55. Zeit vergeht

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"Was zieht man zu einem Date an?" Verzweifelt hielt ich mir mein Handy ans Ohr, während ich in meinem Kleiderschrank wühlte.

"Hat er denn gesagt, wohin ihr gehen wollt?", fragte Morgan, ihre Stimme drang gedämpft durch die Leitung.

"Nein, hat er nicht." Mit einer Hand holte ich einen Rock heraus und schmiss ihn auf mein Bett. "Meinst du wirklich, ein Rock wäre passend? Ich meine, eine Hose ist etwas zu normal, aber ein Kleid dann auch wieder zu_"

"Halt stopp!", unterbrach mich meine Freundin. "Zieh am besten etwas an, in dem du sich wohl fühlst."

"Aber-"

"Mach es einfach."

Ich suchte stirnrunzelnd ein passendes Top zu meinen Rock raus, mit dem Handy zwischen Ohr und Schulter geklemmt zog ich die Sachen an. Unzufrieden betrachtete ich das Ergebnis im Spiegel.

"Aber das ist so süß von ihm", meinte Morgan. "Ich wünschte, mich würde mal jemand zu einem Date einladen."

Ich verdrehte die Augen. "Morgan, du hast doch mit deinem letzten Freund Schluss gemacht, nicht er mit dir."

"Ja, aber das war etwas anderes."

„Morgan, du hast behauptet, er wäre dir zu langweilig." Bevor ich jedoch noch weiteres erwidern konnte, klopfte es laut an der Tür.

"Oh, ich muss los", verabschiedete ich mich, bevor ich hastig die Treppe runter rannte und mir im Vorbeigehen meine Tasche schnappte. Ich riss die Tür auf und fiel Antonio Wort wörtlich in die Arme.

"Hey", lachte er und hielt mich fest. "Wohin denn so eilig?"

Schmollend boxte ich gegen seinen Arm und wand mich aus seinem Griff.

"Dir auch noch einen schönen Tag", meinte er grinsend als ich an ihm vorbei stolzierte.

"Also, was machen wir?", wollte ich wissen und stemmte die Hände in die Hüften.

"Habe ich dir schon gesagt, wie süß du aussiehst wenn du wütend bist?" Er kam auf mich zu, meine Wangen glühten und auf meinen Armen bekam ich Gänsehaut.

Von nahem konnte ich die Narbe seitlich an seinem Hals sehen, ein feiner, weißer Strich, der sich von seinem Kiefer bis zu seinem Schlüsselbein erstreckte. Vorsichtig fuhr ich die Linie mit meinen Fingern nach, er erzitterte unter meiner Berührung.

"Woher hast du das?", fragte ich leise.

Antonio nahm meine Hand und verschränkte seine Finger mit meinen.
"Vor zwei Jahren wurden Steve und ich von Werwölfen angegriffen, sie waren in der Überzahl. Wenn wir rechtzeitig keine Hilfe bekommen hätten, wären wir jetzt tot. Es... Es war wirklich knapp."

"Oh..." Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. "Das tut mir leid."

Er lachte leise, dann legte er einen Arm um mich. "Komm, mach dir über so was keine Gedanken. Der Abend heute soll etwas Besonderes werden."

Über uns ging langsam dir Sonne unter, die Schatten unter den Bäumen wurden immer länger, als wir uns dem Parkplatz näherten. Antonio lief zielstrebig auf ein schwarzes Motorrad zu, das an der Mauer stand.

"Hier." Er warf mir einen schwarzen Helm zu, den ich ungeschickt auffing.

"Wir...fahren damit?" Unruhig trat ich von einem Fuß auf den anderen.

Er schwang sich nur auf das Motorrad und klopfte auf den Platz hinter sich, er schien mein Zögern bemerkt zu haben. "Vertrau mir einfach."

Seufzend setzte ich mich hinter ihn und hatte gerade noch Zeit, meine Arme um seinen Bauch zu schlingen, bevor er den Motor startete.

"Festhalten!", rief er und ich kniff die Augen zusammen, wobei ich meinen Griff verstärkte.

Eine Weile spürte ich nur die holprigen Steine unter uns und den Wind, der uns entgegenkam, bis ich mich schließlich traute, mich umzublicken.

Die Bäume flogen an uns vorbei, verschwammen zu einem satten Grün, das von den letzten Sonnenstrahlen beleuchtet wurde, die Straße schien endlos zu sein. In meinen Adern pulsierte das pure Adrenalin, die Sorgen und Geschehnisse des Tages waren vergessen. Was zählte war das Hier und Jetzt.

Ich war schon fast enttäuscht, als wir am Ufer des Gardasees hielten und Antonio das Motorrad an der Seite parkte. "Wir sind da", verkündete er und half mir vom Sitz runter.

"Wow", brachte ich heraus. "Das war Hammer."

"Das war noch nicht alles für heute", versprach er und nahm meine Hand. 
Er zog mich mit sich, bis wir die Promenade am Ufer erreicht hatten.

Es war einfach nur wunderschön. Das Licht der vereinzelten Laternen spiegelte sich auf den sanften Wellen des Wassers, Glühwürmchen schwirrten um uns herum. Auf der gegenüber liegenden Seite des Sees konnte man schwach die Lichter der anderen Städte erkennen, die in der Dunkelheit leicht flimmerten.

Wir liefen am Wasser entlang, keiner sagte etwas, doch die Stille war angenehm. Ich genoss seine Nähe, seinen ruhigen Atem, dir Wärme seines Körpers. 
Plötzlich blieb er unter einer Laterne stehen und drehte sich zu mir um.

Langsam hob er eine Hand, vorsichtig strich er über meine Wange, zeichnete sanft meine Lippen nach. Ich wagte es kaum zu atmen, als er mein Kinn hob und mich ansah.

"Warte", murmelte ich. "Was ist jetzt eigentlich zwischen uns?"

Antonio lachte leise und strich mir eine Haarsträhne von der Stirn. "Thalia", fing er an. "Du bist sie wundervollste Person, die ich in meinem Leben kennengelernt habe. Wenn ich dich sehe, vergesse ich alles andere um mich herum, und wenn du lächelst, scheint dir Zeit still zu stehen." Er zögerte kurz. "Verdammt, ich liebe dich!"

Pass gut auf dein Herz auf, sonst könnte es dir jemand brechen. Die Warnung der Vestalin hallte in jedem Winkel meines Bewusstseins nach, Doch das einzige, worauf ich achtete, war mein lauter Herzschlag und die angenehme Wärme, die sich in mir ausbreitete.

Ich wollte es.

Als unsere Lippen aufeinander trafen zog ich ihn näher, er legte seine Arme um meine Taille.

"Ich liebe dich", flüsterte ich die drei Worte und er sah mich mit seinem schiefen Grinsen an.

"Wirklich?"

Ich verdrehte die Augen und zog ihn noch näher. "Ja, wirklich."


Im Schatten des Mondes (I)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt