Fahrt, die Luft strich über ihre Ohren, zerrten an den Haaren und der Kleidung.
Peter ließ sich davon nicht ablenken. Wie ein gut trainiertes Rennpferd verfolgte er seinen Weg wie eine unsichtbare Bahn.
Die Gewohnheit hatte sich in seinen Körper eingebrannt, ließ ihn automatisch jede Stufe nehmen, so wie schon tausende Mal zuvor.
Nachdem die Fronten abermals geklärt waren, blendete Peters Lächeln umso mehr. Wenn die Unsicherheit sie nicht so im Schwitzkasten hätte, dann würde sein Feuereifer ihr eine mächtig schlechte Laune bereiten. Aries war weit fern davon eine ewig hyperaktive Disneyprinzessin zu sein. Seltsamerweise war sie dennoch auf eine Art Retter angewiesen. So erbärmlich, wie sie sich buchstäblich vertrauensvoll an Peter fest klammerte. Sie musste die Augen schließen, weil ihr ganz schwindelig wurde, so schnell sprintete er die Treppen hinauf. Es kam ihr noch schneller vor als bloßes Laufen, aber was sollte es sonst sein? Sprungfedern unter den Füßen? Oder Turbopropeller...
Es dauerte nicht lange und die Stufen wurden heller, tauchten in ein weiches, weißes Licht, das immer intensiver wurde, je höher sie kamen, bis Peter die letzte Stufe erklomm.
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Welcome To Hell
FantasyEngelchen auf der einen Schulter, Teufelchen auf der anderen, Blut tropft vom Handgelenk - und nur ein einziger Wunsch: RACHE! Ein Pakt mit einem Dämon, der Tausch gegen die Seele, der eigene Tod - doch alles läuft anders, wenn man sich mit Mephis...