35. Gefangen

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Sie erwachte in einem dunklen, kahlen Raum, über ihr flackerte eine nackte Glühbirne. An den Wänden bröckelt der aschfahle Putz, es sah so trostlos aus wie sie sich fühlte.

Überall an ihrem Körper klebte Blut, sie war übersät mit etlichen Schrammen der Glasscherben, die sich ohne ihre Haut gebohrt hatten.

Verzweifelt zerrte sie an den Fesseln, mit denen dir Werwölfe sie an den kalten Stuhl gekettet hatten. Nur dunkel erinnerte sie sich an jene Nacht, sie war gekennzeichnet durch Schmerz und Hilflosigkeit. Nur an eine Sache erinnerte sie sich gut: Das verzweifelte, schmerzverzerrte Gesicht ihrer Tochter.

Sie tastete den Stuhl nach einer Kante ab, einem abstehenden Nagel, nach irgendwas. Wenn Sie hier nicht wegkam, wäre alles verloren.

Schritte ertönten, dann hörte sie, wie ein Schlüssel im Schloss gedreht wurde. Sie hob den Kopf, als dir Tür geöffnet wurde und ein Mann eintrat.

"Na, Marelyn, gut geschlafen?" Die hasserfüllten Augen von Lucius sahen ihr entgegen, sie biss die Zähne zusammen um ihn nicht anzuschreien.

"Was willst du?", fragte sie stattdessen und hielt seinem Blick stand. Es schmerzte so sehr, ihn hier zu sehen, doch sie konzentrierte sich auf die blinde Wut in ihrem Inneren.

Er kniete sich vor sie hin, damit er ihr in die Augen schauen konnte. "Darf man denn nicht mehr nach seinem Gast sehen?"

Sie lachte auf, Bitterkeit schwang in ihrer Stimme mit. "So behandelt ihr also eure Gäste? Ich muss zugeben, ich hab euch verlauste Pelzknäule unterschätzt."

Mit einem ruhigen Blick stand Lucius wieder auf und umrundete sie, sodass sie mit dem Rücken zu ihm saß. Ohne Vorwarnung packte er sie an den Haaren und zog ihren Kopf nach hinten.

Marelyn stöhnte vor Schmerz auf, Tränen traten ihr in die Augen.

"Weißt du, wir lange ich schon auf diesen Augenblick gewartet habe?", flüsterte er bedrohlich in ihr Ohr. "All die Jahre musste ich abwarten, auf den richtigen Augenblick hoffen. Und jetzt bist du hier, ganz allein, ohne deine tollen Freunde."

"Fahr zur Hölle", brachte sie heraus, als er den Griff verstärkte. Er lachte, dann ließ der Druck nach, doch sie konnte kaum durchatmen, denn im nächsten Moment traf eine schallende Backpfeife ihre Wange.

Ihr Kopf würde zurückgeschleudert, in ihrem Mund schmeckte sie den metallischen Geschmack von Blut.

"Genieß es", zischte Lucius. "Bald wirst du darum betteln, dass ich dich umbringe, dich von deinem Leiden erlöse."

Er strich ihr über die Schmerzende Wange, die Berührung war brennendes Feuer auf ihrer Haut.

"Wie es wohl sein muss", überlegte er. "Schuld daran zu sein, dass die eigene Tochter sich opfern wird." Er machte eine kurze Pause, sie sah ihn hasserfüllt an, bevor er weiterredete. "Du wirst zusehen, wie sie uns unsere Erlösung bringen wird, und dann an seiner Seite die Welt beherrschen wird, endgültig ihrer dunklen Seite erliegt. Und dann wirst weder du, noch Lupa etwas unternehmen können. Denn dann wird es zu spät sein."

Mit diesen Worten drehte er sich um, und als die Tür hinter ihm ins Schloss fiel schloss sie erschöpft ihre Augen. Eine einzelne Träne rollte ihre Wange hinunter.

Sie hatte versagt.

Alles, was nun passieren würde, war ihre Schuld.

Sie hatte das Schicksal ihrer Tochter besiegelt.

Im Schatten des Mondes (I)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt