Kapitel 5

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Am nächsten Tag im Gemeinschaftsraum sehe ich Luke in der anderen Ecke des Raumes. Er hält einen Bleistift in der einen und einen großen Block in der anderen Hand. Anscheinend zeichnet er etwas, aber was? Ich beschließe hinzugehen und ihn dabei zuzusehen oder anzusprechen und sein Angebot von gestern dankend annehmen.

In der anderen Ecke angekommen schaue ich ihm von hinten über die Schulter direkt zu seinem Zeichenblock. Ich sehe wie er den Raum architektonisch nahezu perfekt zeichnet. Es sieht so aus als würde der Raum aus dem Block springen und direkt vor uns stehen. Was er ironischerweise auch tut, aber wären wir nicht in diesem Raum, würden wir es denken, da das Bild so verblüffend echt aussieht.

„Wow! Wo hast du das denn gelernt?", frage ich ihn überrascht. Anscheinend hat er mich schon vorher wahrgenommen, denn er ist ganz und gar nicht überrascht. Luke wendet seinen Oberkörper zu mir, doch mit seinen Augen noch immer seiner Zeichnung gewidmet. „Ich ging in eine Schule für Architektur. Wir mussten lernen alles geometrisch genau zu zeichnen. Ich habe hier leider nichts besseres zutun, also zeichne ich.", sagt er stotternd, da er viel zu beschäftigt war den Schatten zu malen.

Ich hob meinen Kopf und nehme neben ihm Platz. Mit vorgebeugten Körper flüstere ich ihm zu „Ach ja, ich habe über deine Worte gestern nochmal nachgedacht." Aufgeregt legt er mal seinen Zeichenblock zur Seite und fragt „Und?" „Und ich finde du hast recht. Ich arbeite mit dir zusammen." Zum ersten Mal kommt sein schönes Lächeln zum Vorschein, welches eindeutig noch schöner ist, als ich ihn schon wahrgenommen habe. Ich lächle zurück.

„Nun, hast du irgendwas informatives herausgefunden bis jetzt?", fragt er leise. Ich senke meinen Kopf und denke nach. Obwohl ich hier schon länger bin, habe ich nichts, dass mich hier rausbringen würde. Doch da fällt mir plötzlich der Code oder das Passwort ein, dass in meine Wand eingeritzt ist. Was auch immer das ist. Vielleicht sind es auch bloß nur Zahlen von denen ich schon wieder mal viel zu viel erwarte.

„In meiner Wand habe ich eine Mischung aus Zahlen und Buchstaben eingeritzt vorgefunden. Vielleicht haben diese irgendeine genauere Bedeutung, was weiß ich." Seine gelangweilte Miene hat sich kein Stück verändert. Seine Lippen sind zu einem Schmollmund geworden, doch ich denke, dass sein Mund generell so geformt ist. Ich schaue ihn auffordernd an. „Ich denke nach was für eine Bedeutung diese Zahlen haben könnten. Was ist dein Plan bis jetzt?" Ich bleibe stumm. Es ist zu früh ihn zu vertrauen, immerhin kenne ich ihn kaum. Auch wenn ich noch gestern darüber nachdachte die Mauer der Verschlossenheit zu brechen, wenn es dann soweit ist, ist Angst eben größer als der Mut. Ich schaue nachdenklich auf meine Schuhspitzen. „Hey, du kannst mir vertrauen. Ich will hier genauso schnell raus wie du. Ich werde es schon keinem erzählen. Wie du hier vielleicht gemerkt hast, habe ich genauso viele Freunde wie du, nämlich gar keine.", höre ich ihn sagen.

„Komm schon Samara, gib dir einen Ruck. Es kann doch nichts Schlimmes dabei rauskommen.", rede ich mir selbst in Gedanken ein. Außer natürlich, dass er mich verrät und ich mal keine Ausrede bei Rat habe und die mich foltern oder so etwas.

Ich mache einen tiefen Atemzug und schaue ihn wieder in sein Gesicht. „Ich habe Schlaftabletten von der Ärztin gestohlen um den Obersten damit zum Schlafen zu bringen um in seinen Büro nach Schlüsseln, Passwörtern oder sonstigem Kram zu durchsuchen. Das war bis jetzt mein Plan.", erzähle ich Luke. Er hob seine Augenbrauen und macht große Augen. „Nicht schlecht, hätte ich dir nicht zugetraut, Püppchen.", sagt er und fängt dabei an theatralisch zu klatschen.

„Dann tu das. Ich habe gehört, dass John heute erneut ein Gespräch mit ihm führen muss. Ich würde mich, wenn ich du wäre, nach ihm eintragen um den Verdacht auf John zu locken.", schlägt Luke mir vor. Ich nicke um den Plan zuzustimmen.

Als John den Raum des Obersten verlässt und mir einen eiskalten Blick zuwirft, bekomme ich langsam Gänsehaut. Neben mir steht Finn, mit dem ich noch immer nichts rede. Ich atme tief durch die Nase ein und langsam durch den Mund wieder aus. Und das in gleichmäßigen Abständen. Als ich vor der Holztür stehe, gehe ich in Gedanken nochmals alle wichtigen Schritte durch die Luke und ich besprochen haben. Erst jetzt klopfe ich an und nach einem ‚Herein', betrete ich den Raum auch schon und schließe hinter mir die Tür.

Ich lasse mich wieder auf dem bequemen Sessel fallen und sitze dem Obersten gegenüber. Langsam werde ich mir mit meinen Plan etwas unsicher ob er auch überhaupt funktioniere. „Samara. Du wolltest nochmals mit mir reden.", sagt er mit finsterer Miene. Oje, das fängt ja schon mal gut an. „Ja, ich habe nämlich was ganz wichtiges vergessen Ihnen mitzuteilen.", erfinde ich in meiner Angst und versuche diese Worte möglichst selbstbewusst rüberzubringen. Er schaut mich nur auffordernd an. „Nun, haben Sie vielleicht die Aufenthaltsliste von dem Arzt von den letzten Monaten bei der Hand? Denn ich will Ihnen natürlich keine falschen Informationen geben, wenn Sie verstehen." Seine Miene hat sich kein Stückchen verbessert. Langsam zweifle ich überhaupt daran, dass dieser Mann ein Herz hat, denn nach seinen Blicken und Taten zu beurteilen hat er das ganz und gar nicht. „Natürlich habe ich diese, jedoch im Nebenraum, wenn du kurz warten könntest. Du kannst dir doch zum Beispiel, das Buch ausborgen und es beginnen von vorne zu lesen um dich zu beschäftigen, hm?", schlägt er vor, worauf er mir etwas sympathischer vorkommt, jedoch nicht viel. Ich nicke nur, dann verschwindet er in einem Nebenzimmer. Schnell krame ich von meinen Schuhen eine kleine Dose mit der Schlaftablette, die Luke und ich mit Wasser aufgelöst haben, worauf sie eine milchige Flüssigkeit wurde. Ich suche nach dem Scotch Glas, das er bei meinem letzten Besuch auf seinem Schreibtisch hatte und er Schluckweise trank. Endlich finde ich es auf einer Kommode stehen und beginne die aufgelöste Schlaftablette einzutropfen und sie anschließend mit einem Kugelschreiber in dem Scotch zu vermischen, dass man nichts mehr erkennen kann. Dann begebe ich mich zu dem Ledersessel und nehme das Buch in die Hand, blättere bis Seite 10 und warte bis der Oberste wieder zurückkommt.

Kurze Zeit später kommt er mit einer großen Mappe zurück und legt diese atemlos auf den Tisch. Er blättert einige Seiten durch und irgendwo in der Mitte bleibt er stehen und fragt „Nach was suchst du denn genau?" „Kann es sein, dass John in den letzten Monat irgendwann beim Arzt war um sich an den Medikamenten zu vergreifen? Als wir uns nämlich trafen hat er mir irgendwas von Schlaftabletten erzählt." Der Oberste hört mir aufmerksam zu und dabei holt er sich das Scotch Glas um einen Schluck daraus zu machen. Als ich fertig war mit meiner Erzählung, blättert er erneut in der Mappe herum. „Aha, da haben wir es. Er hatte durchaus viele Arztbesuche. Ich denke du hattest mit deiner Vermutung Recht. Danke, dass du mich darauf aufmerksam gemacht hast.", bedankt er sich und trinkt den Scotch mit 2 Schlucken aus. „Ach keine Ursache. Ich wollte Sie nur noch fragen, ob ich mir eventuell das Buch mit in mein Zimmer nehmen kann um mich ein bisschen abzulenken, wegen der ganzen Situation.", sage ich und deute mit meinen Augen auf meinen Oberschenkel.

„Meinetwegen, aber nur deswegen und ich möchte, dass du es mir nachdem du es fertiggelesen hast, wieder zurückbringst." Ich sehe ihm zu wie seine Augenlieder nach und nach schwächer werden und er immer mehr blinzelt. Bis er dann schließlich ganz einschläft und sein Kopf nach hinten auf seinem Lederstuhl aufschlägt.

Um zu testen, dass er wirklich schläft pikse ich ihm ein Paar mal in den Bauch. Und ja, er schläft. Tief und fest. Ich durchsuche zuerst die Läden in seinem Schreibtisch und finde nur Briefe, Dokumente und lauter so einen Kram. Dann gehe ich zu einer seiner Schränke und schaue ob ich dort irgendetwas Wichtiges finde, doch ohne Erfolg. Als ich gerade dabei war, in den anderen Raum zu gehen, höre ich etwas. Es sind Schritte von draußen. Mein Adrenalin steigt und ich bekomme Panik. Ich überlege mir schnell eine Ausrede, doch mir fällt unter Druck keine ein. Soll ich mich verstecken oder soll ich stehen bleiben? Ich weiß einfach nicht was ich tun soll. Wie gebannt bleibe ich einfach stumm stehen mit meinen Augen auf die Türklinge gebannt. Ich sehe zu wie sich die Türklinge nach unten bewegt und jemand eintritt.

Nummer 213Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt