17. Tränen

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Am nächsten Morgen wurde ich vom lauten Geschirrgeklapper aus der Küche geweckt. Ich blinzelte und setzte mich auf. Mein Nacken schmerzte von der harten Lehne des Sofas. Ich streckte mich, gähnte noch einmal und sah aus dem Fenster. Es schien wieder ein sonniger Tag zu werden, die Vögel zwitscherten um die Wette und eine leichte Brise wehte durch die Bäume.

Ich schlurfte in die Küche und entdeckte Morgan, die gerade damit beschäftigt war, Würstchen zu kochen.

"Guten Morgen", murmelte ich und inspizierte die riesige Einkaufstüte, die sie neben den Küchentisch gestellt hatte.

"Guten Morgen", sagte Morgan gut gelaunt. Obwohl wir uns erst seit gestern kannten, kam mir alles bereits so vertraut vor.

"Seit wann bist du schon hier?", fragte ich und fing kurzerhand an, den Tisch zu decken.

"Ach, schon eine Weile. Hör mal", meinte sie. "Ich habe heute zum Frühstück Sky eingeladen..."

Sie sah mich erwartungsvoll an

"Naja, du bist diejenige, die kochen muss", lachte ich. "Ich darf hier ja keinen Finger rühren. Natürlich habe ich nichts dagegen, wenn Sky kommt." Ich mochte die junge Heilerin, ich hatte sie sofort ins Herz geschlossen.

"Gut", murmelte sie. "Und... ich habe mir gedacht... Also, ich habe noch Antonio und Olivia eingeladen..."

Das hatte auf mich eine bessere Wirkung als ein doppelter Macciato, ich war sofort hellwach. "Du hast WAS?!" Sie hätte von mir aus das ganze Rudel einladen können, aber nicht ihn.

Erschrocken sah sie mich an. "Hab ich etwas falsche gemacht? Tut mir leid, ich wusste nicht..."

Sofort tat es mir wieder leid, sie so angefahren zu haben.

"Nein, natürlich nicht. Ist schon in Ordnung", murmelte ich. Morgan lächelte wieder. "Achso. Gut."

Da kam mir eine Idee. "Hättest du etwas dagegen wenn ich Jo einlade?", fragte ich.

"Jo?" Sie sah mich verwundert an.

"Joanna."

"Seit wann kennst du denn Joanna?" Jetzt schien sie noch verwunderter.

"Sie hat mich in der Nacht besucht", erklärte ich. "Wir konnte Beide nicht schlafen. Und, bevor ich es vergesse: Danke für das Schlafmittel." Morgan wurde rot und konzentrierte sich auf die Pfanne, während sie etwas vor sich hin murmelte.

"Das mit Jo geht also klar?", hakte ich nach.

"Ja, natürlich. Aber beeil dich, es geht um zehn los, und du musst dich fertigmachen. Ich hab dir ein paar frische Sachen zum umziehen hingelegt."

"Morgan, das ist echt lieb von dir", bedankte ich mich. "Aber du musst dir keine umstände machen, ich kann die Sachen von gestern anbehalten."

"Oh nein, das wirst du nicht", befahl sie. "Die Sachen sind mir eh etwas zu eng, du kannst sie behalten."

Ich umarmte sie. "Danke!"

Sie wedelte mir mit einer Hand zu. "Und jetzt beeil dich, sonst schaffst du es nicht mehr unter die Dusche."

Ich grinste, und lief dann auf Socken zu Haus Nr. 6. Von drinnen drang ein leises Schnarchen, und ich trommelte mit beiden Fäusten gegen die Tür. "Jo!"

Nichts geschah.

Nur das Schnarchen wurde lauter.

"Joanna!", brüllte ich. Das ich damit wahrscheinlich das ganze Gelände aufweckte, war mir egal.

Obwohl ich mir sicher war, dass es nichts brachte, drückte ich die Klinke hinunter. Die Tür gab wie vermutet nicht nach.

"Manchmal geht es eben nicht ohne Gewalt", murmelte ich leise und trat ein paar Schritte zurück. Dann nahm ich Anlauf und warf mich mit der gesunden Schulter gegen die Tür.

Im Schatten des Mondes (I)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt