47. Totenbleich

4K 337 7
                                    

Es war wie in einem Albtraum. Stumm hörten wir zu, als Morgan unter Tränen berichtete, was heute passiert war.

"Er...Er war heute ganz normal beim Training...Wir waren heute zusammen verabredet, er und ich...Aber er ist nicht gekommen....Alle suchen ihn, Maya hat Patrouillen organisiert, um ihn zu suchen", schluchzte sie, ich zog sie an mich und strich ihr beruhigend übers Haar.

Obwohl ich es nicht wahrhaben wollte, war mir klar, was Jason passiert war.

Es ist alles deine Schuld, flüsterte mein Unterbewusstsein mir gehässig in Ohr.

Ich sah zu Antonio, der ungewöhnlich blass aussah, und schluckte. Jason war sein bester Freund, die Beiden kannten sich schon seit einer Ewigkeit.

Und jetzt war er weg, vielleicht lebte er nicht einmal mehr.

Warum?

Weil ich, statt die Sache endlich zu beenden, immer noch hier stand und mein Umfeld durch meine bloße Anwesenheit größter Gefahr aufsetzte.

Wie viele Leute sollen noch verletzt werden, bevor du dich endlich deinem Schicksal stellst?

Ärgerlich schüttelte ich den Kopf und bemerkte, wie Sky mich beobachtete. Ich schenkte ihr ein halbherziges Lächeln, dann wandte ich mich an Morgan. "Hey, wir werden ihn finden. Wahrscheinlich wollte er nur mal kurz raus aus dem ganzen..." Ich schluckte, "Durcheinander hier."

Es war ein kläglicher Versuch, meine Freundin zu trösten, doch mir fiel nichts Besseres ein.

Doch die Wahrheit war unumgänglich: Jason, der Junge, der bei unserer ersten Begegnung die meiste Aufmerksamkeit seinem Wasserglas, und nicht TJs Plänen gewidmet hatte, war verschwunden, und das nicht aus eigener Absicht.

"Kommt, lasst uns ihn suchen gehen", meinte Antonio tonlos.

Keiner wiedersprach, stumm liefen wir in Richtung Wald.

Auf einmal blieb Sky stehen. "Geht schon mal vor, ich muss kurz mit Thalia reden."

Ohne zu widersprechen drehten sich die anderen um und verwandelten sich in Wölfe, kurze Zeit später waren sie zwischen den Bäumen verschwunden.

"Warum willst du mit mir reden?", wollte ich wissen.

Sie öffnete den Mund, doch dann zögerte sie. "Thalia, es ist nicht deine Schuld, dass Jason-"

Vielleicht tot ist.

"Doch", unterbrach ich sie und ignorierte die gehässige Stimme in meinem Inneren. "Die Werwölfe wollen mich, und sie werden mich auch kriegen."

"Nein!", wiedersprach sie. "Das werden wir nicht zulassen."

"Sky, ich weiß selbst, dass es nicht der richtige Weg ist", sagte ich und rieb mir die Stirn. "Aber wie viele Leute sollen noch verletzt werden? Wie lange soll ich warten? Bis schließlich einer von euch stirbt?", schrie ich und achtete nicht auf ihr erschrockenes Gesicht. "Ich kann nicht mehr", meinte ich dann, leiser. "Sie werden kriegen, was sie wollen, und ich bitte dich, halte mich nicht auf. Ich habe dafür keine Kraft mehr."

Schon wollte ich mich umdrehen, doch sie hielt mich am Handgelenk fest. "Thalia, warte. Ich weiß zwar nicht, was Amelie dir gesagt hat, aber auch ich kenne Prophezeiungen, schließlich bin ich die Heilerin. Und was auch immer geschehen mag, ich werde nicht zulassen, dass du dich ins Verderben stürzt. Denn hier geht es nicht nur um dich, sondern um uns alle."

Seufzend ließ ich mich auf einen Baumstamm fallen und vergrub mein Gesicht in den Händen.
"Thalia, was ich dir damit sagen will ist, dass du dein Leben nicht einfach wegwerfen kannst. Es liegt an dir, ob..."

"Meinst du, ich weiß das alles nicht?!" Wütend sah ich sie an. "Meinst du, ich weiß nicht, was auf dem Spiel steht? Meine Mutter wurde entführt, Jason lebt vielleicht nicht mehr, und wenn ich eine falsche Entscheidung treffe, einen falschen Schritt mache, verwandle ich mich in ein Monster."

Schwer atmend stand ich auf. "Glaubst du, das wäre alles einfach für mich?"

Sie schüttelte den Kopf. "Das will ich damit gar nicht sagen. Aber du weißt von uns am meisten über die Werwölfe, und deswegen kannst nur du uns sagen, wo Jason ist."

Na los, sag es ihr, flüsterte meine innere Stimme. Oder hast du Angst, an den Ort zurück zukehren?

Ich biss mir auf die Lippe und zögerte. War ich bereit?

Aber das zählte nicht, es ging jetzt nicht um mich.

Sieh es ein. Du versagst. Jason ist schon längst tot, du solltest dich endlich deinem Schicksal stellen...

"Ich weiß, wo Jason ist."

Sky

Sie führte uns schweigend durch den Wald, sie bemühte sich, sich nichts anmerken zu lassen, doch ich spürte ihre Unruhe.
Niemand fragte, wohin wir gingen, und sie sagte auch nichts.

Die Seelischen Schmerzen waren ihr anzusehen, wie sehr sie auch versuchte, es zu verbergen.

Sie wird daran zerbrechen, dachte sie.

Wie lange noch?, wollte meine Schwester wissen und zuckte leicht mit den Ohren.

Es...Es dauert nicht mehr lange. Thalia ließ sich nicht beirren und lief einfach weiter.

Langsam wurde ich unruhig, in der Nähe hörte ich Autos, die über eine Straße brausten.

Verwandelt euch zurück, meinte Thalia.

Sie wartete nicht ab, sondern trat zwischen den Bäumen hindurch und blieb an einer kleinen, asphaltierten Straße stehen. Überall lagen Glasscherben, es roch nach getrocknetem Blut und...Werwölfen.

"Was ist hier passiert?", fragte Antonio beunruhigt und trat neben sie.

Ich atmete tief ein, und da war er: Der frische Geruch, der mir in die Nase stach. "Hier war jemand", stellte ich fest.

"Leute, seht euch...Oh mein Gott..." Morgan stand neben mir, alle Farbe war aus ihrem Gesicht gewichen.

"Was ist los?"

Sie zeigte vor uns, auf der anderen Seite des Weges lag etwas im Gras.

"Jason! ", rief sie und lief zu ihm, zitternd ging sie vor ihm in die Knie. Thalia und Antonio rannten zu ihr herüber, ich folgte ihnen.

Mir wurde übel, als ich ihn sah.

Alles war voller Blut, seine Kleidung, sein Körper, alles. Sein Gesicht war bleich, totenbleich, seine Augen waren geschlossen. In seinem Bauch klaffte eine riesige Wunde, sein T-Shirt war zerfetzt und er war bedeckt mit Kratzern und blauen Flecken.

Morgan überprüfte panisch seinen Puls, doch in mir machte sich ein ungutes Gefühl breit. Und dann kam das unerwartete:

"Er atmet noch!"






Im Schatten des Mondes (I)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt