16. Träume?

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Schweißgebadet erwachte ich aus meinem Traum.

Mein Herz raste, mein Atem ging flach. Das alles hatte sich so echt angefühlt...Als wäre ich wirklich im Wald von etwas angegriffen worden. Immer noch zitternd stand ich auf und tastete mich an der Wand entlang, bis ich den Lichtschalter fand.

Ich sah an mir hinunter. Dank Morgans Schlafmittel hatte ich nicht einmal Zeit gehabt, meine Schuhe auszuziehen. Schnell schlüpfte ich aus meinen heißgeliebten weißen Sneakers, die den Unfall zum Glück überlebt hatten.

Um mich zu beruhigen, ging ich auf Socken zum Badezimmer und spritzte mir eine Ladung kaltes Wasser ins Gesicht und atmete nochmal tief durch.

Alles nur ein Traum.

Kein Grund zur Beunruhigung.

Im wieder wiederholte ich die Worte leise vor mich hin du spürte, wie sich mein Puls langsam senkte.

Ich sah mich um und bemerkte, dass Morgan an alles gedacht hatte. Im Schrank neben dem Waschbecken lag ein Haufen frischer Handtücher, oben drauf noch eine frische Zahnbürste mit Zahnpasta. Außerdem fand ich noch einen grauen Schlafanzug, den sie mir noch dagelassen hatte.

Ich musste mir echt überlegen, wie ich ihr dafür danken konnte.

Doch fürs erste beschloss ich, unten in der Küche zu prüfen, wie viel Uhr es war.

Als ich mein neues Schlafzimmer durchquerte, bemerkte ich das Buch, das ich gefunden hatte. Es war mir unters Bett gefallen, und ich beschloss kurzerhand, es mitzunehmen.

Unten angekommen musste ich feststellen, dass es gerade mal viertel nach zwei war, also viel zu früh, oder besser gesagt, viel zu spät.

Seufzend ließ ich mich auf das schlichte Sofa im Wohnzimmer fallen, an Schlaf war jetzt nicht zu denken. Alles in mir sträubte sich davor, die Augen zu schließen und wieder in einem dunklen Wald voller blutrünstiger Kreaturen zu landen.

"Reiß dich zusammen", murmelte ich. Ich machte es mir mit dem Buch bequem, vielleicht würde es mir ein paar Antworten auf meine Fragen liefern. Denn vor allem eine kreiste unaufhörlich in meinem Kopf herum:

Wenn ich tatsächlich ein Wolf war, warum hatte ich mich bis jetzt nicht verwandelt?

Der Einband des Buches war schlicht, grau, ohne Titel oder Autor. Ich schlug eine Seite auf und der fein säuberlich geschriebene Name stach mir sofort ins Auge.

Ich blätterte neugierig um.

Die Seiten waren vollgeschrieben mit der eleganten Schrift meiner Mutter, ab und zu waren ein paar Zeilen durchgestrichen. Die Ränder waren vollgekritzelt, ein Zettel fiel zwischen den Seiten heraus. Ich hob ihn auf und faltete das Papier vorsichtig auf.

Und ließ das Buch vor Schreck fallen. Von dem leicht vergilbten Zettel aus starrten mich die zu Schlitzen verengten Augen eines Werwolfes an.

Ich beruhigte meine Atmung.

Es ist nur ein Bild.

Immer wieder wiederholte ich das.

Langsam hob ich das Buch auf und betrachtete das Bild genauer. Die Zeichnung war so detailgetreu, und sie ähnelte dem Wolf aus meinem Traum.

Reißzähne. Zotteliges Fell. Glühende Augen. Alles passte.

Ein leises Klopfen an der Tür riss mich aus meinen Gedanken, ich zuckte leicht zusammen.

Wer konnte das um diese Uhrzeit sein? Es war eher ungewöhnlich, anderen Leuten mitten in der Nacht einen Besuch abzustatten. Andererseits lebten hier Wölfe, keine normalen Leute, und wer wusste schon wie die tickten.

Es klopfte noch einmal, diesmal lauter.

"Ist ja gut, ich komm ja schon", murmelte ich vor mich hin, als ich zur Tür schlurfte. Vorsichtig öffnete ich sie.

"Na endlich", hörte ich eine junge Frauenstimme sagen. Vor der Tür stand ein Mädchen, mit kurzen, schwarzen Haaren. Ohne Frage, sie war älter als ich. Und hübscher, ihre Züge wirkten fast elfenhaft.

"Würdest du mir die Ehre erweisen und mich reinlassen?", meinte sie ungeduldig. "Es ist kalt."

"Oh, ja klar." Ich beeilte mich, die Tür zu öffnen, und sie trat ein. Sie ging sofort an mir vorbei und machte es sich am Küchentisch bequem, dann fragte sie: "Lässt du immer jeden rein, der nachts an deiner Tür ist? Ich hätte ein Werwolf oder Serienkiller sein können."

"Ein Werwolf würde sich nicht die Mühe machen anzuklopfen, diese Höflichkeit besitzen diese Kreaturen nicht. Und selbst wenn, hätte er mich sofort getötet, wenn ich die Tür aufgemacht hätte, und nicht erst mit mir geplaudert. Außerdem ist das hier geweihter Boden, schon vergessen?" Die Worte kamen mir so schnell und mit solch einer Selbstverständlichkeit über die Lippen, dass es mich selbst wunderte. ""Und Serienkiller sind im Moment mein geringstes Problem, ich würde einen liebend gern zum Tee einladen."

Das Mädchen lachte. "Klingt ganz so, als hättest du schon Erfahrung damit."

"Mit was jetzt?", fragte ich. "Werwölfe oder Killer?"

"Werwölfe", entgegnete sie.

"Also, wenn ich ehrlich sein soll", überlegte ich und stützte mich auf der Tischplatte ab, "habe ich bis jetzt erst einmal einen getroffen. Das ich das überlebt habe, war reines Glück."

"Glaub mir, es wird nicht besser, selbst wenn du kämpfen lernst", bemerkte sie grimmig.

"Sag mal, wie heißt du eigentlich?", fragte ich neugierig und ignorierte ihre Bemerkung.

"Joanna", antwortete sie knapp. "Du?"

"Thalia."

"Also, Thalia..." Sie sah sich nachdenklich um. "Hast du was zu trinken?"

"Zu trinken im Sinne von..?", zögerte ich.

Sie seufzte. "Zu trinken im Sinne von Wasser. Ich gehe nicht davon aus, dass du hier etwas Hochprozentiges im Schrank versteckt hältst."

"Ähhh...", machte ich. "Ich hätte da Wasser aus der Leitung...Eigentlich bin ich ja gerade erst eingezogen, ich weiß noch nicht mal was ich morgen frühstücken soll."

"Achso." Joanna schien nicht wirklich enttäuscht. "Auf jeden Fall habe ich eben gesehen, dass bei dir noch Licht brennt und wollte mal Hallo sagen. Weißt du, ich bekomme nicht oft neue Nachbarn. Eher im Gegenteil."

Sie kicherte.

Ich gähnte.

"Du siehst ganz schön müde aus", bemerkte sie grinsend.

"Danke, Jo." Ich gähnte noch einmal.

Sie zog eine Augenbraue hoch. "Gern geschehen, T. Aber du solltest dich echt besser noch aufs Ohr legen. Wenn du mich doch nochmal besuchen bist, ich bin nebenan."

Sie stand auf und ging zur Tür, ich tappte müde zum Sofa.

"Ciau, T", verabschiedete sie sich. "War nett, mit dir zu plaudern." Sie schloss die Tür lautlos hinter sich, als sie hinaus in die Nacht schlüpfte. Ich rollte mich zusammen, als mir die Augenlieder vor Müdigkeit zufielen.

Später wusste ich nicht mehr, was ich geträumt hatte, aber es war zur Abwechslung mal etwas Schönes gewesen.


Im Schatten des Mondes (I)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt