Kapitel 9

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Aus meinen Augen laufen Tränen und ich spiele mit meinen Fingern um mich zu beruhigen. Ich schniefe „Das ist kompliziert." Luke ballt seine Hand zu einer Faust, schlägt gegen das Lenkrad und meint „Samara, ich habe deine Spielchen satt. Sag mir einfach, wer verdammt nochmal du bist."

„Ich kann nicht. Es tut mir leid. Wenn du meinst, lass mich aussteigen und ich gehe zu Fuß, aber ich kann es dir nicht erzählen. Es tut mir leid." Luke seufzt und ist anscheinend nicht allzu böse. Gut. Ich wische mir meine Tränen weg und wir verbringen die restliche Autofahrt mit peinlichem Anschweigen.

Ich werde von einem Krach geweckt. Es klingt in meinen Ohren wie ein Knall. „LUKE??", schreie ich panisch. Erst jetzt bemerke ich, dass ich in einem Haus bin und ich mich zugedeckt im Bett befinde. Der Bettbezug ist weiß und das Zimmer nicht wirklich groß, aber auf jeden Fall größer als in der Zelle. Neben der Tür, die einen Spalt geöffnet ist, aus der ein Lichtstrahl kommt, steht ein Schreibtisch auf dem viel Zeug herumliegt. Zettel, Stifte, Geldbörse und kann ich da einen angebissenen Apfel erkennen? Bevor ich mich weiter umsehen kann, stürmt Luke ins Zimmer „Alles okay?" „Das sollte ich eher dich fragen. Ich hörte einen Knall. Was ist passiert?" Er lacht „Ach Püppchen, das war nur die Pfanne, die ich fallen ließ."

Luke setzt sich neben mir auf das Bett. Er mustert mich und fragt dann schließlich „Ist wirklich alles okay?" Ich starre auf den Boden und nicke stumm. „Wo sind wir?" „Das ist nur ein Haus. Habe ich mal gemietet. Ich dachte es ist gut zum Nachdenken, verstehst du? Zum Abschalten. Ich war hier manchmal und es war das erste an das ich dachte, als ich von der Anstalt rauskam."

Ich hatte auch mal so einen Platz. Es war in unserem Park. In einem kleinen Papillon war mein persönlicher Abschaltort. Dort konnte ich sein wer ich wirklich war. Ich kann mich erinnern, ich war oft an heißen Regentag dort gewesen und bin einfach dagesessen und habe nachgedacht oder ein Buch gelesen. Ich hörte die Vögel singen und das Plätschern vom Regen, das Summen von Bienen und konnte das frisch gemähte Gras riechen. Um ehrlich zu sein, verbrachte ich dort meine Freizeit eher als mit meinen Freunden. Wenn man die überhaupt Freunde nennen kann. Sie waren nie wirklich meine Freunde. Ich gab immer vor eine Person zu sein, die ich nie wirklich war. Ich war arrogant, eingebildet, selbstsicher und manipulant. Doch um ehrlich zu sein, bin ich genau das Gegenteil. Es ist schwer jemanden zu finden bei dem man wirklich derjenige sein kann der man wirklich ist.

Als ich meinen Blick vom Boden zu Luke wenden will, bemerke ich, dass er weg ist. Soll ich ihm hinterherlaufen? Nein besser nicht, immerhin denke ich, dass er noch etwas böse ist wegen gestern. Ich beschließe mich in seinem Zimmer umzusehen. Auf dem Schreibtisch finde ich Zeichnungen die ganz klar von Luke stammen. Ich erkenne seine Werke. Auf einem ist eine Frau abgebildet und auf dem anderen wie immer ein Zimmer, das mir unbekannt vorkommt wie ebenfalls die Frau. Sie hat große Augen und ein markantes Gesicht. Ebenfalls finde ich ein paar Bücher herumliegen und ein Foto, welches jedoch schon Scherben hatte. Ich kann einen kleinen blonden Jungen erkennen und eine Frau neben ihm. Als ich die Frau auf dem Foto mit dem gezeichneten Bild vergleiche erkenne ich einen Zusammenhang. Ich schaue mir den Jungen genauer an. Das ist Luke. Ich nehme den Bilderrahmen und marschiere aus dem Zimmer. Ich gehe die Treppen hinunter und finde Luke auch schon in einem offenen Wohnzimmer vor. Er hat beide Hände auf seiner Stirn und ist ganz konzentriert auf ein Blatt, welches vor ihm liegt. Was darauf steht kann ich nicht erkennen. Er scheint sehr konzentriert darauf zu wirken. Um nicht unhöflich zu wirken räuspere ich mich kurz. Luke bemerkt mich und faltet den Zettel zusammen.

„Ich habe eine Frage.", murmle ich. Er steckt den Zettel in seine Hosentasche und schaut mich auffordernd an. Ich setze mich zu ihm auf die Couch und halte ihm das Bild vor sein Gesicht. „Bist das du und deine Mom?" Er lächelt kurz und nimmt es in seine Hände „Ja, ich vermisse sie." Ich lege meine Hand auf seine Schulter und sage mitfühlend „Kann ich verstehen. Aber du wirst sie ja bald wieder sehen."

Luke nickt nur stumm vor sich hin mit dem Blick dem Foto zugewendet.

„Was ist das?", frage ich und nicke mit meinem Kopf zu dem hervorstechenden Zettel aus seiner Hosentasche.
„Ach nichts. Ich habe nur gerade Schwierigkeiten wegen der Miete, aber mach dir keine Sorgen." Ich lächle ihn an und er lächelt zurück. „Wann erzählst du es mir?", fragt er plötzlich. Meine Mundwinkel zogen sich wieder nach unten und mein Blick wende ich dem Boden zu. Ich seufze und schaue nun wieder Luke an und flüstere „Luke.."

Er steht auf und meint „Ich verstehe schon. Sag es mir einfach irgendwann wann du Lust dazu hast." Ich bemerke seinen Sarkasmus, der seine Wut verstecken soll. Ich versuche mir meine Tränen zu unterdrücken und stehe schließlich auf um nach oben in ‚mein' Zimmer zu rennen.

Ich verstecke mein Gesicht hinter meinen Händen. Luke scheint das wohl bemerkt zu haben und läuft mir hinterher und schreit meinen Namen. Ich knall die Tür hinter mir zu und lasse mich ins Bett fallen. Ich höre wie Luke sie wieder öffnet und sich auf das Bett setzt. „Samara, das war nicht so gemeint. Ich will, dass du mir vertraust. Aber ich will dein Vertrauen nicht erzwingen. Wenn du den Mut hast es mir zu erzählen, dann habe ich gerne ein offenes Ohr für dich, aber wenn nicht, dann verstehe ich es." Er fährt mir mit seiner Handfläche den Rücken entlang worauf ich Gänsehaut bekomme. Mit roten Wangen setze ich mich wieder aufrecht hin und wische mir mit meinen Handrücken die Tränen weg.

„Ich werde einmal in der Woche einkaufen fahren an so einem kleinen Supermarkt ein paar Meilen von hier entfernt. Schreib mir eine Einkaufsliste oder sag was du brauchst, ich besorg es dir." Daraufhin muss ich lächeln.

Ich übergebe ihm eine Liste und er scheint überrascht zu sein. Vielleicht habe ich etwas zu viel aufgeschrieben, aber ich hoffe dass es kein Problem macht.

Er macht ein verdutztes Gesicht und fragt „Ein Haarfärbemittel? Dein ernst? Und was sind bitte kleine Hasengummis? Ich soll dir 2 Zeitschriften mitnehmen? Am besten Modemagazine?"

„Schau dir doch mal meinen Ansatz an. Ich habe seit einem halben Jahr nichts mit meinen Haaren gemacht. Das sind Gummibären in Hasenform. Sie sind meistens rot, blau, rosa und gelb, aber die gelben sind mir am liebsten. Ich mag die normalen Gummibären nicht, also wenn sie die in Hasenform nicht haben, nehme mir irgendeine Schokolade mit. Ich war in dieser Anstalt fast ein ganzes Jahr. Ich muss auf den Neusten Stand gebracht werden oder soll ich herumlaufen wie ein Penner?"

Ich habe normalerweise braunes Haar, doch ich habe sie mir bevor ich in diese Anstalt kam gefärbt. In ein schönes blond.

Luke lacht „Ok ich werde schauen was ich für dich tun kann. Ich bin in einer Stunde zurück. Schau dich im Haus um oder so etwas. Der Fernseher funktioniert nicht, also musst du es nicht mal versuchen. Versuche dich einfach anders zu beschäftigen." Ich nicke verständnisvoll und lege meine Arme um ihn. „Pass auf dich auf.", lächle ich ihn an. „Mir wird schon nichts passieren. Keine Sorge, Püppchen."

Wieso nennt er mich nur immer Püppchen?? Dieser Spitzname oder was das sein soll nervt, doch irgendwie find ich ihn auch süß. Genauso wie Luke. Ach was denke ich eigentlich? Luke ist ganz okay, aber er ist nicht süß.

Ich gehe zurück in mein Zimmer und stöbere in dem Bücherregal, was über den Schreibtisch hängt, nach einem guten Buch. Das Schicksal ist ein mieser Verräter. Obwohl ich den Film schon x mal gesehen habe, finde ich dass John Green ein sehr guter Autor ist, dem man mal eine Chance geben sollte.

Mitten im Kennenlernen von Hazel Grace Lancaster und Augustus Waters, höre ich plötzlich wie jemand die Tür aufsperrt und kurz darauf erkenne ich Luke vollgepackt mit Tüten die Tür hereinkommen.

„Es tut mir leid, dass es so lange gedauert hat. Ich musste den Wagen verkaufen und habe mir stattdessen einen alten Mini Wan gekauft. Die suchen den Porsche nämlich bestimmt schon und ich habe echt null Bock, dass sie uns wieder finden und einsperren."

Aufgeregt laufe ich zu ihm hin und nehme ihm zwei Tüten ab. Ich durchsuche die Tüten und finde Äpfel, Bananen, Schinken, Salami, 3 Fertiggerichte und endlich das Färbemittel für meine Haare. Als würde ich seit Wochen vor Hunger leiden, halte ich es in der Luft und wedle damit herum. Schnell mache ich mich auf den Weg ins Badezimmer um mir meine Haare zu färben.

Nummer 213Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt