25. Wut

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Um mich herum herrschte lautes Stimmengewirr, das mich aus der stillen Dunkelheit holte. Ich blinzelte und öffnete die Augen, helles Sonnenlicht blendete mich, und ließ mich stöhnen. Mein Hinterkopf schmerzte und pulsierte bei jeder Bewegung, ich richtete mich vorsichtig auf und sah mich um. Sterne tanzten vor meinen Augen, und ich sank zurück in den Staub.

Über mir erkannte ich die Umrisse von Autumn, die mir gespielt besorgte Blicke zuwarf und sich mit meiner Mentorin unterhielt.

"Ich wusste nicht, dass sie nicht in der Lage dazu ist...", schnappte ich ein paar Gesprächsfetzten auf. "...keine Ausbildung...wird für sie schwer sein..."

Ich schnaubte verächtlich. Autumn tat ja so, als wäre sie besorgt um mein Training. Als ob.

Wut stieg in mir auf. Wut auf Autumn, die jede Gelegenheit nutzte, um mich fertigzumachen, Wut auf die Leute, die gaffend um uns herum standen. Und Wut auf Alexandra, die mich mit voller Absicht in diesen Kampf geschickt hatte.

Ich hob leicht den Kopf an. Mein Schwert lag einige Meter weiter im Sand, ein paar Meter zu weit. Da spürte ich in meiner Jackentasche etwas schweres, und ich seufzte erleichtert auf. Ich hatte ganz vergessen, dass ich heute morgen meinen Dolch eingepackt hatte. Ursprünglich wollte ich Alexandra fragen, was es damit auf sich hatte. Sie sollte die Person sein, die mir Ratschläge und auf die unzähligen Fragen Antworten gab. Doch stattdessen tat sie genau das Gegenteil.

Vorsichtig tastete ich nach der silbernen Klinge, ich spürte erleichtert die hitzige Welle von Energie, die mich überkam. Sofort wusste ich, was ich machen musste. Ich stand auf und klopfte mir den Staub von der Hose.

"Ich weiß nicht, Alexandra", hörte ich gerade Autumn sagen. "Es ist mir klar, dass sie eine von uns ist, doch sie hat keine Ahnung, um was es hier geht. Sie ist eine Gefahr für uns, und..."

Ich hielt es nicht länger aus und räuberte mich. Die Gespräche um mich verstummten, alle Blicke waren auf mich gerichtet. Meine Gegnerin drehte sich überrascht um, und ihre Augen verengten sich zu Schlitzen, als sie mich sah. Ich blickte ihr herausfordernd entgegen. Die Gespräche verstummten, alles war auf mein Gegenüber und mich gerichtet.

"Wenn ich mich recht erinnere, ist unser Kampf noch nicht vorbei." Meine Stimme war leise, doch sie klang über den ganzen Trainingsplatz. In ihr schwang eine Kraft mit, die mich selbst überraschte, und Autumn holte geräuschvoll Luft. Ich konnte ihre Unsicherheit spüren und lächelte ihr unschuldig zu.

"Na gut", meinte sie laut. "Aber nimm dich in acht, diesmal werde ich mich nicht zurücknehmen", zischte sie kaum hörbar.

Ich lachte leise. "Ich habe keine Angst vor dir", sagte ich leise und drehte mich um. Wir nahmen unsere Positionen ein und ich holte meinen Dolch heraus. Autumn grinste verächtlich.

"Thalia, möchtest du nicht mit einer richtigen Waffe kämpfen?", rief sie mir zu. Von allen Seiten ertönte zustimmendes Gemurmel, und sie fügte immer noch grinsend hinzu. "Mit diesem Spielzeug, das du da in der Hand hältst, wird es schwer für dich."

"Das ist sehr nett von dir, dass du dir solche Sorgen um mich machst", schoss ich zurück. "Aber ich würde dir raten, dieses Spielzeug nicht zu unterschätzen." Mit einem Knurren stürzte sie sich auf mich, doch wich geschickt aus und verpasste ihr eine mit dem silbernen Dolch. Sie heulte auf und ging erneut zum Angriff über.

Doch diesmal hatte ich keine Angst mehr und wich nicht zurück, sondern trat einen Schritt auf sie zu. Unsere Klingen trafen aufeinander und ich packte den Griff fester.

Noch einmal würde ich nicht verlieren.

Der Kampf wurde immer schneller und verbissener, unser Publikum sog bei jedem Schlag scharf die Luft ein. Doch während Autumn's Gesicht sich vor Anstrengung immer mehr verzerrte, lag auf meinen Lippen ein überlegenes Lächeln. Ich genoss die Hitze des Kampfes, das Klirren der Klingen klang wie Musik in meinen Ohren.

Meine Haare lösten sich aus dem Zopf, als ich wieder herumwirbelte und den nächsten Schlag parierte. Ich wusste genau, was ich als nächstes machen musste, der silberne Dolch führte mich. Mir war klar, das Autumn im Vorteil war, da ihr Schwert viel länger war und sie mich so auf Abstand halten konnte.

Als sie jedoch erneut ausholte, deutete ich einen Verteidigungsschlag vor, traf dann aber mit voller Wucht ihr Handgelenk. Sie schrie vor Schmerz auf, und ich nutze das aus. Ich stürmte auf sie zu, im nächsten Augenblick hielt ich ihren Unterarm fest und drückte ihr die Klinge an den Hals.
Unter meinem eisernen Griff spürte ich, wie sie versuchte, sich verzweifelt zu befreien, und ich drückte fester zu. Sie keuchte auf und das erste Mal sah ich in ihren Augen etwas anderes als Verachtung: lähmende Angst.

Ich ließ sie los, und wie von einer unsichtbaren Macht weggedrückt stolperte sie von mir weg. Ohne jemanden noch mal anzusehen, drehte ich mich auf dem Absatz um und lief in die entgegengesetzte Richtung. Vor mir teilte sich die Menge, alle wichen zurück, überall wurde mein Name geflüstert. Doch ich achtete nicht auf sie, ich ging einfach weiter, weg von dem Wispern. Erst als ich die Mauer erreichte und aus ihren Blickfeldern verschwunden war, lehnte ich mich an die kalten Steine.

Ich war so erschöpft und war die Blicke der anderen leid. Das einzige, was ich wollte war, irgendwo dazuzugehören, ein Teil von etwas zu sein.

"Thalia!", rief jemand hinter mir und ich drehte mich um, verbarg meine Gefühle wieder unter einer Maske. Morgan kam strahlend auf mich zu gerannt, mit weit ausgebreiteten Armen, und ich entspannte mich wieder. Sie fiel mir um den Hals und wir umarmten uns.

"Hey Morgan. Was ist los?", wollte ich wissen. Sie grinste mich immer noch breit an und ich spürte, wie meine gute Laune wieder zurückkehrte.

"Das was du eben gemacht hast, war einfach unglaublich!", sprudelte sie los. "Du hast Autumn besiegt! Wir anderen können es immer noch nicht glauben, aber wir haben es ja mit eigenen Augen gesehen. Im Schwertkampf ist sie eine der besten, sie darf deswegen auch immer mit den älteren trainieren. Aber du, du bist noch besser als sie!"

Ich musste grinsen. "Ja, kann sein."

Sie gab mir einen Stoß zwischen die Rippen. "Machst du Witze? So wie du gekämpft hast, so etwas habe ich noch nie gesehen."

Bevor ich jedoch etwas erwidern konnte, legte mir jemand eine Hand auf die Schulter. "Thalia, ich gratuliere. Du kannst stolz auf dich sein", meinte Alexandra. Ich drehte mich um, und spürte wieder die Wut in mir.

Ich schlug ihre Hand weg, und wich einen Schritt zurück, dann noch einen.

"Ähmm... Ich gehe dann mal", murmelte Morgan und verschwand in Richtung Trainingsplatz.

"Thalia", sagte meine Mentorin nach einer Weile. "Es tut mir leid, dass das so kommen musste. Aber..."

Doch ich ließ sie nicht ausreden. "Es tut dir leid?" Ungläubig starrte ich sie an. "Du stellst mich vor den ganzen Leuten bloß, lässt mich von Autumn zu Brei schlagen und es tut dir leid?" Ich konnte meinen Ohren nicht trauen.

"Lass es mich erklären", sagte sie sanft, und ich hob widerwillig meine Augen. " Thalia, das Kämpfen liegt in deinem Blut, du bist wie jeder andere von uns ein Wolf. Du brauchst kein Training oder Erklärungen, wie du ein Schwert halten sollst, das alles kannst du. Verstehst du?" Sie sah mich erwartungsvoll aus ihren braunen Augen an.

Ich zögerte. Und dann fasste ich einen Entschluss. Dieses ganze Misstrauen musste aufhören. Ich holte tief Luft und brachte heraus: "Ja, ich verstehe."

Alexandra atmete erleichtert auf, dann bedeutet sie mir, ihr zu folgen. "Komm, Thalia, der Tag ist noch lang und du musst noch viel lernen."

Ohne mit der Wimper zu zucken lief ich ihr hinterher. Ich musste ihr vertrauen, sonst würde das alles kein gutes Ende nehmen.

Im Schatten des Mondes (I)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt