Kapitel 18 - Sophia

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Mein Tag verlief unspektakulär wie immer. Ich war seit neun Uhr am Arbeiten und hatte gerade Mittagspause, in der ich meine Ruhe genoss und genüsslich meinen Kakao schlürfte.
„Hey Prinzessin", sprach plötzlich eine tiefe, sanfte Stimme hinter mir, die mein Herz erst zum Rasen brachte, bevor mir einfiel was für eine Diskussion wir gestern geführt hatten, sodass ich mich mit funkelnden Augen umdrehte.
„Was willst du hier? Ausspionieren, ob ich nicht mit irgendwelchen anderen Jungs zu viel Augenkontakt habe? Ob mein Chef wirklich schwul ist?", brachte ich wütend hervor.
Ich merkte wie seine Augen sich kurz weiteten. Anscheinend hatte er nicht mit dieser Reaktion gerechnet. Was dachte der denn bitte, dass ich über Nacht alles vergessen hatte, was er mir einfach so vorgeworfen hatte?
„Ich wollte nur kurz persönlich mit dir reden, wenn das möglich ist?", bat er mich.
„Nein ich habe keine Zeit. Ich arbeite", sagte ich kurz und knapp.
Da sah ich Tony aus der Küche schielen, der mir zu bedeuten gab, mit ihm zu reden. Sein Blick verriet, dass er alles gehört hatte und gleich nach vorne kommen würde, wenn ich nicht nachgeben würde. Idiot, er könnte mir auch einfach aus der Patsche helfen und Theo aus dem Laden schicken.
„Ich...", setzte er an, doch ich unterbrach ihn. „Komm mit, du hast eine Minute."
Wir gingen durch den Ladeneingang, in den Hinterhof, was vielleicht nicht meine beste Idee im ersten Moment gewesen war. Nur auf der offenen Straße verstand man kaum ein Wort im Gewusel. Da stand er etwas ungewiss mit weißem, lockerem Hemd, einer Hand in der Chino Hose und starrte mich mit seinen unwiderstehlichen grünen Augen an und strich sich nervös durch seine dunklen Haare. Ich glaube, ich hatte ihn noch nie nervös erlebt.
„Mein Gott du kannst doch nicht jedes Mal, wenn es dir passt, einfach so auf meiner Arbeit aufkreuzen und immer meine ganze Gefühlswelt auf den Kopf stellen. Ich halte das nicht mehr aus, dieses Auf und Ab, du treibst mich noch in den Wahnsinn!", polterte ich laut in meiner Wut auf ihn los.
Seine Augen blinzelten kurz auf, als wäre er ins Stocken geraten. Fuck, was hatte ich da gerade gesagt. Doch zu meiner Verwunderung kam kein blöder Kommentar, kein anzügliches Grinsen, nichts der Art. Das Einzige was er sagte war:
„Es kommt mir vor, als hätte ich dich ewig nicht gesehen Sophia, und ich habe dich irgendwie vermisst."
Ich wusste nicht was ich so schnell darauf antworten sollte, sodass er weitersprach.
„Ich wollte dich niemals beleidigen, ich würde nicht mal im Traum daran denken. Du bist die anmutigste, schönste, klügste und selbstbewussteste Frau, die mir je begegnet ist, mit dem gutmütigsten Herz, was ein Mensch besitzen kann. Und es tut mir leid, wenn ich dir so viele Sorgen bereite."
Er kam einen Schritt auf mich zu und irgendwie machte mich dieses Gefühlschaos, dieses Drama total fertig. Ich wusste nicht was ich tun sollte, also schaute ich einfach nur zu ihm hoch und verlor mich in seinen Augen. Er hob die Hand und strich mir eine meiner Haarsträhnen aus dem Gesicht und nahm meine Hände in seine. Noch nie hat sich etwas so gut, so richtig angefühlt. Ich spürte wie seine großen, weichen Hände meine festhielten, so als wären sie etwas ganz zerbrechlich Besonderes. Seine grünen Augen funkelten, doch ich konnte nicht einordnen, was in ihm vorging, während ich mir gerade wie ein offenes Buch vorkam.
„Ich will dich nie wieder verletzen und falsch über dich urteilen. Es tut mir leid", flüsterte er. Ich wich seinem Blick nicht aus und sagte nur:
„Ist schon ok, ich kann auf mich selbst aufpassen."
Meine Wut war wie verflogen und ich spürte wie meine Hände kribbelten.
„Ich mag es in deiner Nähe zu sein", flüsterte er wieder, als hätte er Angst jemand könnte ihn hören.
„Hast du später noch Zeit und Lust mit mir eine Runde spazieren zu gehen oder was auch immer?", fragte er vorsichtig.
„Ich kann heute nicht. Aber morgen vielleicht."
Ein Lächeln machte sich auf seinem Gesicht breit. Und so standen wir da, still, unwissend, was wir tun oder sagen sollten.
„Ich habe auch an dich gedacht", rutschte es mir heraus.
Seine Augen flackerten, als hätte ich mit meinen Worten ein kleines Feuer ausgelöst. Ich merkte, wie ich in seiner Gegenwart dahin schmolz, kein Schutzschild, keine Kraft auch nur irgendetwas zu tun. Dieser Moment fühlte sich so intim, so intensiv an das es mich viel Kraft kostete mich davon loszureißen.
„Ich... ich muss wieder an die Arbeit", stotterte ich und ging fluchtartig Richtung Café zurück. Ich spürte seine Augen auf mir, doch er stand einfach nur regungslos da. Ich schnappte mir meine Schürze, und ging wortlos an Tony vorbei, ohne auch nur auf seinen fragenden Blick zu antworten. Ich war zu durcheinander, um mich nun damit auseinanderzusetzen, also stürzte ich mich in die Arbeit und verbrachte so viel Zeit wie nur möglich damit Kaffee zu ziehen, Kuchen anzurichten und wenn alle Gäste bedient waren, so viel wie nur möglich zu putzen.
Gegen 17 Uhr verabschiedete ich mich kurz und knapp von Tony, der mich bemitleidend ansah und fuhr zum Cinderella Laden, um mein Kleid abzuholen. Das hellte meine Laune wenigstens etwas auf, als ich an die bevorstehende Hochzeit und das wunderschöne Kleid dachte, welches Amber mir spendiert hatte. Eine weitere gute Nachricht war das Liam, samt seiner Jungs mir beim Aufbauen helfen konnte. Das war schon mal sehr gut, mit den Mädels und den Jungs und ein paar der Floristen und der Lieferanten der Möbel sollte das funktionieren.
„Hi meine Süße!", begrüßte Linda mich. Dein Kleid hängt oben und ist zur Anprobe bereit. Wir fuhren in den dritten Stock und da war es, mein Kleid der Träume, irgendwie war es noch schöner als in meiner Erinnerung. Ich zog es mit den Schuhen an und es passte perfekt. Ich betrachtete mich sehr lange im Spiegel und musste unweigerlich an Theo denken. Seine liebevollen Worte, seine Eifersucht, seine Vorwürfe, sein Grinsen, seine Arschlochseite, Fuck. Ich war drauf und dran Gefühle zu entwickeln, wenn ich nicht schon längst welche hat.
„Liebes, das Kleid sitzt perfekt und ist ab sofort dein Kleid. Da fehlt nur noch dein Prinz", sagte sie bewundernd.
Falsches Thema Linda, ganz schlechtes Thema, dachte ich mir. „Oder hast du etwa schon Liebeskummer?", fragte sie besorgt und erkannte recht schnell was in mir vorging.
„Liebes, ich kenne Mädchen und ich kenne den Blick, wenn ein Mann ein Chaos in ihnen verrichtet hat."
„Was ist, wenn man sich nicht verlieben will, was ist, wenn man vorher schon weiß, dass kann und wird nicht gut ausgehen und das Herz schreit trotzdem immer noch nach ihm. Ich will keinen Herzschmerz, ich brauch das nicht, ich komme auch gut allein klar", erklärte ich wütend und verzweifelt.
„Oh das kenne ich. Die bösen und dunklen Männer sind diejenigen, die die stärkste Anziehung besitzen und oft gehört etwas Schmerz dazu, das ist immer so. Doch das Glück, die Liebe und die Zuneigung, die wir von ihnen erfahren ist um ein Vielfaches höher. Denn die Dunkelheit ist viel leidenschaftlicher, als man es sich vorstellen kann und je mehr Wege des Lichts du betrittst, desto mehr Schattenpfade werden entstehen, die du auch gehen musst. Wichtig ist dabei nur, dass du auf deinem Weg bleibst und deinem Herzen folgst, aber kein Mensch geht ein Leben ohne Schatten ein. In der Dunkelheit liegen so viele Geheimnisse, die es gilt herauszufinden, denn oft sind es positivere Überraschungen als wir denken. So, das war mein Rat als gute Fee an dich. Jetzt liegt es an dir, das Abenteuer zu beginnen und zu sehen, wo es dich hin führt. Ich meine wir sind in New York, wer hier nicht träumt und richtig lebt ist verloren."
Ich musste lachen, Linda war wirklich ein herzensguter und irgendwo auch sehr weiser Mensch. Ich zog mich wieder um, verließ nach einer festen Umarmung von Linda den Laden, mit meinem Kleid und da stand ich, unsicher was ich nun tun sollte. Ich fuhr nach Hause und träumte vor mich hin. Die Musik lenkte mich zum Glück ein bisschen vom Chaos ab. Zuhause angekommen schnappte ich mir die Tafel Schokolade, die mein Dad mir letztens auf mein Bett gelegt hatte, klappte den Laptop auf und startete „The Good Doctor". Das ganze Drama und die persönlichen Geschichten lenkten mich gut ab. Ich las wie immer noch ein wenig und entschied mich Leyla noch nichts zu erzählen, da ich mich möglichst wenig mit Theo auseinandersetzen wollte. Ich stellte mir meinen Wecker auf acht Uhr und schlief recht schnell vor Müdigkeit ein.
Ich trug mein blutrotes Abendkleid und blickte auf die New Yorker Skyline. Die Lichter glitzerten einem, wie die Sonne gegen Abend auf dem Ozean, entgegen. Plötzlich legten sich zwei große Arme um mich.
„Na Prinzessin, gefällt dir die Aussicht?", flüsterte er in mein Ohr.
„Sie verzaubert mich jedes Mal aufs Neue", antwortete ich.
„Du weißt, dass ich dir all das geben kann und viel mehr. Du weißt, dass ich dir jeden Wunsch von den Lippen ablesen würde", erwiderte er.
Ich drehte mich um und blickte in die schönsten Augen, die ich je gesehen habe. Das war es, was mich wirklich verzauberte.
„Ich weiß, dass du alles tun würdest, aber du kannst nun mal nicht ändern wer du bist und was du tust. Dein Leben besteht aus Risiken, Spontanität und sich ständig ändernden Plänen. Du bist nicht gemacht, um etwas Konstantes aufrecht zu erhalten", sagte ich verzweifelt.
„Gib mir eine Chance, wie kannst du wissen, dass es so sein wird, dass es darauf hinausläuft? Du veränderst mich und meine Welt", sagte er bittend und kam mir mit seinen Lippen gefährlich näher.
Ich wusste das ich nichts lieber tun würde, als mich fallen zu lassen, doch ich wusste ich würde am Ende auf nichts anderes, als den Boden auftreffen.
„Ich kann aber nicht die Welt verändern und deswegen wird es am Ende damit enden, dass ich die mit gebrochenem Herzen bin. Ich kann das nicht."
Und versuchte mich wegzudrehen. Doch seine Arme waren links und rechts von mir und die Skyline in meinem Rücken hinter einer dünnen Glasscheibe. Die letzten Sonnenstrahlen berührten sein Gesicht und ließen ihn im goldenen Licht erstrahlen. Seine Lippen waren nur noch einen Millimeter von meinem entfernt und er fing an zu flüstern, was meine Lippen vor Erregung zittern ließ.
„Sophia, du kannst dich genauso wenig, wie ich mich, deinen Gefühlen entziehen. Egal ob du es für eine gute Idee hälst oder nicht. Ich spüre eine Kraft, als würde das ganze Universum mich zu dir drängen und ich kann nichts tun und das weißt du auch. Du fügst dir im Moment mehr Schmerzen zu als ich dir jemals bereiten würde, weil du dich mit aller Kraft gegen etwas wehrst, was du nicht verhindern kannst."
Er gab mir einen Hauch von Kuss auf meinen rechten Mundwinkel.
„Ich weiß, dass du dieselbe Kraft spürst." Ein weiterer Kuss an meiner Wange.
„Du weißt, dass ich alles für dich tun würde." Ein weiterer Kuss auf meinem Hals.
„Du weißt, dass dein Herz mir erlegen ist." Ein weiter Kuss an meinem Schlüsselbein.
„Ich will ein Feuer entfachen, so leidenschaftlich, wie meins für dich brennt", wisperte er.
Ich bekam keine Luft. Mir wurde schwarz vor Augen ich spürte nur noch seine Lippen auf meiner Haut, hörte seine Stimme in meinem Ohr und ich wusste, dass er recht hatte. Ich wollte schreien, ich wollte lieben, ich wollte ihn. Mir wurde der Boden unter den Füßen weggezogen und ich fiel und fiel, in eine endlose Tiefe.
Ich schreckte auf und sah, dass es draußen schon dämmerte. Es war halb sieben. Na super, da lohnte es sich jetzt auch nicht mehr einzuschlafen. Also entschied ich mich für eine morgendliche Joggingrunde um den Kopf freizubekommen. Warum war Theo nach so kurzer Zeit bereits in mein tiefstes Unterbewusstsein eingedrungen. Ich konnte mir nicht erklären wie so etwas möglich war.
Ich zog mich warm an, denn der Herbst war dabei zu kommen und so war es wirklich frisch. Die ersten Blätter fielen von den Bäumen und New York wurde in ein orange-gold getaucht. Ich liebte den Herbst, denn ich wusste darauf folgte meine eigentliche Lieblingsjahreszeit, der Winter. Ich war ein absolutes Winterkind. Ich liebte den Schnee, die bunten Lichter, die ganzen Tannenbäume und den Weihnachtstrubel in der ganzen Stadt. Denn überall wo man hinkam, waren die Leute gestresst, aber sie waren gut gelaunt, sie freuten sich auf das Weihnachtsfest, auf die gemeinsame Zeit. Sie zeigten mehr Wärme, mehr Mitgefühl, hatten mehr Nachsicht und waren glücklicher. Die meisten zumindest, abgesehen von so griesgrämigen Leuten wie Oscar. Ich bekam endlich mal wieder den Kopf etwas frei und genoss die frische Luft. Zuhause angekommen duschte ich mich, machte mich etwas frisch und packte für heute Abend Ersatzklamotten ein, um nicht so eklig wie letztes Mal auszusehen. Nach gestern und heute Nacht war ich zwar irgendwie noch nervöser ihn zu sehen, doch ich freute mich dennoch irgendwie. Ich erschien etwas früher als sonst bei der Arbeit, so konnte ich Rosetta und Charlie noch treffen und ihnen ihr Frühstück machen. Die beiden erzählten mir von ihren Enkeln, die sie lange nicht mehr gesehen hatten, aber zu Weihnachten wohl kommen wollten. Tony sprach mich nicht mehr auf gestern an, wofür ich ihm sehr dankbar war. Dafür erzählte er mir von seinen letzten Treffen und dem Kennenlernen der Freunde, die alle hetero aber sehr nett und offen waren. Mittags war so wenig los, das ich Zeit hatte zu backen, was ich dringend brauchte. Also experimentierte ich zwei Stunden in der Küche rum, bis es dann pünktlich zum Kaffee im ganzen Haus nach Zimt duftete.
„Oh Sophia, hast du schon wieder eine Weihnachtskreation gebacken?", fragte Tony mit großen Augen.
„Ja diesmal ein Schokoladen-Mandelkuchen mit Zimt", erwiderte ich mit einem Grinsen.
Er wusste, wie weihnachtsfanatisch ich war und hatte mich immer ausgelacht im September schon Weihnachtskuchen zu backen. Doch mittlerweile hatte ich ihn angesteckt, außerdem wenn die Verkaufshäuser schon ab August billigen Lebkuchen verkaufen durften, durfte ich ja wohl auch Weihnachtskuchen und Torten backen. Der Kuchen war bereits nach einer Stunde vergriffen, bis auf ein Stück natürlich. Ich checkte zwischendurch mein Handy, ob Theo mir noch eine Nachricht schickte, doch es kam nichts. Ob er wohl noch vorbeikommen würde? Um kurz vor halb sechs zog ich mich dann um und machte mich kurz frisch. Tony starrte mich schon den ganzen Tag so an.
„Jaaa Tony, ich habe mich umgezogen, weil ich mich gleich nochmal mit ihm treffe", sagte ich augenrollend.
„Ich habe nichts gesagt", erwiderte er unschuldig und hob die Hände.
„Ja aber dein Blick sagt alles", sagte ich lachend.
„Wenn du reden möchtest, weißt du kannst du das tun und wenn nicht ist auch in Ordnung", bot er liebevoll an.
„Danke das ist lieb, vielleicht ein anderes Mal. Mach's gut bis dann."
„Mach's gut und viel Spaß", sagte er zurück.
Ich wartete draußen vor dem Tor, was zum Hinterhof führte. Es wurden zehn, fünfzehn, zwanzig und irgendwann dreißig Minuten. Hatte ich was falsch verstanden. Hatte er gar nicht von heute gesprochen? War irgendwas passiert? Ich schrieb ihm eine Nachricht und fragte ihn, wo er denn bliebe. Als dann immer noch keine Antwort kam, nachdem ich eine dreiviertel Stunde in der Kälte stand, rief ich Leyla an. Ich brauchte gerade Gesellschaft und Leyla hatte eine liebevolle und tröstende Art.
„Hey was gibt's Sophia?" fragte sie fröhlich.
„Hey hast du vielleicht spontan Zeit ich wurde gerade sitzen gelassen", erzählte ich mit gedämpfter Stimme.
„In 15 Minuten am Sister ok?", befahl sie mehr als dass sie nachhakte, ob ich einverstanden war. „Danke"
Ich machte mich auf den Weg. Das Sister war eine kleine gemütliche Bar mit Bistro. Ich stöpselte meine Kopfhörer ein und ließ mich von meiner miesen getrübten Laune treiben. Angekommen, sah ich Leyla schon am Eingang auf mich warten. Sie nahm mich in dem Arm und drückte mich fest. Sie wusste immer was mir gut tat, wenn ich einen schlechten oder harten Tag hatte.
„Wir werden jetzt erstmal lecker essen und vielleicht auch etwas trinken, einverstanden?", fragte sie enthusiastisch.
„Klingt nach einem guten Plan, aber es ist doch Dienstag, musst du morgen nicht früh aufstehen und zur Uni?", fragte ich besorgt.
„Ach was, selbst wenn, wäre mir das sowas von egal. Ich habe morgen eh nur eine Vorlesung und das erst um 14 Uhr, also wird jetzt erstmal wieder etwas Spaß gehabt", überzeugte sie mich.
„Danke nochmal. Ich war gerade echt sauer und traurig und da dachte ich, ich ruf dich einfach mal an, denn allein sein wollte ich jetzt auch nicht", sagte ich.
„Dann erzähl mal was los ist? Wir haben ja nun auch länger nicht mehr gesprochen, aber ich wollte dich auch nicht so nerven, wie Maxim es immer tut", sagte sie grinsend.
Mir ging es schon ein ganzes Stückchen besser, wo ich hier mit ihr saß. Also erzählte ich ihr die Geschichte von Sonntagabend, unser intimes Gespräch im Hinterhof gestern und wie er mich jetzt heute sitzen gelassen hatte. Den Traum erwähnte ich nur sehr kurz und knapp, weil es mir peinlich war, doch Leyla nahm alles mit vollem Ernst auf.
„Oh man Sophia ich will dir ja nichts sagen, aber irgendwie verknallt hört sich das ja schon an. Ich meine, egal wie kompliziert und scheiße jemand sich verhält, das Herz kann man nicht ändern, dass macht manchmal was es will."
„Ich will das aber nicht, du siehst ja wie unberechenbar er ist. Ich habe keine Lust ständig enttäuscht und verletzt zu werden, denn so ist er. Er ist kalt und dreist gegenüber so vielen Menschen", sagte ich wütend.
„Dir denn auch?", fragte sie vorsichtig.
Das war der Punkt. Ich erkannte seine Haltung, sein Charakter, doch bei mir war er teils anders. Ich konnte es sehen und erkennen, aber er behandelte mich dennoch nicht so.
„Nein, da verhält er sich manchmal unbedacht und dreist aber immer so leidenschaftlich", sagte ich verzweifelt.
„Dann ist das deine Antwort. Solange er sich dir gegenüber respektvoll und anders verhält, ist das gut. Und glaube mir es gibt nichts Besseres oder Heißeres, als einen leidenschaftlichen Mann", erklärte Leyla.
„Ja und was soll ich dann machen, wenn er sowas wie heute bringt?", entgegnete ich wütend.
„Das ist scheiße und geht so nicht, dafür würde ich ihn auch geradestehen lassen, damit er sich sowas nicht mehr erlaubt. Ich kann dir helfen, wenn er dir endlich antwortet. Ansonsten musst du deinen Weg irgendwie selbst finden, aber steh dir nicht selbst im Weg, aus Angst vor Schmerzen, denn da wartet so viel Gutes auch auf dich", sagte sie liebevoll und ruhig.
„Meinst du den Sex, von dem Maxim immer spricht", erwiderte ich und musste selbst grinsen.
„Den auch", lachte sie.
„Warte, hattest du jetzt etwa doch schon?", fragte ich schockiert.
Sie wurde etwas verlegen.
„Also nun ja ich hatte eventuell ein paar Dates, die sich kurz zu etwas Heißerem entwickelt hatten, sodass ich mich dann einfach mal auf was Offeneres eingelassen habe, bei dem man keine Verpflichtungen hat", sagte sie mit leiser Stimme.
„Hey das ist doch nichts, wofür du dich schämen müsstest. Ich finde das völlig in Ordnung. Ich meine warum sollte man nur in der Beziehung Sex haben, wenn man sich auch vorher schon ungebunden vergnügen kann. Männer tun das doch auch ständig. Warum sollten die das dürfen und wir direkt als Schlampe betitelt werden, also wirklich", erwiderte ich.
Leyla schien erleichtert, als hätte ich gerade ihre Gedanken ausgesprochen.
„Also auf uns, unsere Freiheit und unser Herz", sagte ich schon wieder mit deutlich besserer Laune. „Auf uns!", stimmte Leyla mit ein.
Wir bestellten uns eine leckere Ofenkartoffel. Quatschten über dies und das und machten uns noch einen gemütlichen Abend, mit auch dem ein oder anderen Aperitif. Gegen elf machten wir uns dann auf den Heimweg.
„Danke Leyla, du glaubst gar nicht wie gut dieser Abend tat. Danke."
„Immer gern, mir hat es auch sehr viel Spaß gemacht und ich hatte ja gerade eh nichts zu tun. Und ich freue mich immer wieder, wenn ich dir helfen kann."
So trennten wir uns und ich fuhr zurück nach Hause.
Zuhause stellte ich meinem Dad sein Kuchenstück in den Kühlschrank, schrieb ihm eine kurze Notiz und sprang unter die Dusche. Ich war platt vom frühen Aufstehen, vom Joggen und Arbeiten und ging sofort Schlafen.
Am nächsten Tag hatte ich frei und brauchte mir mal ausnahmsweise keinen Wecker stellen. Was ein schönes Gefühl.
Die nächsten Tage verliefen unspektakulär. Ich bekam eine neue Anfrage für eine Hochzeit, las mein Buch zu Ende, schaute weitere Folgen The Good Doctor und Friends mit meinem Vater und arbeite donnerstags und freitags im Café. Von Theo fehlte jede Spur, er antwortete nicht und tauchte auch nicht im Café auf.
Irgendwann kam ich dann mal auf die Idee ihn zu Googlen und dann kam der Schock.
„Theo Silver, Theo Silver die Silver Family, Bruder bleibt leer aus, der heiße Junggeselle, die Silvers regieren die Wirtschaft..." Eine Schlagzeile nach der nächsten. Bekannte Zeitungen, Klatschzeitungen, überall wurde mal von ihm geredet. Anscheinend hatten sich die Silvers einen ehrenwerten Namen gemacht und ein ziemliches Geschäft aufgebaut. Sein Vater hatte es vor 7 Jahren an Theo abgetreten und offensichtlich ist sein jüngerer Bruder dabei etwas zu kurz gekommen, was wohl für ziemlichen Clinch gesorgt hat, zumal es auch noch so verbreitet wurde. Sein Image wurde dadurch wahrscheinlich nicht gerade angehoben. Warum habe ich ihn nicht sofort am Namen erkannt, beziehungsweise warum hatte ich ihn nicht schonmal gehört, nun ja zumindest mir gemerkt. Gott war das peinlich. Das erklärte auch die komische Situation im Restaurant letztens, als er so geschockt reagiert hatte, dass ich ihn nicht schon vorher kannte. Aber gut das war für mich nur noch ein Argument mehr, warum er wirkliches Interesse an mir einem normalen Mädchen haben sollte, die sich und ihren Vater mit zwei Jobs über Wasser hält und einen Traum verfolgt, über den andere lachen würden.
Am Samstag hatten wir Mädels beschlossen mal wirklich nur ein Mädchenabend zu machen. Also übernachteten wir zu viert bei Maxim. Jeder von uns hatte Snacks, Wein und eine Liste an Lieblingsfilmen mitgebracht. Wir fingen erstmal ganz klischeehaft an eine kleine Beautystunde mit Masken und Nagelpflege einzurichten, während wir uns Pizza bestellten. Es war herrlich entspannend und amüsant. Nachdem wir dann auch etwas mehr Wein intus hatten, fingen die ernsten Gespräche an. Zuerst war Mel dran, die uns erzählte, dass sie sich jetzt mit Liam doch ein paar Mal richtig getroffen und sich bereits geküsst hatten. Das war natürlich der Moment, wo wir alle anfingen zu kreischen, uns freuten und nochmal ganz genau nachhaken mussten. Was, wo und wie? Plötzlich fragte Maxim mich:
„Was läuft da eigentlich zwischen dir und Jasper? Ihr beiden seid ja ziemlich heiß am Flirten."
Ich verschluckte einen ganz Chip, was mir Tränen in die Augen schießen ließ.
„Jasper und ich, oh nein da habt ihr was missverstanden. Auf keinen Fall, Nein!"
„Warum so defensiv?", warf Mel mir vor.
„Ich defensiv? Also ich war ja wohl offener als sonst und erst recht als du. Ich meine ich habe mich auf ein Date eingelassen und nicht erst Monate gewartet. War vielleicht letztendlich eine doofe Idee aber gut", plapperte ich drauf los und merkte dann, was ich gerade eigentlich alles gesagt hatte.
„Ehm haben wir irgendwas verpasst Sophia?", lachte Maxim.
Hingegen Mel immer noch geschockt da saß und auch auf eine Erklärung wartete. Leyla hatte sich verkrümelt und war ganz still geworden. Da war sie. Die Stunde der Wahrheit. War jetzt auch egal, denn ich rechnete nicht mehr damit, dass er sich meldete. Also erzählte ich ihnen die Geschichte von Anfang an. Manche Details der Szenarien, geschweige denn meine Träumereien ließ ich bewusst aus. Die Geschichte war schon aufregend genug. Die Mädels waren erstmal sprachlos und wussten auch nicht recht was sie von der Situation halten sollten, aber sie reagierten wirklich nett und einfühlsam.
„Also wenn das Arschloch sich nicht meldet, kann ich nur nochmal auf Jasper verweisen. Er scheint ein echt cooler verrückter Typ zu sein, der dich mag", sagte Maxim.
„Das ist lieb, doch ich glaube, ich möchte und brauche erstmal meine Ruhe und will abwarten, was noch passiert. Ich meine, die Geschichte ist ja nicht schon verrückt genug."
„Das stimmt wohl", sagte Mel.
Wir schauten uns gegen Mitternacht noch einen Liebesfilm an und fielen um 2 Uhr tot müde ins Bett.
Am nächsten Morgen hatte uns Maxims Mutter frische Brötchen auf den Tisch gestellt und Rührei und Bacon gekocht.
„Oh mein Gott duftet das gut, das wäre doch wirklich nicht nötig gewesen", sagte Mel zu Maxims Mutter.
„Ach was, ich freu mich, wenn Gäste im Haus sind, ihr seid immer willkommen", erwiderte sie freundlich.
Wir frühstückten ausgiebig und gammelten dann noch etwas in Maxims Zimmer. Gegen Mittag machte ich mich dann auf den Weg nach Hause und entschied noch spontan in die Bücherei zu gehen. Das war der einzige Ort in New York, wo man das Gefühl hatte, nicht wirklich in New York zu sein und dem Trubel entkommen zu können. Jeder war in seiner eigenen Welt und es ertönte kein Gehupe, keine Sirene, keine lauten Stimmen. Nichts. Nur die Stille selbst. Ich war froh, dass nun alle meiner Freundinnen Bescheid wussten, sie für mich da waren und mich unterstützten. Und dennoch musste ich immer wieder an ihn denken, warum er mir nicht antwortete. Denn bei unserer letzten Begegnung war er so offen, so ehrlich und verletzlich, das passte nicht dazu, dass er mich sitzen ließ und mir nicht antwortete. Ich musste zugeben, dass ich mir Sorgen machte. Ich war sauer, doch ich machte mir auch Sorgen. Also wählte ich seine Nummer und rief ihn an. Warum war ich nicht schon eher auf die Idee gekommen. Der Anruf wurde sofort abgebrochen, als wäre sein Handy aus oder tot. Nun ja wenigstens hat er mich nicht absichtlich ignoriert, aber warum sollte sein Handy so lange aus sein, das ergibt doch keinen Sinn. Ich begriff, dass ich mir nur noch mehr den Kopf zerbrechen würde, ohne eine Antwort zu bekommen. Also schnappte ich mir zwei neue Bücher, steckte meine Kopfhörer ein und fuhr mit der U-Bahn zurück nach Hause. Dad war auch da, sodass wir uns noch gemeinsam einen gemütlichen Abend auf der Couch machten.

Schattenpfade im Licht - gefährliches VerlangenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt