Kapitel 1 - Sophia

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Ein Rauschen, ein Prasseln, wie Applaus von allen Seiten. Plötzliches Leuchten, Blinken und Hupen, ein Getummel an visuellen und akustischen Geräuschen, welche die Seele überschwemmen. Und um nicht unterzugehen, musst du nur mit dem Strom schwimmen.
Das ist das alltägliche Leben der New Yorker Straßen. Manche würden es nervenzerreibend nennen, doch ich liebe es. Es ist wie ein Energierausch, der durch den Körper strömt und ihn in eine Richtung zerrt, von der du nicht weißt, wo sie dich hinbringt. Doch am Ende bist du genau da, wo du sein sollst.
Ich überquerte die überfüllten Straßen, welche einem wilden Fluss aus Wasser und Automassen glichen, mit meinem rot gepunkteten Regenschirm, welcher im grauen Trubel herausstach und dennoch von jedem übersehen wurde. Außer von einem. Einem Schatten, der mich als einziger inmitten des Chaos sah und beobachte und den ich niemals erblicken konnte. Wo ich auch hin sah, konnte ich nichts im Grau erkennen, das wie ich mit meinem rot gepunkteten Regenschirm herausstach. Es war ein Gefühl von Stärke, bedrohlicher Stärke und Intensität, das mich wie ein Pfeil durchbohrte. Es ließ mich fürchten und zugleich vor allem anderen sicher fühlen.
Dieses Gefühl, von dem jeder dachte, es wäre eins meiner fantasiereichen Hirngespinste, verfolgte mich schon seit vier Wochen. So gut wie überall, wo ich mich befand oder hin ging, spürte ich diese Anwesenheit. Leyla, meine beste Freundin, war die Einzige, die mir etwas Glauben schenkte. Sie verschlang mindestens genauso viele Romane und schwor, aufgrund ihres Kunststudiums, auf magische uns umfassende und mitreißende Strömungen, von denen sie uns immer erzählte. Jeder müsse seine innere Linie und Strömung finden und sich ihr ergeben, ansonsten ertrinke man, wie in meiner Ansicht des New Yorker Lebens.
Meine anderen Freundinnen hatte ich erst etwas später auf einem Festival zusammen mit Leyla kennengelernt. Wir haben wie Seelenverwandte zusammengefunden. Maxim, Mel, Leyla und ich. Ein komischer Haufen, wenn man uns sieht. Unterschiedlich wie Tag und Nacht, aber in New York ein Dream-Team.
Nach dem ich trotz Regenschirm gefühlt klatschnass im Café ankam, begrüßte mich auch schon Tony: „Guten Morgen Sonnenschein alles klar bei dir?"
„Wie immer. Wäre nur schön, wenn New York auch mal den Sonnenschein spielen könnte und nicht den Griesgram, der den Leuten die gute Laune nehmen will", sagte ich genervt und schüttelte mich.
„Dafür gibt es ja uns, unser Café und die besten Gebäcke weit und breit", erwiderte er und grinste. Ich musste unwillkürlich zurück grinsen.
Ohne Tony wäre die Arbeit nur halb so spaßig. Tony ist, obwohl er mein Vater sein könnte, wie ein Freund für mich. Ein Freund, dem man sein Leben anvertraut, der alles von dir kennt und mit dem man gefühlt aufgewachsen ist. Man könnte auch „großer Bruder" sagen.
„Ich zieh mich kurz um und bin in einer Minute da, dann kannst du hinten weiter machen", sagte ich zu ihm und verschwand. „Kein Stress."
Ich kramte mein schwarzes Arbeitsshirt heraus, band mir meine Schürze um und lief zur Theke, als auch schon die erste Schar Menschen reinströmte, von deren Gesichtern die Regentropfen nur so runterliefen. „Warum werden die Leute eigentlich so biestig, wenn es regnet? Als würden sie sich in Seemonster verwandeln."
Rosetta, eine herzliche, laute Dame polterte, wie jeden Morgen pünktlich um 7.55 Uhr ins Café. Im Schlepptau hatte sie ihren Mann Charlie, der gefühlt nur halb so viel und halb so laut sprach wie sie. Hinter ihnen versuchten manche anderen Passanten, die auf dem Weg zur Arbeit waren, sich vor dem Regen in den Eingang zu flüchten. Doch die beiden standen, wie immer mitten im Eingang, schüttelten sich wie Hunde vom Regen, zogen ihre nassen Sachen aus und blockierten sämtliche Zugänge ins Innere. Die Passanten schimpften genervt, doch die beiden störte dies nicht im Geringsten. Ich fragte mich jedes Mal, ob sie es nicht wahrnehmen wollten oder es wirklich nicht taten. Als sich nun endlich der erste Geschäftsmann durchquetschen konnte, wurde sein Mantel dabei gefühlt nasser als vom Regen. Rosetta bemerkte weder seinen bösen Blick noch sein lautes Stöhnen: „Nicht jeder hat so viel Zeit wie Sie!"
Er kam auch jeden Morgen für einen Kaffee to go, um danach ins Gebäude gegenüber zu verschwinden und war eigentlich jeden Tag am Schimpfen. Selbst wenn die Sonne schien und keiner ihm den Eingang verwehrte, erfand er jegliche Kleinigkeiten, die es anscheinend wert waren, schlechte Laune zu haben. Marienkäfer in der Luft, drückende Schuhe, ein dreckiger Mantel, eine verspätete Bahn und und und. Tony und ich nannten ihn Oscar. Wie Oscar aus der Mülltonne, ein wahrer Griesgram und Pessimist. Eine uralte Kinderserie, die ich mir auf Tonys Bitteln und Betteln angesehen habe. Und ja, der Charaktere willen war sie es wert. Denn einen wahrhaftigen Oscar jeden Morgen im Café zu begrüßen, ihm einen schwarzen Kaffee mit genau drei Zuckerstücken zu machen und ihn mit meinem freundlichsten Lächeln zu bedienen, gehörte zu den kleinen Dingen, über die man immer lachen wird. Denn auch die schlechteste Laune kann mit dem weltbesten Kaffee und dem bezauberndsten Lächeln vertrieben werden, wie Tony immer sagte.
Nachdem Oscar das Café verlassen hatte, widmete ich mich Rosetta und Charlie, die an ihrem Lieblingsplatz, der Fensterecke, Platz genommen hatten.
„Guten Morgen ihr zwei, wie geht's euch?", fragte ich die beiden.
„Prima Schätzchen, ist bei dir auch alles gut? Du siehst so müde aus?", wollte Rosetta wissen.
„Mir geht's gut Rosetta. Keine Sorge", versicherte ich ihr. „Sophia du arbeitest mit Sicherheit zu viel an diesen hellen Bildschirmen nachts, diese ..." „Laptops!", half Charlie ihr.
„Genau!" „Wirklich alles gut, Rosetta. Wie kann ich euch denn euren Morgen versüßen?", versuchte ich das Gesprächsthema umzulenken.
„Ach, das Gleiche wie immer, ein leckeres Kunter-munter Frühstück", erwiderte Rosetta mit ihrem herzlichen Lächeln. „Kommt sofort!"
Ich ging zur Theke, suchte die besten Brötchen raus und bereitete ihnen wie jeden Morgen einen hübsch angerichteten Teller aus Schinken, Käse und Marmelade mit viel Kaffee. Vielleicht waren die beiden deswegen so wach und fit und ich sollte mich doch mal an Kaffee ran wagen. Nein Sophia, das Zeug schmeckt nicht und ist schlecht für deinen Schlaf. Da würde ich gar nicht mehr zur Ruhe kommen, wenn ich das noch trinke, ermahnte ich mich selbst. Ich brachte ihnen das Frühstück und sie strahlten wie jeden Morgen, als wäre es etwas ganz Besonderes. Ein schönes altes Ehepaar, wie im Film. Wenn ich die beiden sah, glaubte ich, dass wahre Liebe existierte. Wer weiß, vielleicht begegnet mir auch noch mein Seelenverwandter, mit dem ich bis ans Ende meiner Tage lebe, liebe, frühstücken gehe und niemals Angst um mein Herz haben muss?
„Hey! Erde an Sophia, bist du noch da?", riss Tonys Stimme mich plötzlich aus meinen Gedanken.
„Ja, sorry Tony, bin voll und ganz da, was ist?" „Die nächsten Gäste sind schon eingetroffen an Tisch 7", sagte er zu mir. „Jup, danke."
Der Morgen verlief wie jeder andere: Trubelig, anstrengend, aber nie langweilig. Man trifft zum einen viele bekannte Gesichter, über die man sich freut. Und zum anderen lernt man viele Neue kennen, was immer sehr spannend ist. Ich aß gerade mein Nutella Brötchen Mittagssnack, als die Tür aufging und ich lautes Geschnatter über irgendwelche Rechte hörte. Natürlich war es Mel im Schlepptau mit Maxim. Die beiden hatten anscheinend eine gemeinsame Pause zwischen ihren Vorlesungen. Denn beide waren an der NYU. Mel studierte Jura und Maxim die ganze Welt. Zunächst hatte sie mit angewandter Theologie begonnen, dann eine Zeit lang Meeresbiologie und nun hat sie sich der künstlerischen Szenerie angeschlossen. Sie ging ihren eigenen Weg voller Stolz und Zuversicht. Wenn auch mit einigen Umwegen, aber dafür bewunderte ich sie. Ich, Sophia Jane Hatch, arbeite in einem kleinen Café und als Hochzeitsplanerin, nur um irgendwann genug Geld für ein eigenes Café zusammenzubringen und meinen Traum zu verwirklichen.
„Hey Sophia, wir dachten, wir könnten ein Stück Kuchen bei dir bekommen, natürlich als Freundschaftsgeschenk."
„Dafür könnte sie gefeuert werden, Maxim!", schimpfte Mel.
„Ja, du Juristin", sagte Maxim und rollte mit den Augen.
„Ich kann euch eine extra Portion Sahne drauf machen", schlug ich vor.
„Oh ja, das klingt gut. Wie heißt es so schön? Sahne zieht die Falten glatt", meinte Maxim, worauf ich nur ironisch antwortete: „Ja klar."
„Für mich Omas Apfelkuchen und einen Cappuccino", sagte Mel.
„Und für mich die Tarte au Chocolat mit deinem Kaffee Spezial", bestellte Maxim.
„Gerne, bringe ich euch gleich und mach dann auch kurz Pause", antwortete ich. „Perfekt!"
„Tony, ich würde kurz in die Pause gehen, wenn das in Ordnung geht?", sprach ich zu ihm.
„Klar, ich bin mit den Nachmittagstorten fertig", antwortete er. „Super, danke!", erwiderte ich, machte die Bestellung von Maxim und Mel fertig und kochte mir selbst noch einen Kakao.
„So Mädels da bin ich. Was gibt's neues Spannendes?", fragte ich sie.
„Morgen ist so eine coole Party im Royal, kommst du mit?", fragte mich Mel.
„Natürlich kommt sie mit. Das steht außer Frage!", stellte Maxim klar.
„Ehm...Ja vielleicht. Ich glaube das sollte mit meinem Dienstplan passen, am Samstag habe ich Spätschicht", erwiderte ich zögernd.
„Perfekt, dann steht das fest. Treffen wir uns vorher bei mir zum Fertigmachen und Vorglühen?", schlug Maxim vor.
„Klaro."
„Kurze Frage: Hast du schon die Karten besorgt oder wie sollen wir da hineinkommen? Bei Special Events ist das noch schwieriger als ohnehin schon", hinterfragte ich sie misstrauisch.
„Lasst euch überraschen, ich habe da meine Connection", sagte sie grinsend.
„Wie immer. Wen kennt die berühmte Maxim nicht?", fügte Mel hinzu.
Wir quatschten noch zwanzig Minuten weiter über Mels Studium, den neusten Tratsch und die anstehende Party. Dann war meine Mittagspause auch schon um und ich machte mich wieder an die Arbeit. Lächelte, hielt Smalltalk, servierte Kuchen und Kaffee und summte ab und zu ein paar Lieder mit.
Gegen sechs Uhr fing ich an aufzuräumen und alles zu säubern. Tony hatte sich schon vorher verabschiedet, sodass ich die Tür verschloss, das Begrüßungsschild zu „sorry we are closed" änderte und anfing, die Musik aufzudrehen. Ich tanzte mit dem Besen in der Hand zwischen den Stühlen und Tischen umher, schwang den Lappen und sang zu einem meiner Lieblingssongs „Rolling in the Deep" von Adele. Ein absolutes Meisterstück, welches ich mit meinem Gesang eher verspottete. Aber zum Glück hörte und sah mich keiner wirklich. Das New Yorker Leben außerhalb der Fenster strömte an der geschlossenen Tür vorbei, als gebe es das Café nicht. Als ich fertig war, holte ich ein extra eingepacktes Stück New Yorker Cheesecake aus dem Kühlschrank, packte es vorsichtig in meinen Rucksack und ging zur Hintertür hinaus. 19 Uhr, da müsste ich Dad noch zu Hause erwischen. Ich beeilte mich und ging schnellen Schrittes zur U-Bahn-Station. Ich war froh, dass es im September noch hell um diese Uhrzeit war. Das würde sich in Zukunft schnell ändern und ich musste mir was überlegen, wie ich diese Zeit ohne Panikattacken überlebte. Aber darum musste ich mir jetzt noch kein Kopf machen, genau so wenig sollte ich das mulmige Gefühl beachten, wenn ich daran denke, morgen Abend auf eine Party zu gehen, wo viele fremde Leute im Dunkeln tanzen, eng an eng, verzweifelt jemanden für die nächste Nacht zu finden. Sich gnadenlos besaufen und nicht mehr unter Kontrolle haben. Ok, Stopp Sophia, wir denken jetzt positiv, freuen uns auf morgen und hören jetzt auf uns verrückt zu machen. Das wird eine ganz normale coole Party und ein schöner Abend mit deinen Mädels, die da sind und in deiner Nähe bleiben. In der U-Bahn steckte ich meine Kopfhörer ins Ohr, verdrängte das New Yorker Rauschen und lauschte meiner Musik. Nach 15 Minuten stieg ich wieder aus und lief die letzten 300 Meter zu unserer Wohnung. Ich liebte diese Wohnung. Klein aber fein, das traf völlig und ganz auf sie zu. Mit Backsteinen in der Reihe eingelassen. Ein paar hübsche Rosensträucher schlängelten sich die Wand empor. Oben in der Mitte war ein Fenster, von dem ich wusste, es war mein liebster Platz, an dem ich mit meinen zwanzig Kissen, meiner Kuscheldecke, einem warmen Kakao und Kuschelsocken arbeitete oder Romane las.
Ich ging die Stufen hoch, schloss die Tür auf und ging in den ersten Stock. Da stand auch schon mein Vater im Flur, wie immer mit verstrubbeltem braun-grauem Haar, Augenringen unter den Augen und dem herzlichsten Lächeln auf dem Gesicht, das man sich vorstellen kann. Es brachte Wärme an jeden Ort, an dem er war, vielleicht war er deswegen auch der absolute Glücksbringer im Krankenhaus. Denn mein Vater, Jack, arbeitete als Krankenpfleger im New Yorker Krankenhaus. Eigentlich ein absoluter Giftort für einen herzlichen, glücklichen Menschen, wenn man bedenkt, dass nur Elend in diesem Gebäude herrscht. Doch mein Vater schien die größte Kraft daraus zu schöpfen, in den meisten Fällen noch größeres Elend zu verhindern. Jedem Patienten ein Lächeln im stressigen Alltag zu schenken, wo jeder an ihnen vorbeihuscht und sie behandelt als wären sie eine Maschine, die zur Reparatur gebracht werden muss. Er gibt ihnen das Gefühl, wahrgenommen zu werden und am richtigen Ort zu sein. Er ist ein Held für so viele und ich bin unglaublich stolz auf ihn. Er arbeitet so viel und so hart, um uns ein angenehmes Leben zu ermöglichen.
„Hey mein Schatz, wie schön, dass ich dich noch treffe vor meiner Nachtschicht", begrüßte er mich liebevoll.
„Hey Dad. Du solltest wirklich weniger Nachtschichten machen. Die letzten drei sitzen dir noch in den Knochen", erwiderte ich.
„Ach was, alles gut. Du hast nicht zufällig was dabei...?", fragte er vorsichtig mit einem Grinsen. „War mir schon klar, dass du darauf gehofft hast mich noch zu sehen, um dein nächtliches Kuchenstück abzustauben", sagte ich grinsend. Gut, dass sich manche Dinge nie ändern.
„Du bist ein Goldstück. Das wird mir die Nacht retten! Im Ofen ist übrigens noch Lasagne. Dich habe ich natürlich auch nicht vergessen", meinte er zu mir.
„Danke, danke, danke! Das ist jetzt genau das Richtige. Hab dich lieb und pass auf dich auf!", verabschiedete ich mich vom ihm. „Immer. Ich dich auch mein Schätzchen", erwiderte er.
Und das war sie unsere kurze Begegnung am Tag. Manchmal waren unsere Wochen so sehr abgestimmt, dass wir jeden Abend für uns hatten und in anderen Wochen sahen wir uns manchmal jeden zweiten Tag für fünf Minuten. Doch sie waren genauso wertvoll wie unsere Stunden. Denn sie gaben uns Kraft und brachten nach einem harten Tag jeden von uns wieder zum Lächeln.
Ich ging in die Wohnung und mir stieg der Geruch von Dad's Lasagne in die Nase. Sie war einfach die beste auf der ganzen Welt. Ich nahm mir ein großes Stück, erwärmte es nochmal kurz in der Mikrowelle und ging an mein Lieblingsfenster. Ich starrte nach draußen auf die Straße, wo langsam die Laternen anfingen zu leuchten und die Menschen zu schwarzen Silhouetten wurden. Ich klappte mein Laptop auf und fing an, die E-Mail meiner Kundin mit ihren neuen Wünschen für die anstehende Hochzeit durchzulesen. Denn ich bin ein absoluter Ordnungsfreak und Planmensch und habe, nachdem ich einige Praktika in Hochzeitplanungsgesellschaften absolviert habe, mein persönliches kleines Business aufgemacht. Dadurch verdiene ich mir nebenher noch etwas und es macht mir unglaublich Spaß zu planen und Menschen bei dem schönsten Tag in ihrem Leben zu helfen, dass sich jeder ihrer Wünsche erfüllt. Es war tatsächlich sehr gut angekommen und ein guter Nebenverdienst. Die anstehende Hochzeit machte mir besonders viel Freude, da mir kaum finanzielle Grenzen gesetzt wurden. Die Familie scheint sehr wohlhabend zu sein, denn es werden keine Kosten gescheut. So darf ich, solange alles prunkvoll und perfekt ist, ausgeben und buchen, was ich möchte. Ich bin schon jetzt voller Vorfreude, da die Wünsche und Vorstellungen mit meinen Ideen bisher gut harmoniert haben, sodass der grobe Plan, der schon steht, nach einer Wahnsinns Hochzeit klingt. Sie wird auf jeden Fall auf einem der New Yorker Wolkenkratzer stattfinden. Mit Lichtern, Feuerwerk, einer Liveband, Cocktailbar, Champagner, edlen Dresscode und allem, was die High Society zu bieten hat. Amber, meine Kundin, die unbedingt wünschte, dass ich sie duzte, ist so nett, höflich und sympathisch. Wüsste ich nicht, was sie bei mir alles in Bestellung gibt, würde man niemals denken, dass sie zu den Reichen gehört, weil sie überhaupt nicht abgehoben war. So fing ich an, mehrere Emails an die besten Fotografen New Yorks zu schreiben, um sie für die Hochzeit zu gewinnen, sowie die besten Restaurants der Stadt zu recherchieren. Dabei merkte ich, wie mir langsam die Augen zu fielen. So schloss ich den Laptop um neun, um mir die Zähne zu putzen und meinem Körper etwas Schlaf zu gönnen. Der Gedanke, mir den Wecker auf 5.30 Uhr zu stellen, ließ mich aufstöhnen. Aber noch viel schlimmer fand ich daran, dass ich morgen circa 24 Stunden wegen dieser Party wach wäre. Da bräuchte ich definitiv was zum Wachhalten. Gut, dass ich Kaffee hasste. Ich kuschelte mich in mein Bett, knipste die Lichterketten dort herum aus und machte meine Einschlafmusik an, denn ohne Musik konnte ich kaum schlafen. Ja, vielleicht etwas seltsam, ich weiß. Es dauerte keine Minute und ich merkte, wie meine Augenlider schwer wurden und ich zu Bruno Mars „Talking to the Moon" einschlief.
Der schrille Ton meines Weckers riss mich aus meinem Tiefschlaf. Ich lief zum Fenster, um ihn auszuschalten, wo ich ihn auf die Fensterbank gestellt hatte, da ich sonst niemals so früh aus dem Bett rauskommen würde. Ich zog mir meine blaue Stoffhose an, eine weiße Bluse, meine Lieblingskette von meinem Dad zum 18. und ging in die Küche. Dort schmierte ich mir mein Brot dick mit Nutella und machte mir einen Kakao, um halbwegs ein Lächeln aufs Gesicht zubekommen. Es dauerte nicht lang und das warme, wohlige Gefühl des heißen Kakaos erfüllte mein Körper. Ich schlüpfte in meine Schuhe, schnappte mir meine Tasche und ging aus dem Haus Richtung U-Bahn. Verrückt, es war halb sechs, doch wenn man einen Menschen ohne jegliches Zeitgefühl hier aussetzen würde, könnte er meinen es wäre 9, 12, 18 oder 24 Uhr. Ich glaube in New York gibt es keine richtige Zeit und wenn, dann flog sie an einem ohne Halt vorbei. Auf dem Weg zur Arbeit hörte ich „Sun goes down" und driftete in den New Yorker Alltagstrubel hinein. Die letzten Meter zur Arbeit schaute ich dem Himmel entgegen, während ich „Louder" mitsummte und das Wetter dafür lobte mich heute mal ausnahmsweise trocken zur Arbeit zu lassen.
Plötzlich hatte ich das Gefühl es würde dunkler werden. Doch da war nichts, keine Wolke, kein Gebäudeschatten, nichts. Nur mein persönlicher Schatten, der natürlich immer zur Stelle war, wenn man mal nicht an ihn dachte. Ich konnte dieses Gefühl nicht ausstehen und gleichzeitig war es so interessant, dass ich doch jedes Mal neugierig wurde. Ich schloss die Hinterhoftür auf, zog meine Schürze über und ging in den vorderen Verkaufsbereich. Ich änderte das Schild zu „We are opened!", öffnete die Ladentür, und baute das Rollfeld vor der Tür auf. Ich drehte mich um, als plötzlich dieses Gefühl von vorhin, von gestern, vorgestern, von den ganzen letzten Wochen mich mit solch einer Wucht traf, dass ich erschrak. Meine Brust zog sich zusammen, als hätte ich eine meiner Panikattacken, aber auf ganz andere Weise. Als würde ich entkleidet mitten in der Menge stehen. Ich drehte mich vor Schreck so schnell um, dass ich in einen großen dunklen Anzug fiel.
„Oh Gott, huch, das tut mir leid ich habe Sie gar nicht gesehen, ich...", brach ich stotternd hervor. Ich schaute auf und starrte in ein mir bekanntes fremdes Gesicht. Gesehen hatte ich diesen Mann noch nie, doch mein Gefühl sagte mir was anderes. Er sah mir mit seinen Augen so klar, so offensiv in meine, dass ich mich augenblicklich verloren, verletzlich und entblößt fühlte. Ich versuchte mich zu wehren, doch seine grünen Augen schimmerten so gefährlich, dass sie mich aus der Fassung brachten.
„Geht es Ihnen gut, oder haben Sie einen Schock erlitten? Hallo?", hakte er nach.
„Ehm ja, nein alles gut, Sie haben mich so überrumpelt, ich war gerade erst dabei den Laden zu öffnen, und ja", versuchte ich mich zu wehren und irgendwie zu distanzieren, als mir auffiel, dass er mir nicht nur psychisch nahegetreten war, sondern mir auch körperlich sehr nahe war, sodass ich sein Aftershave riechen konnte, was sehr männlich und anziehend roch und... Warum denke ich an sein Aftershave um Gottes Willen, es ist definitiv zu früh.
„Was kann ich denn für Sie tun in der Früh?", fragte ich ihn.
„Einen schwarzen Kaffee mit einem Zuckerwürfel und einem Klecks Karamellsirup", antwortete er.
„Ehm wie bitte? Ich glaube so einen Kaffee habe ich noch nie zubereitet, aber ok", meinte ich verwirrt.
„Tja dann ist es wohl heute ihr erstes Mal, versauen Sie es bloß nicht, sonst habe ich den ganzen Tag miese Laune und das müssen meine Kollegen dann zu spüren bekommen, nur wegen Ihnen. Das wollen sie doch nicht?", sagte er sarkastisch.
Ah, genauso ein arroganter Schnösel, wie all die anderen. Anzug, Arroganz, viel Geld, großes Ego. Check. Hey, wir haben hier ein super Exemplar eines Arschloches stehen, wie all die anderen. Und ich dachte noch er wäre nett und höflich, das war wohl der Schock, als er meinte mich so zu überlaufen.
„Natürlich nicht, wobei unterdrückst du deine Mitarbeiter nicht eh?!", sagte ich schnippisch. Keine Ahnung, warum ich ihn als meinen Kunden gerade so anmachte, aber irgendwie ging mir dieser Typ gewaltig auf den Keks. Und am meisten eigentlich seine Aura, die mich aufwühlte und die ich merkwürdigerweise als bekannt empfand. „Das macht dann 3.80$", sagte ich kühl. „Stimmt so. Angenehmen Start in den Morgen", raunte er mir zu und grinste.
Solch ein Grinsen sollte im Alltag verboten werden, das gehörte auf Playboy Covers und nicht vor mir um 6 Uhr in der Früh in einem kleinen Café. Er hatte mir 10$ hingelegt. Das fiel mir erst jetzt auf, wo er schon zu Tür war. Will der mich verarschen? Das war schon so viel Trinkgeld, dass es beleidigend war, als hätte ich es nötig, ok hatte ich, aber nicht von jemanden wie ihm, der mir das 100-fache davon wieder aus der Tasche zog.
„Hey, dein Geld kannst du behalten!", rief ich ihm wütend hinterher.
„Gern geschehen", erwiderte er nur freundlich. Er drehte sich nicht mal um, sondern ging schnurstracks rechts die Straße weiter. Idiot. Was hilft gegen Idioten und miese Laune am Morgen? Richtig, backen. Den Großteil machte zwar Tony, doch wenn ich Zeit hatte, probierte ich auch immer mal wieder ein paar neue Rezepte aus. Heute war es Zeit für was mit Blaubeeren. Ich liebe Blaubeeren und eine coole Farbe haben sie auch. Wie wäre es mit Zimt? Ja, das war eine klasse Idee. Immerhin ist in weniger als vier Monaten schon wieder Weihnachten, da geht das klar.
Ich ging ein paar Mal nach vorne, machte ein paar Kaffee to go, während ich mein neues Meisterwerk herstellte, Zutaten änderte, hinzufügte und anschließend, nach ganz genauem Abschmecken, den Teig in eine Kuchenform goss. Währenddessen musste ich immer wieder an diesen unverschämten Typen von heute Morgen denken. Ich konnte es mir nicht erklären, warum ich so paranoide Gedanke hatte, aber dieser Mann war mir schon öfter mal begegnet, nicht von vorne, nicht direkt, aber er war in meiner Nähe und stellte komische Sachen mit meinem Gefühlsleben an. Er verunsicherte mich auf eine andere Art und Weise, von der ich nicht wusste, ob ich sie gut fand. Ich klappte gerade den Backofen zu, als es vorne an der Tür klingelte.
„Hi Leyla, was bist du denn so früh auf?", fragte ich sie verwirrt.
„Sondervorlesung alle 5 Wochen, dafür 5 Stunden ab halb acht. Wer macht sowas?", stöhnte sie auf.
„Du hast dich doch dafür angemeldet", erwiderte ich.
„Bestimmt nicht unter klarem Bewusstsein. Kannst du mir bitte einen doppelten Kaffee und einen Espresso zum shotten machen?" bat sie mich.
„Du bist mir eine", sagte ich lachend. „Danke, du bist ein Schatz!", antwortete sie lächelnd. „Hier ganz viel Erfolg und ja nicht einschlafen", sagte ich ernst.
„Damit bestimmt nicht!", erwiderte sie sarkastisch. Sie trank, besser gesagt exte, ihren Espresso in einem Zug, verzog ihr Gesicht und nahm ihren Kaffee entgegen.
„Bis heute Abend, freu mich schon. Da wird richtig Party gemacht!", meinte sie freudig und verließ das Café.
„Bis später Ley", verabschiedete ich mich und machte mich weiter an die Arbeit.
Ich räumte die frisch gelieferten Brötchen ein und stellte den Aufschnitt zum Servieren bereit während schon die ersten Frühstücksgäste kamen. Ich machte ein Sonntagsfrühstück nach dem anderen und holte währenddessen meinen Kuchen aus dem Ofen, der, ohne mich jetzt hier selbst loben zu wollen, wirklich fabelhaft duftete. Um Punkt 9 kam Tony zur Tür hereingeschneit.
„Hey Sophia, einen Guten Morgen. Was duftet hier denn so gut? Sag bloß du hast schon wieder ein neues Rezept ausprobiert und einen deiner Special Kuchen gebacken."
„So siehts aus. Steht hinten schon zum Abkühlen", sagte ich lächelnd.
„Du bist eine wahre Kuchengöttin."
„Also probiert hat ihn noch keiner", erwiderte ich.
„Das muss man auch nicht um zu wissen, dass er schmeckt", sagte Tony zwinkernd und verschwand nach hinten.
Ansonsten verlief der Morgen ruhig wie immer. Ich trank genüsslich meinen Kakao und probierte meinen eigenen Kuchen, nachdem jeder unserer Gäste meinte, er wäre die beste geschmackliche Vorfreude auf den Winter und ja er überzeugte mich auch sehr. Fehlte nur noch der Schnee vor unseren Fenstern, die leuchtenden Christbäume auf der Straße und die Kinderchöre, die fröhliche Weihnachtsmusik trällerten.
„Du hast dich wirklich wieder selbst übertroffen", meinte Tony zu mir und riss mich damit aus meinen Träumereien von Weihnachten, was eigentlich noch vier Monate in der Zukunft lag.
„Dankeschön, den sollten wir in Zukunft öfter backen, wo doch die kalte Jahreszeit jetzt näher rückt", meinte ich zu ihm.
„Dem habe ich nichts entgegenzusetzen", erwiderte Tony lächelnd.
Um 16:30 Uhr machte ich mich auf den Rückweg. Ich war fix und fertig. Keine Ahnung, wie ich nach über 10 Stunden arbeiten noch feiern sollte, aber ich konnte meine Freundinnen nicht hängen lassen, zumal sie sonst mein Haus stürmen und mich eigenhändig zur Party schleppen würden, wie ich sie kannte. Also packte ich das letzte Stück meines Weihnachtstraumes, welches ich noch gerettet hatte, ein und verließ das Café. Ich verabschiedete mich von Tony, steckte meine Kopfhörer ein und durchquerte das New Yorker Getrubel. Zuhause angekommen stellte ich den Kuchen in den Kühlschrank, Dad schlief wahrscheinlich schon. Das könnte ich jetzt auch echt gebrauchen. Schlaf. Vielleicht sollte ich mich wirklich für eine Stunde hinlegen, das wirkte meistens Wunder und Zeit hatte ich ja auch noch. Ich stellte mir noch schnell einen Wecker, bevor ich machtlos ins Bett fiel und in Sekunden eingeschlafen war.

Schattenpfade im Licht - gefährliches VerlangenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt