Kapitel 19

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„Ich bin so aufgeregt!" bemerkt Lina, als wir in ihrem Schlafzimmer stehen und uns gemeinsam ein Outfit für das Spiel gegen Paris heraus suchen.

„Hier! Das ist perfekt für dich!" sie drückt mir ein Bayern Trikot in die Hand.
Begeistert sehe ich es an.
Als ich es umdrehe, schwindet diese Begeisterung allerdings schnell aus meinem Gesicht.
Auf dem Rücken ist die Nummer 8 und der Name „Goretzka" gedruckt.
„Hast du nicht eins ohne Namen?"
Lina verdreht die Augen.
„Er wird sich freuen das du da bist um ihn zu unterstützen. Das Spiel ist für ihn total wichtig!".
„Wenn du meinst.".
Ich ziehe das Trikot über und sehe mich im Spiegel an.
„Das steht dir gut!" Lächelnd taucht Lina hinter mir auf.
Wir machen uns noch die Haare und unser Make Up, bevor wir uns gegen 19 Uhr auf den Weg machen, Annika abzuholen und gemeinsam zum Stadion zu fahren.
Desto näher wir unserem Ziel kommen, desto aufgeregter bin auch ich.
Die letzten Tage sind nicht vergangen, ohne das Serge beim Abendessen erzählt hat, wie wichtig dieses Spiel für die Mannschaft ist.

„Denkt ihr sie schaffen das heute?" fragend sehe ich die beiden an, als wir die VIP Lounge betreten.
„Natürlich!" aufmunternt sieht Annika mich an.
„mach dir darüber keine Sorgen! Die werden Paris zeigen, wer die Hosen an hat!" höre ich Lina sagen, die ein paar Meter hinter uns läuft.

Die zwei Stunden bis zum Anpfiff vergehen schnell. Wir essen gemeinsam etwas und ich lerne einige andere Spielerfrauen kennen.

„Und mit wem bist du hier?" Sabrina, die Freundin von Kingsley Coman sieht mich fragend an.
„Eigentlich nur mit Annika und Lina, aber Serge ist mein Mitbewohner, den feuere ich auch gerne an.".
„Serge als Mitbewohner? Das stelle ich mir anstrengend vor!"
„Manchmal ist es das auch! Aber das gute Essen das er kocht macht das schon wieder gut!".
Lachend gehen wir raus in Richtung Tribüne, wo Lina und Annika schon auf ihren Plätzen sitzen und sich unterhalten.
„Gerade noch Pünktlich" bemerkt Annika als wir uns hinsetzen. Genau in diesem Moment pfeift der Schiedsrichter das Spiel an.
Die erste Halbzeit vergeht schnell.
Bayern ist besser, hat es aber bis jetzt noch nicht zu einem Tor gebracht.
„Lass uns ein Selfie an die Jungs schicken!" Meint Lina und holt ihr Handy heraus.
Wir grinsen alle in die Kamera und Sie schickt das Bild an ihren Freund.

Die zweite Halbzeit ist inzwischen angepfiffen und ich folge gebannt dem Spiel.
Auf einmal sehe ich, wie Leon zu Boden geht und sich schmerzverzehrt das Knie hält.
„Verdammt!" flüstere ich.
Als er nicht auf steht, fängt mein Herz an, schneller zu schlagen.

In mir macht sich Panik breit.
„Was ist mit ihm?!" frage ich in die Runde.
Allerdings sind die anderen genauso ratlos wie ich.
„Mit seinem Knie hat er schon länger Probleme!" meint Lina besorgt.
Nach einer Weile, in der das Spiel unterbrochen wurde, wird er von dem medizinischem Personal nach draußen begleitet.
Den Rest der Zeit kann ich mich nicht weiter auf das Spiel konzentrieren.
Für Leon ist inzwischen Jamal ins Spiel gekommen. Aber meine Gedanken sind voll und ganz bei Leon.
Er fällt jetzt bestimmt eine Weile aus. Und dabei waren ihm die Champions League Spiele so wichtig.

Am Ende der 90 Minuten gewinnt Bayern mit einem klaren 3:0.
Wir sind alle erleichtert, das sie es mit dieser Leistung ins Viertelfinale der Champions League geschafft haben.

„Geht es dir gut? Du bist so blass!" meint Sabrina auf einmal und sieht mich besorgt an.
„Ja geht schon. Ich mache mir nur Sorgen um Leon.".
Sabrina nickt verständlich, ohne noch einmal nach zu fragen.
Alle gemeinsam gehen wir nach draußen und verabschieden uns dort von einander.
„Bis zum nächsten Mal! Das mit Leon wird schon wieder. Er ist ein Kämpfer!" lächelnd umarmt mich die Freundin von Coman noch einmal, bevor auch sie zu ihrem Auto geht.

Auf der Rückfahrt bin ich still. Nachdenklich schaue ich aus dem Fenster und sehe, wie die in rot erleuchtete Arena langsam immer kleiner wird, bevor sie irgendwann verschwindet.
Ich beobachte, wie die ersten Häuser an mir vorbei ziehen und wir immer näher an die Innenstadt von München gelangen.
Als Lina gerade Annika zu Hause absetzt, vibriert mein Handy.
Ein Anruf von Serge.

„Serge? Was ist los? Geht es Leon gut?"
„Linnea! Gut das du ran gehst. Ist es okay wenn Leon eine Weile bei uns im Gästezimmer schläft? Er muss jetzt mit Krücken gehen und kann nicht mehr so viel alleine machen.".
Dieser Satz versetzt mir ein Stich ins Herz. Seine Verletzung scheint ziemlich schlimm zu sein.

„Das ist selbstverständlich kein Problem für mich. Ich mache alles fertig bis ihr Zuhause seid okay?"
„Okay"
Schon hat er aufgelegt.
„Was ist?" fragend sieht Lina mich an.
„Leon muss jetzt mit Krücken gehen. Deswegen schläft er jetzt für ein paar Wochen in unserem Gäste Zimmer.".
Bringe ich schluchzent hervor und mir laufen Tränen die Wange herunter.
„Alles wird gut. Er ist stark. Das weißt du!" Lina sieht mich vom Fahrersitz aus besorgt an.
„Ich beeile mich!".

Zehn Minuten später stehen wir auch schon vor der Wohnung.
„Soll ich noch mit hoch kommen?".
„Nein. Deine Kinder und Joshua warten Zuhause auf dich. Ich schaff das schon" ich bemühe mich, ein Lächeln über die Lippen zu bekommen.
Zum Abschied nimmt Lina mich noch einmal fest in den Arm.
Dann gehe ich hoch in die Wohnung.

Sofort mache ich das Gästezimmer bereit. Ich beziehe das Bett neu, stelle Leon ein Glas und eine Flasche Wasser hin und lege ihm die frisch gewaschene Jogginghose und den Pullover, die er mir mal gegeben hatte, zum anziehen hin.

Gerade bin ich dabei, den beiden einen Tee zu machen, als ich die Geräusche des Schlüssels in der Haustüre höre.
Sofort lasse ich alles stehen und stürme in den Flur.
„Gott sei Dank seit ihr da" hastig umarme ich die beiden.
Beim Anblick von Leon, der mit einer Schiene am Knie und zwei Krücken hinter seinem Freund in die Wohnung humpelt, muss ich mich zusammenreißen, nicht wieder in Tränen aus zu brechen.
Vor Serge will ich diese Gefühle nicht zeigen.
„Ich hab alles schon fertig gemacht. Und Tee habe ich auch gemacht. Wollt ihr eine Tasse?".
„Gerne" dankend nehmen die beiden den Kamillentee entgegen.
Wir setzen uns alle gemeinsam auf die Couch, damit Leon seinen Fuß hoch legen kann.
„Warum hast du nicht gesagt, das du heute im Stadion bist?" Serge sieht mich fragend an.
Ich zucke mit den Schultern. „Keine Ahnung. Das war eher eine spontane Idee von Lina".

Wir bleiben noch etwas sitzen, trinken Tee und unterhalten uns über das Spiel.
Immer wieder wenn ich Leon ansehe muss ich die Tränen zurück halten. Die Enttäuschung steht ihm ins Gesicht geschrieben.
„Es ist schon spät. Wir sollten schlafen gehen!".
Serge steht auf und geht Richtung Bad, um sich fertig zu machen.

„Brauchst du Hilfe?" fragend sehe ich Leon an.
„Das geht schon. Danke Linnea" er schenkt mir ein schwaches, erschöpftes Lächeln und humpelt mit Hilfe seiner Krücken Richtung Gästezimmer.
Seufzend stehe ich auf und mache mich fertig.

Genervt drehe ich mich zur anderen Seite.
Ich kann einfach nicht einschlafen. Immer wieder geht mir die Szene als Leon zu Boden ging durch den Kopf. Erst das Foul, dann das schmerzerfüllte Gesicht und das zusammensacken auf dem Boden.
Ich nehme einen Schluck von meinem Wasser und stehe dann auf.
So hat das keinen Sinn.
Auf Zehenspitzen schleiche ich aus meinem Zimmer Richtung Küche, als ich ein lautes Rumpeln aus dem Gästezimmer höre.
Aprupt bleibe ich stehen und lausche. Bestimmt ist nur etwas umgefallen.
Aber als ich sehe, das in dem Zimmer Licht brennt, klopfe ich leise an.
„Ja?"
Vorsichtig öffne ich die Tür einen Spalt und strecke meinen Kopf hinein.
„Komm rein" Leon schenkt mir ein sanftes Lächeln. Er rutscht ein Stückchen, so das ich mich neben ihn aufs Bett setzten kann.
„Kannst du auch nicht schlafen?"
„Nicht wirklich. Mir geht zu viel durch den Kopf." Leon schüttelt den Kopf.
Bei dem Anblick, wie müde, erschöpft und enttäuscht er aussieht, kann ich meine Tränen nicht mehr zurück halten.
„Ich hab mir solche Sorgen gemacht" schluchtzent sehe ich ihn an.
„Jetzt bin ich hier und mir geht es gut" meint Leon und nimmt mich in den Arm.
Meine warmen Tränen Tropfen auf sein T-Shirt. Doch das stört ihn gerade  nicht.
Sanft streicht er mir durch die Haare.
„Du musst dir keine Sorgen um mich machen Lins. Ich schaff das schon irgendwie.".
„Aber ich möchte dir so gern dabei helfen!" Mit verweinten Augen sehe ich ihn an.
„Das muss ich alleine durchstehen Linnea" meint er und wischt vorsichtig eine Tränen von meiner Wange.
„Dann werde ich jetzt nicht mehr von deiner Seite weichen, bis es dir besser geht!" meine ich und lege mich neben ihn ins Bett.
Grinsend sieht Leon mich an, bevor er das Licht ausmacht und wir beide versuchen zu schlafen.

In seiner Nähe, mit der Gewissheit, das es ihm den Umständen entsprechend gut geht, gelingt mir das auch endlich.

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