61. Wiedersehen

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Sky

"Was soll das heißen, sie ist weg?"

Antonio sah verlegen zur Seite und kratzte sich im Nacken. "Naja, also... Da war so ein kleiner Zwischenfall und sie ist weggelaufen... Ich bin ihr nachgerannt, doch sie war zu schnell..."

"Was für ein Zwischenfall?", wollte ich wissen und stemmte eine Hand in die Hüfte.

Er wurde blass, was ich ihm bei den Blicken der anderen nicht verübeln konnte.

"Los, sag schon", meinte Morgan.

"Ich...Autumn hat mich geküsst und...", stotterte er und mir lief es kalt den Nacken hinunter. 
"Was?"

"Sag jetzt nicht, dass sie es gesehen hat", flehte Steve hoffnungsvoll, und Morgan schimpfte: "Was hast du dir nur dabei gedacht?"

Doch ich konnte mir nur zu gut ausmalen, was passiert war.

"Ich wollte doch nicht... ", murmelte Antonio und sah zu Boden.

Göttin, bitte sag, dass das nicht wahr ist.

"Oh Mann", seufzte TJ. "Sie wird schnurstracks zu den Werwölfen laufen. Antonio, warum hast du das denn zugelassen?"

"Ich wollte das doch gar nicht!", rief dieser frustriert und ich legte ihm beruhigend eine Hand auf seine Schulter. Ich konnte spüren, dass er bereits bereute, was er getan hatte, und sich große Sorgen machte. 
Aber gleichzeitig hätte ich ihn auch erwürgen können.

Vor meinem inneren Auge lief wie ein Film die dunkle Vision ab und ich brachte mit Mühe meinen Atem wieder unter Kontrolle.

"Es nützt uns nichts, wenn du dich jetzt aufregst", brachte ich heraus, dann wandte ich mich an die anderen und sah in ihre besorgten Gesichter.
"Wir sollten los und nicht noch länger warten. Vielleicht... Vielleicht schaffen wir es, sie noch einzuholen."

Es klang eher wie eine Frage, doch Morgan nickte und Isabelle trat vor. "Sky hat Recht. Wir verschwenden nur unsere Zeit, wenn wir noch länger hier bleiben." Sie zeigte auf die tief hängende Sonne. "Der Abend bricht an, wir sollten uns auf den Weg machen."

Stumm nickte ich und wir folgten Isabelle, die uns zum westlichen Teil der Mauer führte und vor der mit Efeu bewachsenen Wand stehen blieb. "Ich brauche ein Messer", rief sie über die Schulter und TJ warf ihr sein Schwert zu, während ich mich unruhig umsah. Doch ich konnte mich nicht richtig konzentrieren, immer wieder sah ich die leeren Augen und die Toten Körper meiner Freunde, meiner Familie.

"Göttin, steh uns bei", murmelte ich.

Ein Arm legte sich um meine Schulter und ich sah überrascht in Liams besorgtes Gesicht. "Hey", sagte er. "Was ist los?"

"Nichts", log ich. "Es ist alles in Ordnung."

Ich bemerkte seinen skeptischen Blick, doch ich zwang mich zu einem halbherzigen Lächeln. "Wirklich, es ist alles gut. Nur die Aufregung."

"Kommt, Leute", rief TJ und winkte uns durch die Tür, Isabelle stand bereits am Waldrand.

"Wenn jemand uns erwischt, sind wir dran", hörte ich Steve neben mir, doch sein Bruder zog ihn nur weiter, bis wir alle auf dem alten Friedhof standen.

Das letzte Mal war ich hier gewesen, als meine Mentorin gestorben war und mir ihre Aufgabe übertragen hatte. Mit dreizehn war es meine Pflicht gewesen, für das Rudel zu sorgen und sich um alle Verletzungen zu kümmern.

Im Schatten des Mondes (I)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt