Kapitel 34 - Theo

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Ich suchte Sophia überall, mittlerweile war es eine halbe Stunde her, dass sie mir im Badezimmer gesagt hatte, sie würde gleichkommen. Auch keine ihrer Freundinnen hatte sie gesehen. Ich wurde panisch, weil die Bilder vom letzten Mal hochkamen, als sie mir leichenblass aus dem Waschraum entgegenkam, nachdem mein Bruder sie belästigt hatte. Ich sprach mit Nick, wo ich noch suchen könnte.
„Kannst du versuchen sie auf dem Handy zu erreichen?", fragte er mich.
„Habe ich schon. Es ist ausgeschaltet", stöhnte ich auf.
„Hast du denn wirklich alle Räume abgesucht?", fragte er mich erneut und da fiel es mir ein. Der einzige Raum, indem niemand sein konnte außer uns beiden war mein Schlafzimmer, wofür ich ihr doch sogar noch ein Schlüssel gegeben hatte.
„Nick kannst du mir ein Gefallen tun und dafür sorgen, dass die Party gleich ihr Ende nimmt und alle das Haus verlassen, ich weiß, wo sie ist, aber weil ich nicht weiß, wie es ihr geht, will ich zunächst bei ihr bleiben", erklärte ich ihm und er nickte mir zu.
„Klar kein Ding, wir regeln das hier gleich. Ich hoffe, dass sich alles klärt", sagte er nett und ging zu den Anderen.
Ich stürmte zu meinem Zimmer und suchte in meinen Taschen nach dem Schlüssel. Als ich ihn fand öffnete ich hastig die Tür und sah ein kleines zusammengerolltes Bündel auf meinem Bett liegen. Erleichterung erfasste mich und so zog ich mich schnell aus und legte mich zu ihr ins Bett. Sie war in tausende Decken und einen meiner Hoodies eingemummelt. Ich streichelte ihr sanft über den Rücken. Ihre Nähe beruhigte mich und ich fragte mich, ob sie schon schlief oder nur vor sich hin döste, denn sie zeigte keinerlei Regung.
„Sophia?", flüsterte ich leise, doch es kam keine Antwort. Plötzlich regte sich etwas. Sie bewegte ihre Beine, als würde sie irgendetwas von sich treten wollen. Ich fasste sie an die Schulter, um sie zu beruhigen, doch sie war offenbar gefangen und drückte mich weg. Sie trat immer heftiger aus, nahm ihre Hände schützend vor ihr Gesicht, murmelte verzweifelt immer lauter, bis sie völlig wild um sich schlug. Ich setzte mich auf versuchte ihre Hände zu greifen und sie irgendwie wachzurütteln. Da schrie sie aus Leibeskräften:
„Neeeeeeeein! Lass mich los, bitte!" Ich ließ sie vor Schreck los und stolperte nach hinten. Ihr Schrei erschütterte mich bis ins Mark. Noch nie hatte ich so viel Schmerz in einem Schrei vernommen. Ich schrie verzweifelt: „Sophia, bitte!", als sie benommen aufschreckte und noch immer um sich schlug. Sie schaute wild und völlig verängstigt im Zimmer umher, bis sie mich erkannte.
„Hey ich bin's nur", sagte ich vorsichtig und war noch immer geschockt und hatte keine Ahnung wie ich reagieren sollte. „Theo?", flüsterte sie so leise, dass man es kaum hören konnte. Ich ging langsam auf sie zu und setzte mich auf die Bettkante. Ich streichelte sie beruhigend und spürte, dass sie schweißgebadet war.
„Was war das?", fragte ich sie vorsichtig. Doch sie drehte sich weg und suchte Schutz in ihren Decken und Kissen. Ich erkannte, wie sehr sie sich verschanzt hatte. Vor der Party, vor mir, vor allem. Sie hatte Schutz gesucht.
„Hey ich bin da, du brauchst keine Angst mehr haben", flüsterte ich beruhigend und legte mich behutsam neben sie und legte einen Arm um sie. Ich versuchte ihr zu zeigen, wie sehr ich für sie da war und sie halten würde, dass sie sich gänzlich in meine Arme fallen lassen könnte, doch ich sah wie sie eine Mauer nach der anderen versuchte aufzubauen und etwas vor mir zu verstecken.
„Bitte rede mit mir, ich ertrage es nicht, wenn du versuchst deinen Schmerz vor mir zu verstecken, denn ich spüre ihn", flehte ich sie an und es ertönte ein Schluchzer.
„Es geht nicht", sagte sie brüchig und klammerte sich an meinem Arm.
„Warum nicht?", fragte ich sie zurück und drückte sie noch fester an mich.
„Weil ich nur Unheil anrichten würde", sagte sie und fing noch stärker an zu schluchzen. So lagen wir bestimmt eine ganze Weile und mein Herz zersprang von Minute zu Minute in weitere Splitter. Denn ich spürte, dass sie mittlerweile nur noch ein Scherbenhaufen war, und sie ließ mich nicht ihre Scherben aufsammeln, geschweige denn zusammenkleben. Nein, sie baute immer mehr Mauern um sich herum auf.
„Sophia bitte rede mit mir, dass ich dir helfen kann!", flehte ich sie lauter an, was sie nur noch mehr zum Weinen brachte. Ich drehte sie mit aller Kraft um, sodass ihr gerötetes Gesicht, welches voller Tränen war, zu mir zeigte. Sie öffnete ihre Augen und spätestens jetzt war auch ich zerbrochen. Alles was ich sah war Verzweiflung, Trauer und Schmerz, ganz viel Schmerz. So viel, dass ihn ein Mensch nicht tragen konnte.
„Bitte... bitte sprich mit mir", sagte ich erneut und war nun selbst den Tränen nahe, weil ihr Schmerz mich so sehr kränkte.
„Ich...", fing sie an, doch sie kam nicht weiter, weil sie wieder zusammenbrach. Also hielt ich sie ganz fest in meinem Arm, so als könnte nichts und niemand sie mir entreißen.
„Ich habe dir was verschwiegen", brachte sie schließlich brüchig hervor.
„Es ist ein dunkler Fleck in meinem Leben, den ich gut verschlossen hatte...bis heute", fuhr sie fort und musste sich anstrengen nicht wieder in Schluchzen auszubrechen. Ich spürte, wie ihr jedes der Worte schwerfiel, als würde es sie quälen es auszusprechen und ihr jedes Mal ein Messerstich versetzen.
„Ich habe doch bei unserem ersten Mal gesagt, dass du der Erste und Einzige gewesen wärst, der mich je angefasst hätte. Das stimmte nicht."
„Es ist fast zwei Jahre her, als ich von der Arbeit kam. Es war Januar und abends bereits dunkel. Ich war auf dem Weg zum Geburtstagessen meines Vaters, da rief ein junger Mann plötzlich, ob ich ihm bei einer schweren Kiste helfen könnte. Ich habe mir nichts dabei gedacht und bin nur drei Meter auf ihn zugegangen." Sie stoppte und schluckte.
„Dann hat er mich hinter ein Treppengeländer gedrückt, sodass uns niemand von der Straße her sehen konnte. Ich wollte schreien, da hat er mich geschlagen und meinen Mund grob mit einem Tuch gestopft. Er hat mich an die Wand gedrückt mich festgehalten, mich begrapscht. Dann... dann hat er mein Kleid hochgeschoben und mit seinen kalten Händen meine Brüste angefasst, mich geküsst und abgeleckt. Er hat mich an allen erdenklichen Stellen berührt, mir seine Hand in die Hose gesteckt, meine Schamlippen gekniffen und mir seinen Penis entgegen gedrückt. Ich habe Schreien wollen, doch es ging nicht, ich hatte weder die Kraft dazu, noch fand ich meine Stimme. Ich war hilflos und wehrlos. Ich wurde von ihm beschmutzt und wie Dreck behandelt. Ich habe mir nur noch den Tod gewünscht, um nicht noch Schlimmeres ertragen zu müssen", ihre Stimme brach an der Stelle an.
„Eine junge Frau hatte ,Gott sei Dank, gesehen wie er mich bedrängt hatte und die Polizei gerufen, die kurze Zeit später kam und mich und ihn mit aufs Revier genommen hat. Und so saß ich beschmiert, nackt, entblößt, zersplittert da und musste noch einmal meinen schlimmsten Alptraum wiedergeben. Und dann stellt sich zwei Jahre später raus, dass dieser Typ, die ganze Zeit frei rumlief, weil er sich freigekauft hatte und ich, oder meine Liebsten für sein verlorenes Geld büßen dürfen." Sie weinte laut auf und konnte nicht weitersprechen.
„Ich...Ich...", begann sie und sah mich an. Ich wusste nicht was ich sagen sollte, weil ich noch nie zuvor so einen Schmerz, so eine Wut gespürt habe. Das erste Mal in meinem Leben hatte ich den tiefsten Wunsch zu morden. Ich spürte ihre Tränen, die an meiner Brust hinunterliefen und ich weinte mit ihr. Das erste Mal, seit ich denken konnte liefen Tränen über mein Gesicht und fielen in Sophias Haar.
„Wer war es?", sagte ich mit gebrochener Stimme, doch sie schüttelte nur wild den Kopf.
„Ich weiß, dass er heute Abend hier war, also sag mir sofort wer es war!", sagte ich deutlich lauter und schüttelte sie. Doch sie schluchzte nur noch lauter.
„Ich kann es dir nicht sagen. Es reicht, dass er mir weh getan hat", sagte sie.
„Sophia!", schrie ich nun.
„Sag mir sofort wer dir das angetan hat, sag es mir!", sie zuckte vor Schreck zusammen, weil meine Stimme nun wirklich laut und bedrohlich klang. Denn ich war kurz davor jegliche Beherrschung zu verlieren und ich wollte das eigentlich nicht Sophia spüren lassen, doch die Wut hatte mich längst, wie ein Rausch erfasst.
„Ethan", wisperte sie unter Tränen hervor und mein Herz setzte einen Moment lang aus. Die Vorstellung, dass Ethan ihr so etwas angetan hatte und vielleicht noch weiteren Frauen, erschütterte mein Vertrauen bis aufs Äußerste. Und jetzt fiel mir alles wieder ein. Ihre erste Reaktion bei Ethans Begegnung, sein Verschwinden kurz nach ihrem, als er meinte, er wolle Sam suchen. Ihre panische Angst zu Beginn, als ich sie so bedrängt habe. Ich hatte mich genau wie Ethan aufgeführt. Ich war als ihr zweiter schlimmster Alptraum ins Leben getreten.
„Sophia es tut mir so unendlich leid, ich habe dich bedrängt, festgehalten, ja sogar belästigt, ich habe dich deinen schlimmsten Albtraum nochmal erleben lassen. Ich habe dich sogar gefesselt!", schrie ich verzweifelt.
„Warum hast du mir nicht eher davon erzählt, warum hast du mir nichts gesagt, warum hast du dich nicht gewehrt, warum...", meine Stimme brach ab.
„Weil du mein Beschützer bist Theo. Es gibt niemanden, wo ich mich so sicher gefühlt habe, und immer noch fühle, wie bei dir. Ich habe dich und dein gutes Herz vom ersten Moment an gespürt. Deswegen hat es mich doch so verwirrt und so durcheinander gebracht. Ich konnte bis zu diesem Moment keinem fremden Menschen mehr trauen. Ich brauchte zu allen Fremden Abstand und dann kamst du. Du hast meine Welt wieder ins Rechte gerückt, du hast mein Herz nach zwei Jahren wiederbelebt, du hast mir gezeigt, dass es Liebe gibt, dass es sich lohnt zu Vertrauen und ich habe und werde es immer lieben. Ich gehöre dir, weil ich es so will. Ich will das du mich so berührst und küsst, wie du es immer getan hast, weil du es bist, das ist der Unterschied. Ich kannte dich, als ich dich noch gar nicht kannte, weil du mir deine Seele offenbart hast und ich gesehen habe, dass sie mehr als gut ist und dass sie meine um jeden Preis beschützen wird. Ich bin durch dich wieder lebendig, mutig und stark geworden. Du hast mir alles Verlorene zurückgegeben, also bereue bitte nicht einen einzigen Schritt von dir", flehte sie verzweifelt unter Tränen und schaffte es mir den Boden noch mehr unter den Füßen weg zu reißen.
„Ich liebe dich Sophia und deswegen muss ich das jetzt tun", sagte ich und stand auf. Ich zog mir schnell eine Jeans und einen Pullover über, denn das einzige, an das ich jetzt noch denken konnte, war Ethan bluten zu sehen. Er hatte das Glück des Menschen genommen, der mir am meisten bedeutete. In meiner Wut bemerkte ich nicht wie Sophia aufgestanden war. Sie kam von hinten auf mich zu, und riss mich zurück.
„Nein, bitte tu das nicht, ich flehe dich an. Er wird dir, meinen Freunden oder wem auch immer weh tun. Er hat sich aus einer jahrelangen Gefängnisstrafe freigekauft, ich bitte dich Theo, bitte. Er hat mir angedroht was passiert!", schrie sie verzweifelt.
„Und genau deswegen werde ich dem jetzt ein Ende bereiten!", sagte ich entschlossen und riss mich los, um zur Tür zu stürmen. Sie rannte mir verzweifelt hinterher. Meine Wohnung war mittlerweile zum Glück leer, wobei es praktischer gewesen wäre, hätte ich den Bastard hier noch erwischt.
„THEO!", schrie sie mit voller Kraft und stand da, komplett zerstört und verzweifelt.
„Wenn ich dir wirklich was bedeute, wirst du mir jetzt nicht noch diesen Schmerz zufügen, du wirst nicht durch diese Tür gehen, du wirst mich nicht verlassen, bitte tu das nicht", sagte sie und hauchte die letzten Worte, weil ihre Kraft zu Ende gegangen war.
„Ich muss das tun, ich muss es für dich tun. Ich war damals nicht da, um dich zu retten, aber ich bin es jetzt", sagte ich schmerzverzerrt und zog die Tür hinter mir zu. Ich hörte noch, wie sie aufschrie, doch da stürmte ich schon zum Aufzug. Ich wusste nicht was ich tun würde, doch ich wusste wonach ich mich sehnte. Rache. Ich wollte Ethan für all seine Schandtaten bezahlen und bluten lassen. Er sollte den doppelten Schmerz spüren, den er anderen zugefügt hatte und so machte ich mich in meinem Auto auf zu seinem Apartment. Ich war vermutlich noch nicht nüchtern, doch mein Gehirn war so klar wie noch nie, denn ich hatte nur dieses eine Ziel vor Augen.

Schattenpfade im Licht - gefährliches VerlangenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt