Ich drehte den Schlüssel im Schloss um und Erinnerungen schossen in mir hoch.
Ich sah mich und meinen Dad die Treppe hochjagen. Ich sah uns mit vollen Einkaufstüten. Ich sah ihn im Anzug und mich im Ballkleid, wie er mich die Treppe runterführte. Ich sah ihn in seinen Arbeitsklamotten runterhechten, weil er mal wieder zu knapp war. Ich sah mich mit dem Stückchen Kuchen in der Hand, welches ich ihm immer mitgebracht hatte.
Als ich unseren Flur betrat, sah ich seine und meine Schuhe über einen Haufen geworfen. Die Küche, das Wohnzimmer, es sah so normal aus. Ich konnte mich und ihn auf der Couch mit Pizza sehen, wie wir eine Folge Friends schauten, Wein tranken, oder wie ich ihm bei Monopoly abzog, wie wir gemeinsam frühstückten, einfach alles. Diese Erinnerungen sprudelten auf mich ein und ich wusste, dass sie nun für immer Erinnerungen bleiben würden. Meine Knie sackten zusammen und der Schmerz, der in den letzten Tagen nie weggegangen war, kam nun als Blitzeinschlag auf mich zu. Ich schrie auf, weinte und klammerte mich an die einzige Person, die ich noch hatte. Ich vernahm seit Tagen nur noch ein Rauschen in meinen Ohren. Ständig hörte ich ein Knall und die letzten Worte meines Vaters in meinen Ohren. Wie er „ich liebe dich" gesagt hatte und ich es nicht mal erwidert habe. Theo sagte nichts. Er hielt mich einfach nur in seinen Armen und versuchte mich und meinen Schmerz aufzufangen.
„Ich... ich muss etwas von unten holen", sagte ich irgendwann leise und stand auf. Ich ging die Kellertreppe hinunter und öffnete den Schrank. Ich kramte die Kiste mit Mum's alten Schuhen hervor und noch eine weitere, in dem sich ganz viel Krimskrams befand. Ich räumte alles aus dem Schrank, bis ich noch zwei weitere versteckte Kisten fand. Theo half mir sie nach oben zu tragen und so setzte ich mich auf meinen Teppich und fing an durch die Kisten zu stöbern. Sie waren voll mit alten Fotoalben, Bilderrahmen, Briefen, Schmuckstücken und einigen Kleidungsstücken. Sie sah wunderschön aus und so glücklich mit Dad. Mir liefen die ganze Zeit die Tränen über das Gesicht. Dann entdeckte ich ein Foto auf dem Dad schmollend in die Kamera schaute, vor ihm ein Monopolybrett und darunter stand:
„In Monopoly war er noch nie gut und im Verlieren erst recht nicht."
Ich musste Lächeln und ich glaube, es war das erste Lachen seit Tagen. Dann ganz unten entdeckte ich einen Brief, auf dem mein Name stand. Er war zu gestaubt und noch komplett verschlossen. Ich blickte unsicher zu Theo, doch er sah mich ermutigend an und so öffnete ich ihn vorsichtig und begann zu lesen:Liebe Sophia, hier ist deine Mum.
Das wird das erste und letzte Mal sein, dass ich zu dir spreche. Ich weiß nicht, wie alt du gerade bist, ob du schon verheiratet bist, Kinder hast, ob dein Dad mit dir geredet hat und endlich einen passenden Moment für die Wahrheit gefunden hat. Ich weiß nichts über dich und du vermutlich auch nicht über mich, also möchte ich dir einiges von mir erzählen. Ganz egal wo du gerade im Leben stehst, ich bin unglaublich stolz auf dich. Und ich möchte dir sagen, dass du niemals im Leben Schuldgefühle haben sollst, weil du am Leben bist und ich nicht.
Kurz nachdem ich mit dir schwanger geworden bin, hat man bei mir Krebs im zweiten Stadium festgestellt. Es gab keine Chance mich und dich zu retten. Dein Vater und ich hatten viele tränenreiche Nächte, doch ich weiß, dass ich die richtige Entscheidung getroffen habe, auch wenn ich deinen Vater damit sehr verletzt habe. Ich habe mich für dich entschieden, weil dein Tod auch meiner bedeutet hätte. Ich hätte nicht damit leben können mein Kind für mein Leben zu opfern. Denn ich bin eine Mutter, die ihrem Kind das Leben schenken will und so habe ich die Therapie nicht angenommen und stattdessen dich heranwachsen lassen. Gegen Ende der Schwangerschaft wird es mir so schlecht ergehen, dass sie dich eher rausholen werden. Die Geburt werde ich vermutlich nicht überleben, doch es ist mein letzter Wille und Wunsch, meinen Engel auf die Welt zu bringen für den Menschen, den ich am meisten liebe.
Jack hat viel geweint und geschimpft, denn er hatte Angst zu versagen, er hatte Angst nicht für dich sorgen zu können, er hatte Angst dich nicht lieben zu können, weil du mich ihm wegnehmen wirst, hat er immer gesagt. Aber er lag falsch und das hat er im ersten Moment erkannt als er dich in mir gespürt hat. Du bist sein Engel, der ihn immer wieder auf den rechten Weg führt, wenn er sich in der Dunkelheit verirrt. Du wirst ihn immer stark machen, denn du lässt seine Liebe neu wachsen, die ich mit meiner Entscheidung erstickt habe.
Ich liebe dich so unendlich mein Schatz und bin immer bei dir. Ich bin dein sechster Sinn, der dir im Leben immer zur Seite stehen wird. Ich habe mich für dich entschieden, weil ich dich so sehr geliebt habe und dir ein glückliches Leben schenken wollte, wie ich es hatte. Ich habe mir gewünscht, dass du Freunde kennenlernst, ein cooles Hobby für dich findest, deinen Vater bei Monopoly schlägst, deine große Liebe findest und glücklich wirst. Denn dein Glück ist das Glück deines Vaters. Die Lüge, die dein Vater dir aufgetischt hat, war meine Idee, weil ich dich vor so viel Schmerz wie möglich bewahren wollte, auch wenn ich weiß, dass er irgendwann auf dich zukommen wird. Also sei ihm bitte niemals böse deswegen.
Mein Schatz, versprich mir eines, dass du immer glücklich sein wirst, das Leben genießt, zu keinem Abenteuer nein sagst und dein Leben nicht aufgrund meines Todes wegwirfst. Das wäre Verschwendung. Du hast es verdient zu leben und zu lieben. Pass auf deinen Dad auf. Er kann manchmal sehr viel Unsinn machen und vergisst oft mal auf seine Gesundheit zu achten. Ich liebe dich mein Schatz und bin unglaublich stolz auf dich.
Ich sehe von oben auf die herab und freue mich für jedes Lachen mit dir.
In Liebe deine Mum
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Schattenpfade im Licht - gefährliches Verlangen
ChickLitHast du dich auch schon einmal blind auf deine Gefühle verlassen und dich von etwas Dunklem hinreißen lassen? Vor dieser Frage steht die 23-jährige Sophia, die eigentlich ihr ganzes Leben in New York durchgeplant hat. Doch was, wenn da plötzlich jem...