50. Nachtwache

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Ich schlug mit ganzer Kraft gegen den ledernen Dummy, sein Kopf wurde durch den Schwung des Schlages zurückgeschleudert. Er schwang wieder zurück in meine Richtung, ich duckte mich unter ihm hindurch und verpasste ihm einen weiteren Tritt.

Sein Arm sauste haarscharf neben meinem Ohr vorbei, ich spürte den leichten Luftzug.

Immer wieder schlug ich auf ihn ein, wich ihm aus, verpasste ihm seitliche Hiebe.

"Respekt", hörte ich hinter mir eine verächtliche Stimme und biss die Zähne zusammen. "Du schaffst es schon, dich nicht von einer Puppe umbringen zu lassen."

"Hau ab, Autumn", zischte ich und tauchte unter dem vorbeisausenden Arm hindurch.

"Wo sind denn deine ganzen Freunde hin?", fuhr sie fort und beobachtete mich mit einem abschätzigen Grinsen.

Ich ignorierte sie, lud meine ganze Wut in meine Tritte.

"Haben sie dich etwa ganz allein gelassen?", hakte sie weiter nach. "Das nehme ich mal als ja."

"Was willst du?" Mein Hieb war so stark, dass das Holz unter der ledernen Verkleidung ächzte und zitterte.

"Jetzt kann dich keiner mehr beschützen", meinte Autumn gehässig und ignorierte meine Frage.

Ich schlug so fest zu, dass mir die Tränen in die Augen traten. Der Dummy blieb mitten in seiner Drehung stehen, dann kippte er ganz langsam um und schlug hart im Sand auf, wobei er eine riesige Staubwolke aufwirbelte. Der abgebrochene Stab, an dem die Puppe befestigt gewesen war, ragte unheilvoll zwischen den Trümmern hervor

Grimmig drehte ich mich zu Autumn um. "Was hast du gleich nochmal gesagt?"

Unsicherheit flackerte in ihrem Blick auf, doch dann schnaubte sie. "Ach, vergiss es."

Belustigt hob ich eine Augenbraue, doch im nächsten Augenblick stand sie dicht vor mir und hielt mit eisernem Griff meinen Unterarm fest.

"Halt dich von Antonio fern, verstanden?", zischte sie.

"Warum sollte ich das tun?" Mit einem Kribbeln im Magen dachte ich an seine Worte zurück, die er mir zugeflüstert hatte.

Ich liebe dich.

Der Druck auf meinem Arm wurde stärker und ich hielt mich zurück, laut aufzustöhnen.

"Er gehört zu mir", sagte sie, noch leiser. "Und du wirst das nicht kaputt machen!"

Wie bitte?

Ich wandte mein Gesicht ab und hielt mir eine Hand vor den Mund, doch ich konnte es nicht zurückhalten. Laut lachend sah ich sie an.

"Weißt du eigentlich, wie bescheuert das klingt?", brachte ich schließlich heraus.

Sie ließ meinen Arm los und sofort hielt ich mir vor lachen den Bauch.

Autumn sah mich mit zusammengekniffenen Augen an, dann drehte sie sich um. "Das mit euch wird eh nicht lange halten. Antonio will nichts von...Mädchen wie dir."

Immer noch lachend sah ich ihr hinterher und klopfte mir den Staub von meinen Klamotten.

Ich muss sagen, ich habe sie unterschätzt, dachte ich. Ich hätte sie nie für so verrückt gehalten.

Nachdem ich mich wieder einigermaßen im Griff hatte, untersuchte ich die Überreste vom Dummy, der mir zum Opfer gefallen war.

"Ich habe nicht erwartet, dass das mal jemand schafft", sagte jemand hinter mir und räusperte sich.

Im Schatten des Mondes (I)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt