12. Die Wahrheit

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Sky holte tief Luft. "Lupa hat dir doch die Geschichte von uns Wölfen erzählt, oder?", fragte sie.
Ich nickte stumm.

Nur zu gut erinnerte ich mich daran. Die leisen Worte, die immer noch in meinem hallten und mein ganzes Leben zerstört hatten.

"Nun ja", fing Sky an, "Es kommt manchmal vor, dass wir Gaben besitzen. Es ist selten, aber es kommt vor. Manche von uns können hellsehen, erhalten Fetzten der Zukunft, andere wiederum beherrschen die Telepathie, sind unglaublich stark oder haben ein feines Gehör. Oder besitzen eine Heilgabe, so wie du."

Sie sah mir ernst in die Augen.

"Die erste Gabe, die auftrat, war die Heilgabe bei Lupas Tochter. Sie hatte einen Teil der Kräfte der Wölfin geerbt, und die vererbte sie wiederum an manche ihrer Nachfahren. Doch so eine mächtige und vielfältige Gabe wie das Heilen kam bis jetzt nur selten vor, um genau zu sein, bis du die erste seit mehreren Jahrhunderten, die so eine Kraft geerbt hat."

Sie schwieg eine Weile und ich merkte, wie sehr ich an ihren Lippen hing. Ich wollte eine Erklärung, einen Grund, warum das alles mit mir passierte.

"Eine uralte Prophezeiung besagt", setzte Sky ihre Erzählung fort und ich seufzte tief. Ich hatte schon viele Bücher gelesen, in denen Prophezeiungen vorkamen, und sie bedeuteten immer das gleiche: Irgendeine Person sollte die Welt bzw. die Hälfte der Menschheit vor irgendeiner drohenden Gefahr retten, ansonsten naht das Ende der Welt oder so.

Ja klar.

Aber zurück zur Prophezeiung, die folgendes besagt:

"...dass das Kind der Wölfin mit dem Bösen und der Dunkelheit zurückkehren wird, um uns vor der ewigen Finsternis zu beschützen."

Sky seufzte.

Und ich seufzte auch, noch einmal.

Allerdings nicht wegen diesen tief ergreifenden Worten, sondern weil ich das alles, wie gesagt, schon vorhergesehen hatte.

"Und was genau soll das jetzt bedeuten?", fragte ich unsicher.
Sky zögerte, doch dann sprach sie die Worte aus, von denen ich wusste, dass sie die Wahrheit waren, aber die ich nicht glauben wollte.
"Thalia, du bist besonders. Deine Gabe ist so stark, dass sie dich sogar aus dem Reich der Toten zurückgeholt hat. Uns Heilern wurde dies schon seit mehreren Generationen prophezeit. Doch was noch viel wichtiger ist: Ein Teil von der Seele von Lupas Tochter, ein Teil ihres Geistes, ihres Wissens, ihrer Macht ruht in dir drin."

Ich brauchte eine Weile, um zu realisieren, was ich eben gehört hatte. Als es schließlich zu mir durchdrang und wie eine dunkle Welle überschwemmte, fühlte ich mich so verloren, so einsam. Die Welt erschien mir nicht mehr so warm und freundlich, sondern kalt und feindselig. Ich sehnte mich so sehr nach meiner Mum, ihren festen Armen, die mich immer umschlossen und alles nicht mehr so grau erscheinen ließen.

Doch meine Mum war gerade die Person, die mich in diese Lage gebracht hatte.

Schützend schlang ich die Arme um mich. Ich konnte einfach nicht mehr. Innerhalb weniger Tage hatte ich so viel verloren: Meine beste Freundin, mein altes Leben, und in gewisser Weise auch meine Mutter.

Ich schluchzte und verbarg mein Gesicht in den Händen. Neben mir spürte ich Sky, die sanft einen Arm um mich legte.
"Ich kann mir nur vorstellen, wie schwer es für dich ist", murmelte sie. "Mir war schon seit ich ein kleines Kind war klar, dass ich einmal die Rolle der Heilerin übernehmen würde, und meine kleine Schwester wusste schon immer, dass sie eines Tages in die Fußstapfen unserer Mutter treten würde. Unser ganzes Leben lang wurden wir darauf vorbereitet, und es war nicht immer einfach. Für dich dagegen ist das alles neu, aber ich glaube fest daran, dass du es schaffen wirst."

Verstohlen wischte ich mir eine Träne weg. Mir war klar, wie ich jetzt aussehen musste. Dreckig, mit roten, verquollenen Augen und völlig aufgelöst.

Doch ohne weiter auf dieses Thema einzugehen klatschte Sky in die Hände. "So, und bevor ich dich entlassen, schauen wir erstmal, wie wir dich wieder in Ordnung bringen. Ich schlage vor, du nimmst bei mir jetzt eine Dusche und ich gib dir ein paar frische Sachen von meiner Schwester, ich glaube deine kann man eher nicht mehr anziehen."

Ich nickte, da ich meiner Stimme nicht vertraute.

Sky war schon aufgesprungen und wartete am Türvorhang auf mich, ich richtete mich vorsichtig auf und ging ein paar Schritte. Das Schwindelgefühl kehrte Augenblicklich zurück und ich stützte mich an einem kleinem Tisch ab, der neben dem Krankenbett stand.
Sofort war die Heilerin wieder bei mir und stützte mich.
Sie führte mich durch dir Tür in einen kleineren, jedoch lichtdurchfluteten Raum und dann die Treppe hoch. Ich konzentrierte mich auf jede einzelne Treppenstufe, um vor Anstrengung nicht zusammenzuklappen.

Als wir oben angelangt waren, blieb mir der Mund offen stehen. Das Zimmer, in dem wir uns befanden, ähnelte dem Rest des Hauses nicht im Geringsten.

Neben zwei hohen Fenstern, durch die das helle Sonnenlicht kam, stand eine lange Kommode mit diversen Schmink-Utensilien, an der rechten Wand stand ein gemütliches Doppelbett mit pastellfarbenen Kissen. Ein riesiger Kleiderschrank fehlte natürlich auch nicht.

Sky führte mich durch das Schlafzimmer zu der weißen Tür neben dem Bett. Mich überraschte es nicht im geringsten, dass das Badezimmer ähnlich großzügig eingerichtet war wie das Zimmer.

"Da drüben liegen die Handtücher", erklärte Sky und zeigte auf einen Weißen, flauschigen Stapel, "und in der Dusche ist Duschgel und Shampoo. Am Waschbecken stehen Zahnbürsten und Zahnpasta, und im Schrank findest du Bodylotion und andere Cremes."
Sie zwinkerte mir zu.
"Ich hole dir jetzt ein paar frische Sachen zum anziehen vom meiner Schwester, sie müsste ungefähr die gleiche Größe wie du haben."

Sie verschwand und ich lehnte mich müde an die Tür. Obwohl ich die letzten Tage geschlafen hatte, fühlte ich mich ausgelaugt und völlig fertig.
Diese Wolfssache raubte mir echt meinen letzten Nerv.

Und meine letzte Energie.

Ich betrachtete mich im Spiegel. War die Person, die mir mit diesen großen, grünen Augen entgegenblickte, wirklich ich? Verschwitzt, mit zerzausten und (oh mein Gott! War das etwa Blut?) verkleben Haaren, und Flecken im Gesicht. Doch es schien auch, als wäre ich älter geworden.
Meine ganze Kleidung hatte jetzt stylische, rote und braune Flecken, und meine einst helle Jeans hatte an manchen Stellen die undefinierbare Farbe eines Schlamm-Sand-Blut-Gemischs.

Ja, ich hatte die Dusche wirklich nötig.

Ich schmolz förmlich unter dem warmen Wasserstrahl dahin, oder zumindest tat das der ganze Dreck. Das Wasser zu meinen Füßen färbte sich erst braun und dann zunehmend dunkelrot.

Mit dem Blut und dem Dreck wusch das Wasser und der Duft von Sky's Granatapfel -Shampoo, wenn auch nur für kurze Zeit, alle Fragen und Sorgen weg, die mir seit Tagen auf dem Herzen lagen.

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Soooo Leudies...

Erst einmal danke für die über 200 reads!!! OMG ich kann es immer noch nicht glauben...

Als kleines Dankeschön hab ich hier das nächste kapi, extra für euch

(Eigentlich sollte es erst morgen kommen, aber dann schreibe ich morgen halt schon das nächste ;)

Dann nur noch eins:

Viel Spaß beim Lesen
Eure AnSo

Im Schatten des Mondes (I)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt