Es waren jetzt bestimmt schon gute 15 Minuten her, dass Sophia gegangen war. Ich meine wir waren auf einer Hochzeit und nicht im Club, aber dennoch waren meine Alarmglocken sofort an, wenn ich das Gefühl hatte, dass da etwas nicht stimmte. Vielleicht finde ich sie und kann ihr bei was helfen. Also machte ich mich auf zu den Waschräumen. Ich bog gerade in den Flur ab, da öffnete Sophia die Tür. Im ersten Moment war ich erleichtert, doch das Gefühl verschwand in Sekunden. Sophia war leichenblass und sah geschockt, ängstlich und verwirrt aus. Als sie mich sah weiteten sich ihre Augen und sie stürzte verzweifelt auf mich zu.
„Was ist passiert, geht es dir gut?" Meine Gedanken überschlugen sich nur so.
„Ich... es tut mir leid...er... und...", fing sie an zu schluchzen, doch brachte kein weiteres Wort heraus. Ich zog sie ganz fest an mich und beruhigte sie.
„Langsam Prinzessin, ich bin da", flüsterte ich und streichelte ihren Rücken. Ihre Atmung beruhigte sich ein wenig und sie versuchte es erneut.
„Es tut mir leid, er kam einfach so rein und war komplett dicht und hat dann irgendein Unsinn geredet. Und dann... dann hat er angefangen mich zu bedrängen und anzufassen und zu..." Sie fing wieder an zu schluchzen. Meine Wut war in diesem Moment unbeschreiblich, hätte ich nicht Sophia im Arm gehalten, wäre ich vermutlich zum Gorilla geworden und hätte den Mann eigenhändig erwürgt. Also brachte ich nur ein gequältes, dunkles „Wer?", heraus.
„Dein... dein Bruder", stotterte sie und das war der Moment, in dem ich nicht mehr zu halten war. Ich ließ Sophia, vielleicht etwas ruckartig los und stürmte auf die Tür zu, aus der sie gekommen war, schließlich hatte ich ihn noch nicht rausgehen sehen was mich sehr wunderte. Doch als ich die Tür aufstieß und meinen Bruder am Boden liegen sah, schloss sich der noch nicht vollendete Logikkreis in meinem Kopf. Sophia kam hinter mir hereingestürmt.
„Ich habe mir im letzten Moment den Seifenspender gegriffen und ihm den einfach über den Kopf gezogen. Ich war total in Panik und überfordert, ich wollte ihn nicht ernsthaft verletzten", sagte sie total verzweifelt und unter Tränen.
„Ich aber!", brachte ich nur noch heraus.
Ich sah mir seine Wunde an, sie sah nicht lebensbedrohlich aus und was sein Schädel an ging konnte ich nichts Genaueres drüber sagen, aber ein Dachschaden hatte er ja schon vorher. Ich stand auf und drückte Sophia, die kurz vorm Kollabieren stand.
„Du hast alles richtig gemacht. Es tut mir leid was er dir angetan hat, das hast du, das hat niemand verdient. Ich werde einen Arzt rufen und du ruhst dich aus und machst dir keine Sorgen, der wird schon wieder auf die Beine kommen und du hast dich absolut richtig gewehrt und ich bin sehr froh, dass dir nichts Schlimmeres passiert ist", versuchte ich ihr mit ruhiger Stimme zu sagen, obwohl es innerlich in mir tobte.
Ich drückte ihr einen Kuss auf die Stirn und ging mit ihr zu Markus, der sie liebevoll aufnahm und in eine geschützte Sesselecke, abseits von den Gästen versteckte, nachdem er einen Arzt gerufen hatte. Mein Inneres schmerzte. Ich wollte nur bei Sophia sein, aber erst müsste ich mich wohl um meinen Bruder kümmern, obwohl mir absolut nicht danach war. Also tupfte ich seine Wunde so gut es ging ab, rüttelte etwas an ihm, doch er stöhnte nur kurz auf. Also warf ich ihn kurzerhand über meine Schulter, damit keiner der Gäste mitbekam, wie die Ärzte mit einer Liege hier hochfuhren. Unten angekommen wartete auch schon ein Krankenwagen auf uns, dem ich schnell beschrieb, was passiert war, die Personaldaten weitergab und die Kontaktdaten meiner Eltern, denn ich wollte in den nächsten Tagen, Stunden, Wochen erst mal nichts von ihm hören oder sehen. Ich sprintete nach oben, um schnellstmöglich zu Sophia zu kommen. Oben angekommen saß sie nicht mehr im Sessel wie noch 15 Minuten zuvor.
„Wo ist sie?", fragte ich Markus etwas barscher als beabsichtigt.
„Sie meinte sie müsse unbedingt raus an die frische Luft. Ich konnte sie nicht davon abhalten", antwortete Markus mir. Ich lief nach draußen auf die Terrasse, wo die Party in vollem Gange war. An der Bar saßen noch einige Männer und der Rest vergnügte sich auf der Tanzfläche und sang laut mit. Ich hielt Ausschau doch fand sie nirgendwo. In mir stieg schon wieder die Panik hoch, obwohl ich wusste das mein Bruder außer Gefecht und außer Reichweite war, aber wer weiß wer sich hier noch so rumtrieb. Ich wollte gerade wieder reingehen, als ich hinter den ganzen Lichtern, am Rand der Terrasse einen Schatten sah. Der auf einem einzelnen Barhocker, vor der New Yorker Skyline saß. Ich lief zu ihr und erkannte unweigerlich ihr schönes Kleid und ihre schönen Haare. „Sophia?" Sie reagierte nicht, ich sah vor ihr ein leeres Gin Tonic Glas und ein weiteres in ihrer Hand, welches sie gerade ohne zu zögern leerte.
„Sophia, ich..." Ich hatte keinen Plan was ich ihr sagen sollte, weil ich fast genauso geschockt war wie sie.
„Es tut mir leid, was er dir angetan hat. Es tut mir leid, dass ich nicht da war, um dir zu helfen, ich hätte dich beschützen müssen", sagte ich verbittert und war wütend auf mich selbst, auf meinen Bruder, auf alles. Sie antwortete immer noch nicht.
„Kann ich irgendwas für dich tun, willst du allein sein, brauchst du etwas?", fragte ich, denn ich kam mir so nutzlos vor.
Ich wollte mich gerade umdrehen und gehen da sagte sie: „Bleib bitte."
Das ließ ich mir nicht zwei Mal sagen. Ich ging auf sie zu und drückte sie, in der Hoffnung ich könnte ihren ganz Schmerz im Keim ersticken. Sie klammerte sich an meine Arme und malte Kreise auf meine Hände, die mich schon wieder verrückt werden ließen. Genauso wie ihren Duft, den ich jetzt ganz tief einatmen konnte und der auch mich langsam wieder beruhigte. So standen wir da eine ganze Weile, während im Hintergrund die Party an uns vorbeizog.
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Schattenpfade im Licht - gefährliches Verlangen
ЧиклитHast du dich auch schon einmal blind auf deine Gefühle verlassen und dich von etwas Dunklem hinreißen lassen? Vor dieser Frage steht die 23-jährige Sophia, die eigentlich ihr ganzes Leben in New York durchgeplant hat. Doch was, wenn da plötzlich jem...